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PolitikIsrael

Israels Justizreform: Druck auf Benjamin Netanjahu wächst

Tania Krämer Jerusalem
4. Januar 2024

Das Oberste Gericht Israels hat ein Kernelement der geplanten Justizreform verworfen. Die umstrittene Reform hatte monatelange Proteste ausgelöst und die Gesellschaft zutiefst gespalten. Wie geht es weiter?

Eine Demonstrantin hält eine Farbfackel hoch
Monatelang wurde gegen die umstrittenen Justizreform-Pläne protestiertBild: Ilia Yefimovich/dpa/picture alliance

Es war eine durchwachsene Woche für Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, seine rechts-religiöse Regierung und deren umstrittene Justizreform. Am Montag schrieben die 15 Richter des Obersten Gerichtshofs Rechtsgeschichte und verwarfen eine vom Parlament verabschiedete Änderung eines Grundgesetzes. Sie annullierten damit ein Kernelement der Justizreform. Israel hat keine Verfassung, dafür aber eine Reihe an Grundgesetzen, die im Parlament einzeln verabschiedet werden. 

In dem Urteil - das mit einer knappen Mehrheit von acht zu sieben Stimmen verabschiedet wurde - erklärte das Gericht, es lehne die Änderung der sogenannten "Angemessenheitsklausel" ab, weil sie einen "schweren und beispiellosen Schlag gegen die zentralen Merkmale des Staates Israel als demokratischer Staat" bedeuten würde. Eine Änderung dieser Klausel hätte zur Folge gehabt, dass das Oberste Gericht keine Möglichkeit mehr gehabt hätte, gegen "unangemessene" Entscheidungen der Regierung, des Ministerpräsidenten oder einzelner Minister vorzugehen. Nie zuvor hatte das Gericht ein Grundgesetz oder die Änderung eines Grundgesetzes für ungültig erklärt. 

Die Richterinnen und Richter des Obersten Gerichts Ende September bei einer Anhörung zu den Petitionen gegen die ReformBild: MENAHEM KAHANA/Newscom/picture alliance

Am Mittwoch dann entschieden die Richter, dass eine im März 2023 verabschiedete Gesetzesänderung, die die Amtsenthebung eines Regierungschefs erschwert, erst in der nächsten Legislaturperiode in Kraft treten soll. Sechs von elf Richtern waren für die Verschiebung. Zur Begründung hieß es, das Gesetz sei eindeutig auf eine bestimmte Person zugeschnitten und das Parlament habe seine Autorität missbraucht. 

Debatten um Reform neu angefacht

Die Entscheidungen des Obersten Gerichts haben nun die Debatten wieder angefacht. Die rechts-religiöse Regierung unter Netanjahu hatte Anfang vergangenen Jahres eine Justizreform in die Wege geleitet, die das Land zutiefst gespalten und polarisiert hatte. Der Oberste Gerichtshof gilt der politische Rechten als zu liberal und als zu machtvoll gegenüber der Politik. 

Demonstration gegen die Justizreform Mitte September in JerusalemBild: Ilia Yefimovich/dpa/picture alliance

Doch hunderttausende Israelis sahen dies anders: Sie zogen Woche für Woche auf die Straße, um gegen die Reform zu protestieren, da diese ihrer Meinung nach die Unabhängigkeit der Gerichte und Israels Demokratie untergraben würde. Auch viele Reservisten der Armee waren darunter, die gleichzeitig warnten, dass sie ihren Dienst nicht mehr antreten und Übungen fernbleiben würden, sollte die Reform durchgesetzt werden. 

"Zu viel Macht für die Exekutive"

Kritiker der Reform glauben, dass die Exekutive ohne die Kontrolle durch das Oberste Gericht zu viel Macht erhalten würde: Es gebe, so ihr Argument, in Israel keine weiteren Kontrollmechanismen - keinen mit Vetorecht ausgestatteten Präsidenten und keine zweite Parlamentskammer.

Trotz der anhaltenden Proteste wurde im Juli eine erste Grundgesetzänderung von der Knesset, dem israelischen Parlament, verabschiedet - ein erster Schritt der Justizreform. Mehrere zivilgesellschaftliche Gruppen reichten daraufhin Petitionen beim Obersten Gericht ein.

Streit um Justizreform rückte in den Hintergrund 

Die Terrorangriffe der militanten Hamas auf Israel am 7. Oktober und der darauffolgende israelische Angriff auf den Gazastreifen hatten den Prozess zunächst beendet. Auch die gesellschaftliche Spaltung schien in den Hintergrund gerückt zu sein: Das Land zeigte sich vereint angesichts der Gräueltaten der Hamas, der Geiselnahmen und der Kriegstoten. Die Hamas wird auch von den EU und den USA als Terrororganisation eingestuft.

