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Kunst

Denkmal für die Anti-Netanjahu-Demonstranten

Sarah Judith Hofmann
21. Dezember 2020

Aufruf zur Gewalt oder Kampf für die Demokratie? Der israelische Künstler Itay Zalait polarisiert mit seiner Arbeit. Jetzt hat er ein neues Werk geschaffen.

Der Künstler Itay Zalait steht auf der Schulter einer Bronzestatue
Kämpferische Pose: Itay Zalait auf seiner StatueBild: Jack Guez/APF/Getty Images

Wer den Rabinplatz in Tel Aviv nicht täglich überquert, könnte glauben, die Statue eines knienden Mannes mit Israelflagge in der Hand stand schon immer hier. 900 Kilogramm Bronze auf einem fünf Tonnen schweren Sockel. Überlebensgroß. Monumental. Sie ist gemacht, um zu überdauern. "Ich wollte etwas schaffen, das massiv ist. Etwas, das die Polizei nicht zerschlagen kann so wie die Demonstrationen", sagt der Künstler Itay Zalait.

Ursprünglich stand die Statue auf dem Pariser Platz in Jerusalem, dem zentralen Ort der Demonstrationen gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, der wegen Korruption angeklagt ist. Doch lange überdauerte sie dort nicht. Ganze vierzig Minuten gelang es dem an sein Kunstwerk geketteten Itay Zalait, standhaft zu bleiben. Dann transportierte die Polizei die Statue mithilfe eines großen Krans ab. "Das war länger, als ich gedacht hatte", meint Zalait und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Itay Zalait mit einer kleinen Statue, die Benjamin Netanjahu darstelltBild: Oded Balilty/AP Photo/picture alliance

Er gibt zu, dass er bereits einkalkuliert hat, dass die Statue entfernt werden würde. "Ich mache Performance-Kunst", sagt er. "Die Polizei spielt darin ebenso eine Rolle wie die Statue selbst." Und natürlich spielt auch der Premierminister eine Rolle, der - davon ist Zalait überzeugt - höchstpersönlich dafür gesorgt habe, dass die Statue entfernt wird.

Bereits zwei Mal hat der Künstler Netanjahu in seinen Performances karikiert. 2016 schuf er eine goldene Statue mit dem Titel "König Bibi" - so nennen Netanjahus Anhänger ihren Premier tatsächlich. Insgesamt 14 Jahre lang - mit einer Unterbrechung - regiert er mittlerweile das Land. Netanjahu überstand mehrere Neuwahlen. Obwohl die Korruptionsvorwürfe gegen ihn zum Zeitpunkt der Wahlen längst bekannt waren.

"König Bibi" - 14 Jahre regiert Netanjahu in Israel

Wenn Zalait sagt, "Bibi" regiere wie ein König, meint er das nicht positiv. Das Gold als Symbol für Reichtum - und damit ein Hinweis auf die Korruptionsvorwürfe - tat sein Übriges. Netanjahu-Unterstützer sahen ihr Idol veralbert. Ein Mann stürzte die Statue wutentbrannt und schuf damit unfreiwillig ein ikonisches Bild ganz im Sinne Zalaits. "Eigentlich hat dieser Mann erst das Kunstwerk geschaffen. Das war Glück. Vier Minuten bevor die Polizei kam, um die Statue ohnehin zu entfernen", sagt der Künstler rückblickend.

In Itay Zalaits Werk "Last Supper" sitzt Benjamin Netanjahu an einem reich gedeckten TischBild: Oded Balilty/AP Photo/picture alliance

Im Sommer 2020 folgte die Installation "The Last Supper" ("Das letzte Abendmahl"). Erneut eine überlebensgroße Karikatur Netanjahus, diesmal eine Puppe, die allein an einem festlich gedeckten Tisch voller Essen sitzt: Brot, Wurst, Hähnchenkeulen, Tomaten, Granatapfel, Weintrauben und mehr. Seine Hand tunkt er in einen Sahnekuchen, der mit einer Israelflagge verziert ist - als würde er mit einem unersättlichen Hunger das Land zum Nachtisch verspeisen. Als letztes Abendmahl der israelischen Demokratie wollte Zalait sein Kunstwerk verstanden wissen.

"Links" oder "rechts" - Israel ist gespalten

Politiker von Netanjahus Regierungskoalition, darunter die ehemalige Kulturministerin Miri Regev, warfen dem Künstler hingegen vor, er heize die Stimmung an und rufe mit dem Titel indirekt zum Mord an "Bibi" auf. Miri Regev hatte Zalait 2018 auf dem Platz des Nationaltheaters Habima als böse Hexe aus Schneewittchen karikiert.

