Bioplastik, angeblich sicher und biologisch abbaubar, klingt wie ein Umweltretter. Bei näherer Betrachtung aber trügt der grüne Schein. Können Folien und Verpackungen aus Algen oder altem Frittierfett überhaupt helfen?
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Wenn es nach Josefine Staats ginge, würde die Alge Kappaphycus die Welt retten. "Algen brauchen kein Land zum Wachsen, keinen Dünger, keine Pestizide und sie wachsen schnell", fasst die Unternehmerin und dreifache Mutter aus Berlin die Vorteile zusammen. Aus der Alge will sie Bioplastik herstellen, also umweltverträglichen Kunststoff. Der Vorteil: Das Produkt sähe aus wie immer, würde aber ohne den begrenzten Rohstoff Erdöl hergestellt.
Die Unternehmerin steht allerdings erst am Anfang ihrer Arbeit. Dabei sind die Algen eine gute Idee. Biokunststoffe, die heute bereits auf dem Markt sind, sind allerdings nicht automatisch umwelt- und klimafreundlicher als Plastik aus Erdöl. Denn viele der Pflanzen, aus denen man die Erdöl-Alternative herstellen kann, brauchen Platz. Außerdem wird, wie in der sonstigen Landwirtschaft auch, viel Dünger eingesetzt. Das führt zu überdüngten Böden und weniger Anbauflächen, die für Lebensmittel zur Verfügung stehen.
Dazu kommt, dass der Begriff Bioplastik nicht eindeutig ist. Experten unterscheiden zwischen Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen wie Mais, Zuckerrohr oder eben Algen und solchen, die biologisch abbaubar sind. Letztere können zwar auch aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, aber gleichzeitig Erdöl enthalten, das lediglich chemisch bearbeitet wurde und deshalb nicht die lange Überlebensdauer von normalem Plastik hat.
Plastik aus Bananenfasern
Und das sind noch lange nicht alle Ansätze: Im September trafen sich Vertreter der Branche auf dem ersten PHA Weltkongress in Köln. PHA ist ebenfalls ein Kunststoff, ein spezieller Polyester, den Bakterien produzieren, um sich gegen schlechte Zeiten zu wappnen, wenn ihnen also Nährstoffe fehlen.
Unter den 165 Unternehmen und Wissenschaftlern vor Ort war auch Lenka Mynářová aus Tschechien. Sie wurde unlängst als "Managerin des Jahres 2018" in ihrer Heimat ausgezeichnet und plant aus altem Frittieröl Biokunststoff herzustellen. Dieses "Upcycling" soll mit Hilfe der Fähigkeiten der Bakterien aus dem Abfallstoff ein neues Produkt entstehen lassen. "Wir machen keine Kooperationen mit Palmöl-Produzenten", sagt Mynářová auf der Konferenz. "Wir verschwenden kein Land, wir nutzen nur Müll."
Aber auch aus Pflanzenabfällen, Tomaten oder Bananen zum Beispiel, können Kunststoffe hergestellt werden. Allen Ideen gemein ist, dass sie dem Plastikmüll den Kampf ansagen wollen.
Nachfrage nach Erdöl steigt
Trotzdem, warnt Franziska Krüger vom Umweltbundesamt (UBA), dürfe man Biokunststoffen kein "grünes Mäntelchen anziehen". "Es gibt sicher Produkte, wo ein biologisch abbaubarer Kunststoff sinnvoll ist", erklärt sie. "Es darf (aber) nicht dazu führen, dass wir nach einer Grillparty oder am Strand einfach Verpackungen liegen lassen, weil sie ja irgendwann verrotten."
Wie sich Bioabfall tatsächlich verhält, kann noch niemand genau sagen. Es fehlen schlicht Studien. "Es gibt noch keine Garantie, dass sich ein solcher Biokunststoff in der Natur oder auf dem Kompost so vollständig abbaut wie im Labor, wo Forscher alle Faktoren kontrollieren können", sagt Krüger. Der Inhalt einer Biotonne braucht etwa vier bis sechs Wochen, ehe daraus Kompost wird. Biokunststoffe benötigten immer noch deutlich länger - abhängig davon, woraus sie bestehen.