Begräbnis eines in Gaza getöteten israelischen Soldaten im nordisraelischen Dorf MagharBild: Ohad Zwigenberg/AP/picture alliance

Mittlerweile sitzen Kritiker und Befürworter der Reform im sogenannten Kriegskabinett beisammen. Benny Gantz, der dem Kabinett aus der Opposition beitrat, mahnte am Montag auf der Plattform X (ehemals Twitter), es sei nicht die Zeit für politische Auseinandersetzungen. Es gelte, nach dem Krieg mit breiter Zustimmung den Status der Grundgesetze zu verankern. 

Den von Gantz angemahnten Konsens hatte Justizminister Jariv Levin, eine der treibenden Kräfte hinter der Reform, in all den Monaten nicht gesucht. Er kritisierte nun ebenfalls den Zeitpunkt des Urteils, obwohl dieser vorgegeben war, da zwei Richter in Ruhestand gingen. "Die Entscheidung der Richter, das Urteil während eines Krieges zu veröffentlichen, ist das Gegenteil des Geistes der Einheit, den wir in dieser Zeit für den Erfolg unserer Kämpfer an der Front brauchen." Finanzminister Bezalel Smotrich, Vorsitzender der rechtsextremen Partei Religiöser Zionismus, beschrieb das Urteil als "extrem, spaltend und ohne Autorität".

Reform aus Eigeninteresse?

Sehr genau wird nun beobachtet, wie Netanjahu mit dem gescheiterten Gesetzesvorhaben umgehen wird. Kritiker behaupten, dass er die Justizreform auch vorangetrieben habe, um sich vor seinem eigenen Korruptionsprozess zu schützen, in dem er wegen Betrugs, Bestechung und Untreue angeklagt ist. Er streitet die Vorwürfe ab. Seine Likud-Partei erklärte laut israelischen Medien, die Entscheidung stehe "dem Willen des Volkes entgegen, insbesondere in Kriegszeiten". 

Trotz der von Regierungsvertretern geäußerten Kritik an dem Urteil scheint es Konsens zu sein, alles Weitere bis nach dem Krieg zu vertagen. Was dann kommt, ist ungewiss. Netanjahu hat mit schlechten Umfragewerten zu kämpfen, viele Israelis nehmen es ihm übel, das er bislang keine Verantwortung für das immense Versagen der Sicherheitsbehörden übernommen hat. Diese konnten den verheerenden Terrorangriff durch die Hamas am 7. Oktober nicht verhindern, bei dem mehr als 1200 Menschen getötet und über 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. 

Israelische Soldaten am Neujahrstag im GazastreifenBild: Israel Defense Forces/Handout via Xinhua/picture alliance

Im Rückblick sehen nicht wenige auch den monatelangen Streit um die Justizreform als einen Grund dafür, dass das Land derart überfallen werden konnte. Warnungen, dass Israels Feinde die Situation als Schwäche auslegen könnten - da auch viele Reservisten an den Protesten beteiligt waren - seien nicht ernst genommen worden, so Kritiker.

Auch Oppositionsführer Jair Lapid, der das Urteil begrüßte, machte den durch die Justizreform ausgelösten innerisraelischen Konflikt mitverantwortlich für das "Desaster vom 7. Oktober". Damit ist er nicht alleine. "Sie haben das Militär geschwächt, die Wirtschaft, sie haben die Gesellschaft geteilt und die delikate Struktur von Israels Mosaik", schrieb der Journalist Ben Caspit am Dienstag in der Tageszeitung Ma’ariv. "Sie haben den Grundstein für das Massaker vom 7. Oktober gelegt, das größte Desaster, das Israel seit seiner Gründung erlebt hat." 

Eine Mehrheit der Israelis will laut Meinungsumfragen Neuwahlen, wenn der Krieg zu Ende ist. "Nach dem 7. Oktober, nachdem wir unsere Toten gezählt haben und nun, da sich die ganze Nation im Krieg befindet, haben wir die Pflicht zu fragen und zu rufen: Warum?", schrieb der israelische Journalist Eyal Nadav am Dienstag in der Tageszeitung Yedioth Ahronoth. "Wofür genau wurde die israelische Gesellschaft ein ganzes Jahr lang auseinandergerissen?"

Reaktionen auf Netanjahus umstrittene Justizreform

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