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Bereit für den Abzug?

Christina Ruta10. Januar 2013

Erstmals erwägen die USA einen kompletten Truppenrückzug aus Afghanistan nach 2014. Doch kommen die einheimischen Sicherheitskräfte ohne amerikanische Verstärkung aus? Deutsche Experten sind skeptisch.

JAHRESRÜCKBLICK 2011 - US-Soldaten patroullieren mit ihren Militärfahrzeugen durch eine Straße von Herat in Afghanistan (Archivfoto vom 22.03.2005). US-Präsident Obama will bis spätestens Sommer nächsten Jahres 33 000 Soldaten aus Afghanistan abziehen. Bereits in diesem Jahr soll der Truppenumfang am Hindukusch um 10 000 schrumpfen, teilte Obama am 22.06.2011 in einer Rede an die Nation mit. Foto: FARAHNAZ KARIMY +++(c) dpa - Bildfunk+++
Symbolbild USA verringern Truppenpräsenz in Afghanistan um ein DrittelBild: picture-alliance/dpa

"Wir wollen keine Option ausschließen", heißt es vom nationalen Sicherheitsberater im Weißen Haus, Ben Rhodes. Was er damit meint: Die USA könnten bis Ende 2014 alle amerikanischen Soldaten nach Hause holen. Dieser Komplett-Abzug ist so erstmals öffentlich erwogen worden, und das anlässlich des momentanen Besuchs von Afghanistans Präsident Hamid Karsai in Washington. Karsai trifft sich dort unter anderem mit US-Präsident Barack Obama, um über die Zukunft Afghanistans zu sprechen.

Ende 2014 wird der internationale Kampfeinsatz der ISAF-Truppen in Afghanistan enden. Afghanische Sicherheitskräfte haben bereits seit Juli 2011 Schritt für Schritt die Verantwortung für die Sicherheitslage in ihrem Land übernommen. Doch auch nach Ende des Kampfeinsatzes soll - nach bisherigen Plänen - eine kleinere Anzahl internationaler Soldaten vor Ort bleiben. Sie sollen die einheimischen Sicherheitskräfte weiter beraten und ausbilden und das Land beim zivilen Wiederaufbau unterstützen. Von Seiten der US-Regierung - die USA stellen mit rund 66.000 Soldaten das größte Kontingent - war zuletzt von 3000 bis 6000 verbleibenden US-Amerikanern die Rede. John Allen, Oberbefehlshaber der ISAF-Truppen, hatte unlängst sogar einen Verbleib von mindestens 20.000 US-Soldaten gefordert.

Festgenommene TalibankämpferBild: dapd

Ein Komplettabzug ist ausgeschlossen

Joachim Sproß, Präsident der Deutsch-Afghanischen Gesellschaft, hält die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor für bedenklich und versteht die aktuellen amerikanischen Überlegungen zum Komplettabzug nicht: "Ich kann das nicht nachvollziehen, da es im letzen Jahr einen Vertrag gegeben hat zwischen den USA und Afghanistan, nach dem man dort ein bis zwei Militärbasen weiter unterhalten will. Ich denke, es wäre unklug, alle Soldaten abzuziehen", sagt Sproß. Beim Aufbau des einheimischen Sicherheitspersonals seien Fehler gemacht worden. So habe man etwa lange Zeit mit den "falschen Afghanen" zusammengearbeitet und es nicht geschafft, unbelastete Kräfte aus der Zivilbevölkerung in wichtige Positionen zu bringen.

Eine instabile politische Lage und Unsicherheiten über zukünftige Machtverhältnisse, ja - aber man habe in Afghanistan auch viel erreicht. Das meint der außenpolitische Sprecher der regierenden FDP, Rainer Stinner: So gebe es heute unter anderem mehr Straßen und besseren Zugang zu Bildungseinrichtungen und medizinischer Versorgung. Einen Komplettabzug amerikanischer Truppen nach 2014 hält er dennoch für undenkbar: "Wir haben in der NATO darüber gesprochen, dass wir natürlich weiterhin Verpflichtungen für dieses Land haben. Deshalb gehe ich davon aus, dass auch weitere amerikanische Truppen nach Ende 2014 in Afghanistan sein werden. Ich halte das also nicht für eine ernstzunehmende Festlegung der amerikanischen Regierung", sagt Stinner im DW-Interview. Auch angesichts der riesigen "Investitionen" - materieller wie menschlicher Art - hält der Politiker es für falsch, nach dem Kampfeinsatz alle Zelte abzubrechen.

Ein US-Soldat untersucht konfiszierte DrogenBild: picture-alliance/dpa

Verhandlungsgetöse

Dass das Weiße Haus wirklich alle Soldaten nach Hause holen möchte, glaubt auch Frithjof Schmidt, Afghanistan-Experte der oppositionellen Grünen, nicht. Die amerikanischen Äußerungen sieht er vor allem in der anhaltenden Kritik der afghanischen Regierung begründet. Dabei werde den USA vorgeworfen, die afghanische Souveränität mit militärischen Alleingängen und Stationierungsplänen in Frage zu stellen. "Ich glaube, dass es im Augenblick eher Verhandlungsgetöse um die Frage ist, zu welchen Konditionen eine amerikanische Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte erfolgt", sagt Schmidt.

Afghanistans Polizei trainiert für den Ernstfall - auch mit internationaler UnterstützungBild: SHAH MARAI/AFP/Getty Images

Allerdings passen für Schmidt die amerikanischen Erwägungen zu der strategischen Wende, die die internationale Gemeinschaft 2010 beschlossen hatte: weg von einer militärischen und hin zu einer politischen Lösung, bei der man mit den Aufständischen verhandelt: "Erst sind die Truppen zum Teil erhöht worden, um deutlich zu machen, dass man Verhandlungsdruck aufrecht erhalten will. Jetzt kommen wir in die Schlussphase, in der die USA eine Konzeptdiskussion darüber führen, wie stark sie sich nach der ISAF-Mission noch engagieren wollen", sagt Schmidt gegenüber der DW. Mit der Wiederwahl von US-Präsident Barack Obama und der neuen Regierung sei die Diskussion in die entscheidende Phase gegangen.

Logistische Kapazitäten würden fehlen

Schmidt selbst sieht die immer noch schlechte Sicherheitslage in Afghanistan als Bestätigung dafür, dass der Strategiewechsel ein Schritt in die richtige Richtung war: "Es wird höchste Zeit, dass neue Dynamik in mögliche politische Verhandlungen mit den Aufständischen kommt - es gibt ja schon Gespräche und Kontakte." Entscheidend sei, dass Ausbildung und Beratung strikt von der Aufstandsbekämpfung getrennt und die Kampftruppen auch tatsächlich abgezogen würden.

Frithjof Schmidt von den GrünenBild: Foto: Europäisches Parlament

Sollten die Amerikaner wider Erwarten doch im folgenden Jahr den Komplettabzug antreten, müsste wohl auch die Bundesregierung von ihren Plänen, eine reduzierte Zahl deutscher Soldaten vor Ort zu belassen, Abstand nehmen. "Wir brauchen, um ein gesichertes Gesamtumfeld in Afghanistan zu erhalten, Kapazitäten, über die bisher nur die Amerikaner verfügen - zum Beispiel logistische Kapazitäten", erläutert Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der Liberalen in Deutschland. "Falls also dieses, wie ich finde, unwahrscheinlich Szenario eintreten sollte, hätte das auch Auswirkungen auf unsere mögliche Stationierung in Afghanistan."

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