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PolitikEuropa

Israelische Ausreiseagentur unter Druck in Russland

17. August 2022

Das russische Justizministerium will eine israelische Agentur schließen, die jüdische Auswanderer unterstützt. Über die Hintergründe wird gerätselt: Hat die israelische Haltung im Ukrainekrieg Moskau verärgert?

Jewish Agency in Moskau
Jewish Agency in MoskauBild: Mikhail Tereshchenko/TASS/dpa/picture alliance

Zwischen Russland und Israel ist die Stimmung angespannt wie zuletzt selten. Trotz Telefonaten auf höchster Ebene droht der "Jewish Agency" (auf hebräisch "Sochnut"), einer israelischen Ausreiseagentur, die Schließung ihrer russischen Vertretung. Ein Moskauer Gericht entscheidet am Freitag über einen Antrag des Justizministeriums, der eine Auflösung der Agentur fordert.   

In beiden Ländern wird seit Wochen über die Hintergründe gerätselt. Reporter der russischen Redaktion des britischen Auslandssenders BBC berichteten über einen 20-seitigen Brief, den das Justizministerium im Juni an die Jewish Agency verschickt haben soll. Der Brief soll eine ganze Liste mit Vorwürfen zu angeblichen Unregelmäßigkeiten enthalten haben. Laut einer anonymen Quelle in der russischen Vertretung der Agentur habe es zwei Hauptkritikpunkte gegeben: So sollen persönliche Daten gesammelt und ins Ausland verschickt worden sein; zudem wurde die Jewish Agency beschuldigt, dem sogenannten Brain Drain, also der Abwanderung qualifizierter Kräfte, Vorschub zu leisten.

"Die Tatsache, dass wir Menschen helfen, das Land zu verlassen, habe einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft und die Perspektiven der Russischen Föderation", zitiert die BBC einen Mitarbeiter der Jewish Agency zu der im Brief geäußerten Kritik der russischen Regierung. Nach offiziellen Angaben haben rund vier Millionen Russen das Land im ersten Quartal 2022 verlassen – eine Steigerung um 46 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, berichten russische Medien.     

Emigrationshelfer und Identitätsstifter

Die Jewish Agency hat zwei Hauptaufgaben: Juden weltweit bei der Auswanderung nach Israel zu unterstützen sowie die jüdische Identität zu stärken. Die Agentur veranstaltet Hebräisch-Sprachkurse und Bildungsprogramme, zudem hilft sie Bedürftigen in Israel und im Ausland. In Russland unterstützt die Organisation unter anderem Partnerverbände, die Älteren und Menschen mit Behinderung helfen - sowohl Juden als auch Nichtjuden.

Der ehemalige Leiter der Jewish Agency in Russland, Natan ScharanskiBild: DW

Die Agentur wurde 1929 gegründet und besitzt Vertretungen weltweit. In Russland ist sie seit 1989 aktiv, damals begann eine Massenauswanderung sowjetischer Juden nach Israel. Dabei betreibt die Jewish Agency keine Werbung für die Auswanderung, sondern unterstützt lediglich diejenigen, die zur Emigration berechtigt sind. Die Agentur bezahlt Flugtickets nach Israel und hilft vor Ort, ein neues Leben aufzubauen.

Nach Angaben der Jewish Agency ist die Zahl von Auswanderern aus Russland 2021 um zehn Prozent auf rund 7500 Menschen gestiegen. Russland war damit Spitzenreiter als Herkunftsland jüdischer Migration nach Israel.

Die Jewish Agency sei bereits kurz nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem darauffolgenden Kriegsausbruch in der Ukraine 2014 "ins Visier russischer Behörden geraten", sagt ihr ehemaliger Leiter, der frühere israelische Politiker und ehemalige sowjetische Dissident Natan Scharanski, gegenüber der DW. Als es erste Spannungen mit dem Westen gegeben habe, habe es Russland Nichtregierungsorganisationen verboten, Daten über russische Bürger zu sammeln und im Ausland zu speichern. "Die Jewish Agency tut aber genau das: Sie setzt sich mit Menschen in Verbindung, die ein Recht auf Auswanderung haben, betreibt verschiedene Programme und hilft, nach Israel überzusiedeln", so Scharanski.

Politisches Druckmittel auf Israel?

Russlands Außenminister Lawrow erntete harsche Kritik aus IsraelBild: Russian Foreign Ministry Press Service/TASS/picture alliance

Die israelische Jerusalem Post vermutet einen politischen Hintergrund auf russischer Seite. Das Verhältnis zwischen Russland und Israel, schreibt die Zeitung, sei nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine komplizierter geworden. Israel hat der Ukraine Unterstützung zugesagt und Moskau kritisiert, sich aber den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen. Im Mai sorgte eine Äußerung des russischen Außenministers Sergej Lawrow für einen Eklat. Lawrow verglich in einem Interview den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit Hitler. Später entschuldigte sich der russische Präsident Wladimir Putin für diese Äußerungen beim damaligen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett. 

Der israelische Minister für Diaspora-Angelegenheiten, Nachman Shai, sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Entscheidung des russischen Justizministeriums, die Jewish Agency zu schließen, und der Haltung der israelischen Regierung zum russischen Einmarsch in die Ukraine. "Russische Juden werden keine Geisel des Krieges in der Ukraine", zitiert ihn die Zeitung The Times of Israel. Ein Versuch, die Jewish Agency für die israelische Haltung zu bestrafen, sei "kritikwürdig und verletzend".

Israels Premier Jair Lapid warnte Ende Juli vor ernsthaften Konsequenzen für die russisch-israelischen Beziehungen, sollte die Jewish Agency tatsächlich verboten werden. Am 9. August war die drohende Schließung Thema bei einem Telefonat zwischen Putin und seinem israelischen Amtskollegen Izchak Herzog. Man habe weitere Kontakte auf der Ebene zuständiger Behörden vereinbart, hieß es danach aus dem Kreml.

Die Jewish Agency bereitet sich offenbar auf den Ernstfall vor. Man werde schlimmstenfalls die ganze Arbeit "online oder telefonisch" fortführen, hieß es bei der Jerusalem Post. Eine Hilfe vor Ort in Russland würde allerdings im Falle einer Schließung unmöglich gemacht.