Die Statue "Hero of Israel" von Itay ZalaitBild: Sarah Hofmann/DW

"Menschen schrien mich vor der Installation an. Dabei sind sie es, die Hass verbreiten, die eine Spaltung des Landes in 'links' und 'rechts' vorantreiben. Sie nennen uns 'Verräter' und 'Anarchisten'. Dabei sind sie die einzig wahren Anarchisten, die demokratische Institutionen aushöhlen. Dem wollte ich etwas entgegensetzen", sagt der Künstler.

Als im Zuge der Corona-Pandemie das Demonstrationsrecht eingeschränkt wurde, hatte Zalait die Idee, den "mutigen Menschen" ein Denkmal zu setzen, die weiterhin auf die Straße gingen, sich in kleinen Grüppchen an Straßenkreuzungen stellten, die auf Autobahnbrücken ihre Israelfahnen schwenkten und weiterhin vor die Residenz des Premierministers in Jerusalem zogen. Sie waren der Überzeugung, Netanjahu nutze die Pandemie, um Kritik an seiner Person zu unterdrücken. Teile der Regierung hingegen meinten: Auf den Demos verbreite sich das Coronavirus. Immer wieder kam es zu Gewalt: Wasserwerfer wurden eingesetzt, die Polizei knüppelte zum Teil auf Demonstranten ein und nahm etliche brutal fest.

Der Bulle von New York City

Es entstand ein ikonisches Foto: Ein junger Demonstrant kniet auf der Straße und hält seine Israelflagge dem dichten Strahl eines Wasserwerfers entgegen. Es ist unschwer als Vorlage für Zalaits Statue zu erkennen. Doch es ist nicht die einzige Inspiration: Der Stil erinnert an sozialistische Arbeiterdenkmäler. Und dann ist da noch der "Charging Bull" von New York. Arturo die Modicas Bulle wurde einst illegal aufgestellt und entfernt. Heute aber hat er seinen festen Platz auf der Wall Street. Und so hofft auch Zalait, dass seine Statue bleiben wird.

Von Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai hat er eine Genehmigung für die Installation auf dem Rabinplatz erhalten. Huldai gilt als prominenter Unterstützer der Protestbewegung und hatte selbst auf einer Demonstration eine Kopfverletzung durch Polizisten erlitten. Das Land ist so gespalten wie seit Jahren nicht mehr.

Demonstration auf dem Rabin Platz in Tel Aviv (19.12.2020), im Hintergrund Itay Zalaits Statue Bild: Sarah Hofmann/DW

Und so ist auch Zalaits neues Kunstwerk natürlich wieder Gegenstand des Disputs. An einem Freitagvormittag - dem Beginn des israelischen Wochenendes - steht eine Gruppe junger Männer vor der Heldenstatue und meint, sie habe hier nichts zu suchen. Sie stünde vielleicht für die "Linke", die gegen "Bibi" sei, aber sie fühlten sich davon überhaupt nicht angesprochen. Helden seien die Demonstranten auf keinen Fall, es gäbe in diesen Zeiten wichtigeres als sich über den Premier zu beschweren.

Immerhin, so meinen sie, trage die Statue eine Maske. Mitten auf dem Rabinplatz befindet sich in diesen Tagen eine Corona-Teststation, vor der sich eine lange Schlange gebildet hat. Die Infektionszahlen steigen auch in Israel erneut. Unterstützer von Zalait mischen sich in die Diskussion ein. Die Demonstranten hätten das Virus nicht verbreitet. Es dauert nicht lange, da schreien die Menschen vor der Statue einander an. 

Vierzig Tage auf Wanderung

"Wenn die Menschen diskutieren ist das gut", meint Zalait. "Das Schlimmste, das meiner Kunst passieren kann, ist, wenn sie einen kalt lässt." Zalait begnügt sich nicht damit, dass die Statue nun in Tel Aviv steht. Er will mit dem Sechs-Tonnen-Monument auf Tour gehen. Vierzig Tage soll die Statue in verschiedenen Städten aufgestellt werden. In Erinnerung an die vierzig Jahre, die das Volk Israel in der Wüste verbringen musste - bevor Moses sie ins Land Israel zurückführte. "Meine Statue soll den Menschen Mut machen. Eine alte Dame, die trotz Corona demonstriert, ist für mich eine Heldin. Für sie habe ich die Statue geschaffen. Diese Menschen machen mir Hoffnung." 

Mit Blick auf die Zukunft sagt er: "Wir stehen an einem Scheideweg. Ich hoffe, es ist nicht zu spät." Der feste Platz für seine Statue soll Jerusalem sein - auf dem Pariser Platz, unweit von Netanjahus Residenz.