Auch deshalb haben Kommunen und Abfallverwerter ein Problem mit ihnen. "Die meisten Biokunststoffe kommen erst gar nicht in den Genuss kompostiert zu werden", so Krüger. Die meisten Kompostieranlagen sortierten sie mit konventionellem Plastik als "Störstoff" einfach wieder aus, so Krüger. Genau deshalb sind etwa Biomülltüten aus kompostierbaren Kunststoffen heute noch keine echte Lösung.
Außerdem sind die Mengen viel zu gering, um für die Abfallwirtschaft überhaupt eine Rolle spielen. "Der Aufwand muss sich lohnen", sagt Krüger. Eine Recycling-Struktur für solche speziellen Kunststoffe müsse sich erst aufbauen.
Nach Angaben des Vereins European Bioplastic in Berlin wurden im Jahr 2017 rund 2 Millionen Tonnen Bioplastik produziert, nach Schätzungen sollen es 2022 rund 2,4 Millionen Tonnen sein. Vergleichsweise wenig, wenn man sich die Zahlen für konventionelle Plastikprodukte anschaut: Laut einer neuen Studie von US-Forschern der Universität von Kalifornien wurden 1950 rund zwei Millionen Tonnen Plastik aus Erdöl hergestellt, 2015 waren es 380 Millionen Tonnen – Tendenz steigend. Laut der jüngsten Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) wird die Menge an Erdöl, das für Kunststoffprodukte verbraucht wird, von zwölf Millionen Barrel im Jahr 2017 auf fast 18 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2050 ansteigen.
Kleine Schritte, große Hoffnung
Damit die Bioplastikbranche Fahrt aufnehmen kann, muss Öl teuer werden. So, wie derzeit. "Diejenigen, die Kunststoffe brauchen, sind gut beraten nach Alternativen Ausschau zu halten", sagt deshalb Michael Thielen, PR-Berater und Herausgeber des Bioplastics Magazine.
Und wenn es soweit ist, will die Berliner Unternehmerin Staats bereit sein und mit ihren Rotalgen aus Sri Lanka das Bioplastikangebot revolutionieren. Die Algen sollen, so Staats, auch ein Entwicklungshilfeprojekt sein, das den Algenbauern in der Region faire Löhne ermöglicht. Rund die Hälfte der Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet, sind Frauen.
"Die Technik für die Bioplastikproduktion aus Algen ist schon da, aber noch nicht ausgereift", sagt die Gründerin. Um sie zu entwickeln, fehlt noch Startkapital von einer Million Euro – Wissenschaftler und ein Labor sucht sie gleich mit. Ihr erstes Produkt sollen Folien für Lebensmittel aus ihrem eigenen Naturkostunternehmen sein, also für alles, was nicht so frisch gehalten werden muss oder sowieso direkt wieder verbraucht wird.
"Damit wir einfach mal anfangen", sagt sie und meint: Die Chance zu ergreifen, um mit Bioplastik wenigstens etwas umweltfreundlicher zu leben.
Plastik steckt in viel mehr Gegenständen des täglichen Bedarfs als man erwarten würde
Erdöl im Alltag
Rohöl entsteht durch Umwandlung von Algen und Kleinstlebewesen auf dem Meeresgrund und ohne Sauerstoffzufuhr. Die Kohlenwasserstoffverbindungen stecken heute in Benzin, Heizöl und Dingen des täglichen Bedarfs.
Bild: picture-alliance/dpa
Reinheitsgebot
Reinigerflaschen aus chemischen Kunststoffen werden aus Erdöl gewonnen. Sie sind relativ stabil, leicht, günstig. Und der Inhalt? Auch der besteht häufig aus Erdöl: Tenside sind waschaktive Substanzen, die fett- und wasserhaltige Flecken wegzaubern. Für Wasserorganismen wirken die Substanzen gleichwohl wie Gift. Und sensible Menschen können mit Hautausschlägen und Akne allergisch reagieren.
