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Politik

Israels Botschafter: "Wenn nötig, reagieren wir"

Felix Schlagwein
24. Dezember 2020

Ungarische Regierungsvertreter fielen jüngst mit antisemitischen Aussagen und Nazi-Vergleichen auf. Israels Botschafter, Yakov Hadas-Handelsman, verurteilt Einzelfälle im DW-Interview. Insgesamt lobt er Orbáns Regierung.

Ungarn Israelischer Botschafter Yakov Hadas-Handelsman
Yakov Hadas-Handelsman, Botschafter Israels in UngarnBild: AndrasMayer.photo

DW: Herr Botschafter, der Europäische Gerichtshof hat ein Verbot des koscheren und Halal-Schlachtens für rechtmäßig erklärt. Ungarns Vize-Premier Zsolt Semjén war einer der wenigen europäischen Politiker, die dieses Urteil kritisierten. Er nannte es "eine Schande für die Religionsfreiheit und die Sicherheit der europäischen jüdischen Gemeinschaft". Begrüßen Sie seine Reaktion?

Yakov Hadas-Handelsman: Die ungarische Regierung hat das Kind beim Namen genannt. Es ist so, wie Herr Semjén gesagt hat: Die Gerichtsentscheidung stellt die Rechte der Tiere über die Rechte der Menschen.

Die Orbán-Regierung ist bemüht, ein gutes Verhältnis zur jüdischen Gemeinschaft in Ungarn zu demonstrieren. Ist Semjéns Aussage ein Beispiel dafür?

Es ist eines von vielen Beispielen, an denen man das gute Verhältnis zwischen der Regierung und der jüdischen Gemeinde, die hier sehr floriert, sehen kann. Die Regierung investiert ziemlich viel Geld in die Renovierung und Sanierung jüdischer Einrichtungen, zum Beispiel Friedhöfe und Synagogen. Das tut sie sogar an Orten, an denen die jüdische Gemeinde im Sommer 1944 aufhörte zu existieren, weil ihre Mitglieder in Auschwitz ermordet wurden.

Die Große Synagoge in BudapestBild: picture alliance/Bildagentur-online/Schoening

Auf der anderen Seite gab es in letzter Zeit Skandale um antisemitische Äußerungen von Personen, die der Orbán-Regierung nahe stehen. Szilárd Demeter, ein Regierungsbeauftragter und Direktor des Petöfi-Literaturmuseums in Budapest, verglich den US-Börsenmilliardär und Philantropen George Soros mit Hitler und nannte Ungarn und Polen die "neuen Juden". Er musste nicht von seinem Posten zurücktreten. Wie gehen Sie mit solchen Äußerungen um?

Wir haben in einer Stellungnahme deutlich gemacht, dass jegliche Relativierung des Holocausts inakzeptabel ist und verurteilt werden muss. Nichts ist mit dem Holocaust vergleichbar. Es war das abscheulichste Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. Leider sehen wir diese Tendenz der Relativierung des Holocausts heutzutage überall. Wenn jemand eine schwere Zeit durchmacht, wird das mit dem Holocaust verglichen, wenn jemand wütend auf einen anderen Menschen ist, nennt er ihn einen Nazi. Damit verharmlost man die Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen.

"Niemand sollte den Holocaust verharmlosen"

Aus dem Umfeld der ungarischen Regierung kommen diese Vergleiche allerdings recht häufig. Der Fidesz-Europaabgeordnete Tamás Deutsch warf dem Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, kürzlich im Streit um den Rechtsstaatsmechanismus Gestapo-Methoden vor.

Anscheinend hat Herr Deutsch die richtigen Konsequenzen aus seinen Äußerungen gezogen. Er hat seinen Fehler eingesehen und sich zweimal entschuldigt. Wir belehren niemanden. Aber nochmal: Niemand sollte, auch wenn er es unbeabsichtigt tut, den Holocaust verharmlosen.

Die ungarische Regierung wird auch dafür kritisiert, Antisemiten staatliche Auszeichnungen zu verleihen. Kritiker behaupten auch, Orbáns Regierung versuche, die Rolle Ungarns im Holocaust zu relativieren. Teilen Sie diese Kritik?

