Israels Krieg in Gaza: Verändert sich die deutsche Haltung?
25. Juli 2025
"Der Krieg in Gaza muss jetzt beendet werden." Die gemeinsame Erklärung von rund 30 Staaten sorgt für Aufsehen. Sie fordern die Konfliktparteien zu einem "unverzüglichen, bedingungslosen und dauerhaften Waffenstillstand" auf und mahnen die Einhaltung des humanitären Völkerrechts an.
Zu den rund 30 Staaten zählen Frankreich, Dänemark und Großbritannien, nicht aber die USA und Deutschland. Dabei hat der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) seit seinem Amtsantritt Anfang Mai immer wieder das israelische Vorgehen kritisiert, sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland.
Ausdrücklich benannte Merz Meinungsverschiedenheiten mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. "Wir sagen auch klar und deutlich, was nicht akzeptabel ist, und das, was dort zurzeit geschieht, ist nicht mehr akzeptabel", verkündete er am 18. Juli in der Bundespressekonferenz.
Der Holocaust und die Verantwortung gegenüber Israel
Warum diese Spannung? Es ist der politische Umgang mit der bleibenden deutschen Verantwortung für Israel angesichts des Holocaust, der Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden durch Nazi-Deutschland, dem Massenmord, den erst die Alliierten 1945 mit ihrem Sieg über Deutschland stoppten.
"Existenz und Sicherheit des Staates Israel sind und bleiben unsere Staatsräson", sagte der CDU-Kanzler in seiner ersten Regierungserklärung am 14. Mai 2025. Merz sprach dabei den 7. Oktober 2023 an, den terroristischen Angriff der Hamas auf Israel "auf barbarischste Weise". "Ich möchte unseren israelischen Freunden von dieser Stelle aus sagen: Wir stehen unverbrüchlich an der Seite Israels."
Sein Vorgänger Olaf Scholz (SPD) hatte 2022 in Jerusalem betont, "einer jeden deutschen Regierung" erwachse aus dem Massenmord an den Juden "die immerwährende Verantwortung für die Sicherheit des Staates Israel und den Schutz jüdischen Lebens".
"Immerwährende Verantwortung": Das Verhältnis Deutschlands zu Israel ist ein besonderes. Es wird heute oft als "Wunder" bezeichnet, dass Israel und die Bundesrepublik Deutschland 1965 volle diplomatische Beziehungen aufnahmen. Der junge Staat Israel hatte zunächst strikte Distanz zum "Land der Mörder" gewollt. In Nachkriegs-Deutschland wirkten auch einstige Nazis politisch mit.
Der Annäherung gingen Vereinbarungen über deutsche Zahlungen voraus sowie die Selbstverpflichtung zur Rückerstattung von Vermögenswerten, das sogenannte Luxemburger Abkommen von 1952.
Es war eine Annäherung zunächst zwischen zwei Menschen: David Ben-Gurion (1886-1973), der erste Ministerpräsident Israels, stritt früh für einen Blick auf das "andere Deutschland". Ben-Gurion und der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) trafen sich zwar nur zweimal (1960 und 1966). Und doch wirkten beide Staatsmänner wie ferne Freunde.
Über Bergen-Belsen nach Berlin und Bonn
Der vollen Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1965 folgten viele offizielle Besuche. Willy Brandt (SPD) reiste im Juni 1973 als erster Bundeskanzler für fünf Tage zum Staatsbesuch nach Israel. Yitzhak Rabin kam im Juli 1975 als israelischer Ministerpräsident nach Deutschland - und begann seinen Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen. Erst danach ging es nach Berlin und Bonn. Übrigens: DDR-Regierungschefs oder -Minister besuchten Israel nie.
Angela Merkel (CDU), Kanzlerin von 2005 bis 2021, besuchte Israel insgesamt achtmal, häufiger als alle anderen Bundeskanzler zusammen. 2008 durfte sie als erste ausländische Regierungschefin in der Knesset reden, dem israelischen Parlament. Sie sprach auf Deutsch, in der Sprache der Täter.
"Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar."
Der damalige israelische Oppositionsführer hieß übrigens Benjamin Netanjahu - er kritisierte, dass Merkel ihre Rede auf Deutsch hielt.
Merkels Rede von der "Staatsräson" Deutschlands ist seitdem ein häufiger Bezugspunkt, wenn es um eine Bestimmung des deutsch-israelischen Verhältnisses geht. Sie hat diesen Begriff nicht erfunden und auch nicht politisch erstmals verwendet, aber prominent platziert.