Bild: picture-alliance/dpa
Sauer macht sauber
Zitronen gehörten vor der industriellen Reinigungsmittel-Revolution zu den Hausmitteln. Wie Essig, Soda und Natron hat Zitronensäure reinigende Wirkung - ohne schädlichen Nebeneffekt. Die Zitrusfrüchte säubern den Grill und beseitigen Keime auf Holzschneidebrettern. Die biologischen Helfer sind ergiebig, biologisch abbaubar, preiswert und verpackungsfrei. Sauer macht eben nicht nur lustig!
Bild: INAPI
Masse statt Klasse
Pro Jahr werden weltweit rund 380 Millionen Tonnen Plastik hergestellt, doch laut einer Studie der University of California werden davon nur neun Prozent recycelt. Der Rest wird verbrannt, landet auf Deponien, in der Umwelt. Auch das wiederaufbereitete Material wird bald wieder entsorgt. Nach Schätzungen der Forscher werden bis 2050 34 Milliarden Tonnen Kunststoff produziert.
Bild: picture alliance/Blickwinkel
Strohhalm wird Natur-Strohhalm
Die Plastikflut wird weiter steigen, wenn der Mensch nicht umdenkt und handelt - so wie die EU-Kommission. Sie will den Verkauf von Besteck und Strohhalmen aus Plastik verbieten - Artikel, die im Schnellverfahren produziert, konsumiert und entsorgt werden, dann über Jahrhunderte der Erde zur Last fallen. Der Verpackungshersteller Tetra Pak kündigte inzwischen an, Papierstrohhalme einzuführen.
Bild: picture-alliance/empics/J. Hayward
Gegen das Schmuddelimage
Die Deutschen sind Europameister im Produzieren von Plastikmüll, laut Bundesumweltamt (UBA). Singlehaushalte kaufen kleinere einzeln verpackte Portionen. Der Online-Versandhandel erzeugt Verpackungen, und "Coffee and food to go" Becher und Teller aus Plastik und Styropor. Die Stadt Hannover geht mit gutem Beispiel voran und hat wiederverwertbare 2-Euro-Pfandbecher eingeführt. To go - Geht doch!
Bild: picture-alliance/dpa/H.-C. Dittrich
Verzweifelter Kampf für weniger Plastik
Indien hat ein riesiges Plastikmüllproblem. In der Hauptstadt Neu Delhi ist Einweg-Plastik nun per Gesetz verboten, aber es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Gleichzeitig verdienen 1,5 Millionen Inder ihren Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Plastik. Es gibt kein funktionierendes Entsorgungssystem. Der Müll wird oft einfach verbrannt. So entstehen giftige Rauchgase, die krank machen.
Bild: Jasvinder Sehgal
Auf den Inhalt kommt es an
Mitnichten. Auch die Hülle kann natürlichen Ursprungs und umweltschonend sein. Milch, Joghurt und Quark gab es schon vor der Einführung der Kunststoffverpackung in Glasbehältern. Und Getränkeverpackungen sind aus erneuerbaren Rohstoffen wie Holz aus zertifiziertem Anbau erhältlich. Konsumenten entscheiden schon beim Einkauf über die mögliche Abkehr von erdölbasierten, fossilen Rohstoffen.
Bild: Fotolia/peppi18
Silberscheiben aus Schwarzem Gold
Jede CD oder DVD enthält 30 Gramm Erdöl. Pro Jahr werden weltweit 40 Milliarden dieser multimedialen Datenträger aus Polycarbonat, Aluminium und Lacken produziert und entsprechende viele in der Mülltonne entsorgt. Laut Umweltbundesamt liegt die Recyclingquote in Deutschland bei nur fünf Prozent. Immerhin werden aus dem Abfall Brillengestelle gefertigt, PC-Monitorgehäuse oder Stoßfänger für Autos.