Wann immer es einen solchen Vorfall gibt, reagieren wir. Wir bleiben nicht gleichgültig. Aber wenn der ungarische Staatspräsident János Áder, wie vor einigen Jahren, in Auschwitz spricht und sagt, dass es 'Ungarns größter Friedhof' sei, weil fast ein Drittel der dort Ermordeten ungarische Staatsbürger jüdischen Glaubens waren, denke ich, dass das für sich spricht.

Budapest, März 1944: Deportation ungarischer JudenBild: picture-alliance/akg-images

Die Orbán-Regierung hat ihre Haltung mehrfach wiederholt, auch Orbán selbst hat sich mehrfach zum jüdischen Volk bekannt. Auch das spricht für sich.

Vorwürfe des Antisemitismus kommen oft aus Deutschland. Die Orbán-Regierung weist sie meist mit dem Argument zurück, Juden seien in Ungarn viel sicherer als in Deutschland, wo Synagogen von der Polizei geschützt werden müssen. Sie haben fünf Jahre lang als Israels Botschafter in Deutschland gelebt. Fühlen Sie sich in Budapest sicherer als in Berlin?

An meiner Person lässt sich das schwer vergleichen, denn für mich als Botschafter ist es immer sicher. Aber lassen Sie uns über Statistiken sprechen. Jüngste Zahlen zeigen, dass Ungarn im vergangenen Jahr mit Abstand die wenigsten antisemitischen Vorfälle in Europa zu verzeichnen hatte. Natürlich sind diese Zahlen kein ganzheitliches Abbild der Realität. Aber sie geben die Verhältnisse wieder. Für jemanden, der durch sein Aussehen als jüdisch identifiziert werden kann, ist Ungarn demnach das Land, in dem er am wenigsten Angst haben muss, auf die Straße zu gehen.

"Wenn keine Juden da sind, werden andere Gruppen angegriffen"

Am 21.12.2020 wurde der Attentäter von Halle zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Er wollte in die Synagoge eindringen und Juden töten, unter anderem, weil er überzeugt war, dass George Soros die EU kontrolliert und muslimische Einwanderer nach Europa holen will. Das sind genau die Verschwörungstheorien, die Viktor Orbán seit Jahren propagiert. Trägt Ungarns Premier also eine indirekte Mitschuld an antisemitischen Gewalttaten?

Ich denke, dass George Soros auch ohne die ungarische Regierung berühmt oder berüchtigt genug ist. Also lassen wir das beiseite. Das Problem ist, dass das "anti" in Antisemitismus nicht nur auf den Antisemitismus reduziert werden kann. Es mag mit Hass auf Juden anfangen, aber wenn keine Juden da sind, werden andere Gruppen angegriffen. Das können Muslime sein, Homosexuelle, Menschen mit einer anderen Hautfarbe. Der Angreifer aus Halle hat genau das getan. Er konnte keine Juden töten, also fand er andere, die ihm fremd erschienen, wie den Mann im Döner-Restaurant.

Budapest 2019: Hetzkampagne gegen George Soros (li.) und den ehemaligen EU-Kommissionschef Jean-Claude JunckerBild: picture-alliance/dpa/P. Gorondi

In der Migrationsdebatte hat die Orbán-Regierung betont, dass sie keine Flüchtlinge oder Migranten aus überwiegend muslimischen Ländern in Ungarn aufnehmen will, auch um den Import von Antisemitismus zu verhindern. Diese Debatte gibt es auch in Deutschland. Halten Sie dieses Argument für legitim?

Ich würde sagen, wenn Sie Menschen in Ihr Haus lassen, erwarten Sie, dass die Ihre Regeln und Werte respektieren und sich an Ihre Gewohnheiten, Ihre Kultur und Ihre Tradition anpassen und nicht andersherum. Ist das in Westeuropa der Fall? Mein Eindruck ist, dass viele Länder in Europa ein Problem haben. Und zwar, dass dort Menschen leben, die sich nicht unbedingt den Gewohnheiten und Einstellungen der Menschen, mit denen sie zusammenleben, angepasst haben.