1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
KonflikteIsrael

Israels Iran-Angriff: Legitim oder völkerrechtswidrig?

Cathrin Schaer
22. Juni 2025

Schon vor dem US-Militärschlag Israels gegen den Iran stellten sich viele die Frage nach dem Völkerrecht. Das erlaubt solche Angriffe nur unter strengen Bedingungen - und genau daran entzündet sich eine Debatte.

Nach dem israelischen Angriff auf den Iran, Feuerwehr und Rettungskräfte stehen vor einem zerbombten Gebäude in Teheran.
Am 13. Juni griff Israel den Iran an - nach eigenen Angaben, um dessen Fähigkeit zur Herstellung von Atomwaffen zu schwächenBild: Majid Asgaripour Wana News Agency via REUTERS

Wenn es um die Frage geht, ob Israels Angriff auf den Iran am 13. Juni gerechtfertigt war, sind die Positionen emotional und unversöhnlich. Das gleiche gilt für die Luftschläge der US-Amerikaner am 22. Juni. Die einen sagen: Israel hat mit dem Angriff gegen das Völkerrecht verstoßen, es handle sich um einen Schurkenstaat, der ohne Konsequenzen andere Länder bombardiere. Die anderen halten dagegen: Israel werde seit Jahren vom Iran bedroht, der kurz davor stehe, eine Atombombe zu bauen. Das sei eine existentielle Gefahr. Doch was sagt das Völkerrecht - nüchtern und unbeeinflusst von politischen oder moralischen Erwägungen?

Wie beurteilen Völkerrechtler den israelischen Angriff?

Israels Regierung sprach von einem "präzisen, präventiven" Schlag gegen iranische Atomanlagen, ein Akt der Selbstverteidigung, so das Argument, angesichts der Angst vor einem zukünftigen nuklearen Angriff des Iran. Doch das Völkerrecht, insbesondere Artikel 2 und Artikel 51 der UN-Charta, ist hier eindeutig: Selbstverteidigung ist nur unter sehr engen Bedingungen erlaubt - nämlich wenn ein unmittelbar bevorstehender bewaffneter Angriff droht und keine anderen Mittel zur Verfügung stehen.

Irans Führung droht Israel seit Jahren - doch aus völkerrechtlicher Sicht stellt sich laut Experten vor allem eine Frage: Baute Teheran tatsächlich an einer Atombombe, die gegen Tel Aviv eingesetzt werden sollte?Bild: AHMAD AL-RUBAYE/AFP via Getty Images

"Meinem Eindruck nach sehen die meisten Völkerrechtler den israelischen Angriff als Fall verbotener Selbstverteidigung", sagt Matthias Goldmann, Professor für Völkerrecht an der EBS Universität Wiesbaden, gegenüber der DW. "Denn die Voraussetzungen für Selbstverteidigung sind sehr streng: Es muss ein unmittelbar bevorstehender Angriff vorliegen, der sich auf keine andere Weise abwehren lässt. Wendet man diesen Maßstab an, kommt man zu dem Schluss, dass vom Iran kein solcher Angriff drohte."

Keine akute Bedrohung

Goldmann und andere verweisen auf den zeitlichen Kontext: Nur einen Tag vor dem Angriff, am 12. Juni, veröffentlichte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) einen Bericht, demzufolge der Iran bei der Zusammenarbeit nicht vollständig kooperiere. Doch Israel legte keine Beweise vor, dass ein Angriff unmittelbar bevorstand.

US-Geheimdienste gehen davon aus, dass der Iran möglicherweise noch drei Jahre von der Entwicklung einer Atombombe entfernt ist. Und trotz jahrelanger Drohungen aus Teheran halten viele Expertinnen und Experten einen nuklearen Angriff des Iran auf Israel in naher Zukunft für äußerst unwahrscheinlich.

"Man kann hier durchaus an den Kalten Krieg erinnern", so Goldmann. "Damals hatten beide Seiten Atomwaffen, und trotzdem haben sie sie nicht eingesetzt, weil sie wussten, dass der Gegenschlag verheerend wäre. Allein der Besitz von Atomwaffen gilt deshalb nicht als unmittelbare Bedrohung."

Hinzu kommt: Israel selbst besitzt Atomwaffen, hat aber den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet und erlaubt keine internationalen Inspektionen.

Verteidigungslinie Israels

Einige israelische Juristen argumentieren jedoch anders. In einem Text für Just Security schreiben Amichai Cohen und Yuval Shany, dass der Angriff im Rahmen eines fortdauernden bewaffneten Konflikts betrachtet werden müsse. Dadurch verändere sich auch die völkerrechtliche Bewertung.