Bild: Bilderbox
Fester Gang auf flüssigem Holz
Wer behauptet, Luxusweiber hätten keinen Sinn für ökologisches Profil? Gucci-Kundinnen stehen auf Pumps mit Absätzen aus Biokunststoff. Ehemalige Forscher des Fraunhofer-Instituts nahmen den Papierabfallstoff Lignin, Pflanzenfasern, Wachs und verflüssigten das Gemisch. In Spritzgießmaschinen sollen sich wegen der beliebigen Formbarkeit auch andere Produkte herstellen lassen.
Bild: Fraunhofer Institut
Meisterlich?
Dieses Fan-Shirt besteht aus Garnen und Fasern recycelter Plastikabfälle - und somit aus Polyester und Polyamid, Stoffen der knapper werdenden Ressource Erdöl. 28 Plastikflaschen werden zur Produktion eines Trikots verwendet. Alternativ lässt es sich auch in den Naturfasern Baumwolle, Wolle, Leinen, Hanf und Seide schwitzen - auf und neben dem Platz.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Gebert
Richtig Zähneputzen
Nicht früh genug kann man mit der täglichen Zahnreinigung und -massage beginnen, denn sie dient dem Erhalt der Kauwerkzeuge. Neben der mechanischen Handhabung und der regelmäßigen Pflege ist die Wahl des Gerätes entscheidend. Gängige Zahnbürsten bestehen aus Polyamid auf Grundlage von Mineralöl. Noch enthalten: Weichmacher, Verstärkungsmittel und Farbe.
Bild: Fotolia/detailblick
Alternative Mundpflege
Zurück zur Natur: Zahnbürste aus Buchenholz mit Schweineborsten. Zahnpulver aus Natron, Kokosöl, Aktivkohle, einer Mischung aus Kurkuma, Minze, Nelken, Salbei, Ingwer, Heilerde und Salz pflegt Zähne und Zahnfleisch ebenso wie Zahncreme mit Effektiven Mikroorganismen, Kreide und Fenchelöl. Aber die Verpackung ist immer noch aus Plastik. Übliche Zahnpasten enthalten oft kleine Plastikkügelchen.
Bild: DW/K. Jäger
So wie man sich bettet
Wer eine Schlafunterlage kaufen will, zieht am besten einen Matratzenkundler zu rate. Der fragt nach Schlafgewohnheiten, orthopädischen Leiden, Gewicht, Allergien und Vorlieben beim Füllmaterial: Federkern, Latex, Naturlatex, Schaumstoff? Die meisten Matratzen basieren auf Erdölprodukten. Ökomatratzen, hingegen sind enthalten Bio-Kunststofffasern auf Sonnenblumenöl oder Rizinusöl-Basis.
Bild: Colourbox/Maxx-Studio
Vintage für das WC
"Das Bad ist das neue Wohnzimmer", behaupten Designer der Zunft. Demzufolge suchen Eigentümer und Mieter gerne das Besondere. Den WC-Deckel mit Absenkautomatik, zur Vermeidung etwaiger Knallgeräusche, die automatische Klobrillenreinigung, die intergierte Musikbeschallungsanlage. In den meisten Produkten stecken Kunststoffe. Die Ökotoilette dagegen besteht aus Holz. Der Plastikmülleimer? Kann weg!
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas/
Das Auto ohne Erdöl - eine Utopie?
Biodiesel aus Raps funktioniert nur mit alten Dieselstinker-Motoren. Benzin aus Biomasse nur in geringen Anteilen im Treibstoff. Die Automobilindustrie forscht an Kraftstoffen, um weg zu kommen vom Öl, aber ganz ohne wird es noch lange nicht gehen. Selbst Batterien brauchen Erdöl in der Herstellung. Einziger Lichtblick: Der Wasserstoffantrieb. Aber im Auto selbst steckt auch noch viel Erdöl.