Keine gemeinsamen Regierungskonsultationen mehr
Vielleicht wird dieses Wort so oft zitiert, weil es mit den konkreten beiderseitigen Beziehungen zusehends schwieriger wurde. Ein Beispiel: Von 2008 bis 2018 gab es in Jerusalem oder Berlin sieben sogenannte Regierungskonsultationen beider Länder, große Treffen mit allen Kabinettsmitgliedern. Seitdem passierte nichts mehr.
Israel stört sich am deutschen Beharren auf einer Zwei-Staaten-Lösung, also einem eigenen palästinensischen Staat, und weist deutsche Kritik am völkerrechtswidrigen Siedlungsbau in den besetzten Gebieten zurück. Deutschland schaut kritisch auf die Einbindung rechtsextremer Parteien in die Regierung Netanjahu. Zugleich bekommt die deutsche Regierung den Antisemitismus in Deutschland nicht in den Griff.
Der terroristische Großangriff der Hamas auf Israel mit mehr als 1200 Toten und hunderten verschleppten Geiseln führte nach dem 7. Oktober 2023 zu vielen Solidaritätsadressen und Besuchen deutscher Politiker in Israel. Auch das Vorgehen Israels und der USA gegen den Iran, um zu verhindern, dass dieser Atomwaffen herstellt, stieß auf Zustimmung. Israel, so Merz, mache da "die Drecksarbeit" für den Westen.
Immer mal wieder werden in Berlin Angehörige von nach Gaza verschleppten israelischen Geiseln empfangen. Umfragen zeigen zugleich: Mittlerweile würden sich viele in Deutschland schärfere Worte der deutschen Politik angesichts der Bilder von den Zerstörungen und des zehntausendfachen Sterbens in Gaza wünschen.
Schärfere Kritik aus Berlin, aber keine Sanktionen
"So wie die israelische Armee dort vorgeht, ist das nicht akzeptabel", sagte Kanzler Merz diese Woche Montag (21. Juli). Seit Amtsantritt äußerte er wiederholt solche Kritik. Die Bundesregierung bewertet nach Aussage ihrer Sprecher das Vorgehen Israels im Gazastreifen nicht als Völkermord. Sie verhindert außerdem EU-Sanktionen gegen Israel. Und sie fordert auch keinen direkten Waffenstillstand von Israel oder von beiden Konfliktparteien.
Nun bringt die gemeinsame Erklärung von rund 30 Staaten Bewegung in die deutsche Debatte. Die Bundesregierung schloss sich dem Aufruf nicht an. Doch SPD-Politiker plädieren für diesen Schritt.
Während Kanzler Merz und Regierungssprecher Stefan Kornelius noch die Einmütigkeit der schwarz-roten Koalition beim Kurs gegenüber Israel betonten, kam aus der SPD-Bundestagsfraktion die Forderung, die Erklärung zu unterzeichnen. Ähnlich äußerte sich Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD).
SPD-Fraktionschef Miersch: "verhungernde Kinder"
"Wenn internationales Recht systematisch verletzt wird, muss das Konsequenzen haben", erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch auf X. "Verhungernde Kinder, zerstörte Infrastruktur, Angriffe auf Hilfesuchende - das widerspricht allem, was das humanitäre Völkerrecht schützt."
Der neue SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf setzte das ausdrücklich in Bezug zur besonderen Verpflichtung Deutschlands. "Wenn wir jetzt eine israelische Regierung, die aus unserer Sicht gegen Völkerrecht verstößt, kritisieren, verabschieden wir uns ja nicht von der Zusammenarbeit mit Israel und mit dem Staat", sagte er dem Sender Welt-TV.
Deutsche Diplomaten fordern härteren Kurs gegenüber Israel
Dem Aufruf der SPD-Fraktion folgte ein Signal aus dem CDU-geführten Außenministerium. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete zuerst über eine Gruppe von 130 vor allem jüngeren deutschen Diplomaten, darunter gut einem Dutzend ehemaliger Botschafter.
Die Gruppe fordert in einem offenen Brief schärfere Kritik an der israelischen Regierung und konkrete Schritte. Sie reichen von einer Kursänderung bei deutschen Rüstungsexporten an Israel über Wirtschaftssanktionen gegen die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten bis zur Anerkennung eines demokratisch legitimierten palästinensischen Staates.
"Die Zeit zu handeln ist jetzt", mit diesem Appell beenden die Diplomaten ihr Schreiben.