Auch der US-amerikanische Völkerrechtler Michael Schmitt argumentiert in einem Beitrag auf der Website West Point Articles of War, das Ausmaß der iranischen Bedrohung erlaube eine weitere Auslegung des Selbstverteidigungsrechts. Dennoch räumt auch er ein: „Es ist ein schwieriger Fall, denn es gab noch andere Optionen als Gewalt." Schmitt verweist auf die laufenden Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran zum Atomprogramm zum Zeitpunkt des Angriffs.

Kriegsrecht gilt für beide Seiten

Die Mehrheit der Völkerrechtler bleibt jedoch bei einer klaren Einschätzung: "Das Völkerrecht ist so aufgebaut, dass es den Einsatz von Gewalt so weit wie möglich einschränkt", sagt Marko Milanovic, Professor für Völkerrecht an der Universität Reading in England. "Es geht nicht darum, Schlupflöcher zu schaffen, mit denen jeder Staat Bombenangriffe rechtfertigen kann."

Tel Aviv: Beschädigte Gebäude nach iranischem RaketenangriffBild: RIA Novosti/IMAGO

Auch wenn die Kampfhandlungen begonnen haben, gilt weiterhin das humanitäre Völkerrecht. "Im Krieg ist eben nicht alles erlaubt", sagt Tom Dannenbaum, Völkerrechtler an der Fletcher School der Tufts University in den USA. "Es gibt ein klar definiertes rechtliches Regelwerk, und das gilt für alle Seiten gleichermaßen."

Zivilisten und zivile Objekte dürfen nicht gezielt angegriffen werden. Nur wenn ein Objekt durch seine Art, Nutzung, Lage oder Funktion direkt zur militärischen Aktion beiträgt, wird es zum legitimen Ziel. Ein Beispiel: Die gezielte Tötung iranischer Nuklearwissenschaftler in ihren Wohnungen durch Israel. Viele Juristen argumentieren, dass bloße Mitarbeit an einem Rüstungsprogramm nicht genügt, um als Kombattant zu gelten.

Auf der anderen Seite hat der iranische Raketenbeschuss auch zivile Opfer in Tel Aviv gefordert. Auch das könnte einen Verstoß gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit darstellen: "Selbst bei Angriffen auf legitime militärische Ziele müssen alle denkbaren Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, um zivile Opfer zu vermeiden", sagt Dannenbaum. "Und wenn absehbar ist, dass der zivile Schaden den militärischen Nutzen überwiegt, ist der Angriff verboten."

Werden solche Fälle vor Gericht landen?

Ob einzelne Handlungen jemals vor einem internationalen Gericht verhandelt werden, ist fraglich. Goldmann, Milanovic und Dannenbaum halten es jedoch für möglich, dass Teilaspekte eines solchen Falls irgendwann vor dem Internationalen Gerichtshof in den Den Haag oder sogar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg landen könnten.

Der Internationale Gerichtshof wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtet, um Konflikte zwischen Staaten rechtlich zu klärenBild: LEX VAN LIESHOUT/ANP/AFP via Getty Images

"Aber die meisten dieser Fälle landen nie vor Gericht", meint Milanovic. "Sie werden politisch geregelt, weil sie zu groß, zu heikel oder zu brisant sind."

Gefahr für das Völkerrecht

Besonders besorgniserregend sei, so sagen viele Fachleute, dass zahlreiche Staaten Israels Auslegung von Selbstverteidigung implizit zu unterstützen scheinen - obwohl sie völkerrechtlich höchst zweifelhaft ist. Beispiel Deutschland: Zwar äußerte sich die Bundesregierung nicht explizit zum Angriff am 13. Juni, doch wiederholte sie in offiziellen Statements mehrfach, "Israel habe das Recht, sich zu verteidigen."

"Natürlich hat Israel dieses Recht, aber nur im Rahmen des Völkerrechts", betont Milanovic. Die engen Grenzen für Selbstverteidigung existieren aus gutem Grund, sagen er und Goldmann: Wenn Staaten anfangen, "Selbstverteidigung" auf vergangene oder hypothetisch zukünftige Bedrohungen auszuweiten, untergräbt das die völkerrechtliche Ordnung insgesamt.

Wirtschaft im Iran leidet unter Israel-Iran-Konflikt

01:58

This browser does not support the video element.

Goldmann erinnert an die Debatten um den US-Angriff auf den Irak 2003, bei dem Washington behauptete, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen - ein Argument, das sich später als falsch herausstellte.

Milanovic zieht sogar einen weiteren, aktuellen Vergleich: "Die rechtliche Argumentation Russlands beim Angriff auf die Ukraine war sehr ähnlich", erklärt er. "Wenn man Putins Rede von Februar 2022 liest, sagt er im Grunde: Irgendwann in der Zukunft werden uns die Ukraine und die NATO angreifen - deshalb greifen wir jetzt an." Das sei keine Selbstverteidigung, so Milanovic. "Das ist eher: Ich halte dich für gefährlich und deshalb glaube ich, dass ich dich angreifen darf. Aber genau das erlaubt das Völkerrecht nicht."
 

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen