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Politik

Ist der Frieden in Kolumbien noch zu retten?

14. Oktober 2016

Hatten die Neinsager doch Recht? In Kolumbien ist ein politisches Paradoxon entstanden: Die Ablehnung des Friedensvertrages beim Referendum hat dazu beigetragen, dass die Gegner nun miteinander sprechen.

Kolumbien Friedensmarsch in Bogota
Bild: Picture-Alliance/AP Photo/F. Vergara

Ausgerechnet der Chef der kolumbianischen Guerilla überraschte mit Selbstkritik. "Vielleicht war es sogar gut, dass der Friedensvertrag abgelehnt worden ist", bekannte Rodrigo Londoño, genannt Timochenko, am Mittwoch in einem Interview mit dem kolumbianischen Radiosender Caracol. "Das gibt uns die Chance, Zweifel an dem Abkommen auszuräumen und die Mehrheit der Kolumbianer, die sich nicht am Referendum beteiligt haben, für diesen historischen Moment in der Geschichte Kolumbiens zu interessieren."

Der historische Moment war am 26. September: Da unterzeichneten die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla nach vier Jahren Verhandlung einen umfassenden Friedensvertrag, der den fünf Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg im Land beendete. Am 2. Oktober wurde der Vertrag der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt. Ergebnis: 50,2 Prozent votierten dagegen. Allerdings lag die Wahlbeteiligung nur bei 37 Prozent.

Die Neinsager, angeführt von dem ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe, waren selbst überrascht von ihrem knappen Sieg. "Niemand hat mit dem Nein in der Volksabstimmung gerechnet, auch nicht die Befürworter des Nein", sagt Tuto Wehrle , Projektleiter von terre des hommes in Bogotá. "Der Weg aus dieser verfahrenen Lage ist absolut unklar."

Frieden, ja bitte, aber nicht zu den Bedingungen der FARC - Eine knappe Mehrheit lehnte den Friedensvertrag abBild: picture-alliance/AP Photo/F. Vergara

Streitpunkt Übergangsjustiz

FARC-Chef Timochenko gibt sich versöhnlich. "Wir dürfen die Chance auf Frieden nach 52 Jahren Bürgerkrieg nicht einfach über Bord werfen", sagte er in dem Radio-Interview. Doch zugleich zeigte er auch die Grenzen für Änderungen am Friedensvertrag auf.

"Es wäre unbedacht, wenn wir die Diskussion über die politische Beteiligung der FARC und das Strafmaß für ehemalige Kommandanten im Rahmen der Übergangsjustiz jetzt wieder aufnehmen", stellte er klar. Schließlich sei dies das schwierigste Kapitel bei den Friedensverhandlungen gewesen.

Wie soll es nun also weitergehen? Wie lange hält der am 29. August verkündete Waffenstillstand zwischen Guerilla und Armee noch? Was passiert mit den FARC-Kämpfern, die bereit für die Demobilisierung waren und ihre Waffen nun nicht abgeben können, von der Armee in ihre Camps zurückgeführt werden? Und wie lange werden die UN-Vertreter, die vor Ort die Demobilisierung überwachen sollten, noch im Land ausharren? 

Für die Waffenruhe zumindest sieht es gut aus. Präsident Juan Manuel Santos kündigte in einer Fernsehansprache an, er habe die Vereinbarung mit der FARC-Guerilla bis zum Jahresende verlängert. "Um es klarzustellen: Das ist weder ein Ultimatum, noch eine Frist", fügte er hinzu. Er hoffe aber, dass die Verhandlungen über Änderungen am Friedensabkommen deutlich früher beendet würden. 

Die vielen unbeantworteten Fragen und die Unsicherheit hängen wie ein Damoklesschwert über dem Friedensprozess in Kolumbien. Die massiven Proteste für Frieden in vielen kolumbianischen Städten zeigen, dass die Zeit drängt. Sie sollen Kolumbiens Präsident politischen Rückenwind für seine Mission verschaffen.

Versöhnlich im Ton, hart in der Sache: FARC-Chef Timochenko Bild: picture-alliance/dpa/M. Duenas Castaneda

Erst Kommandant, dann Abgeordneter?

Santos hatte unmittelbar nach dem Referendum Arbeitsgruppen der Befürworter und Gegner des Friedensvertrages einberufen, damit sie über mögliche Reformen verhandeln. Seit Mittwoch liegen nun die Forderungen der beteiligten Parteien auf dem Tisch.

"Die Übergangsjustiz darf nicht dazu dienen, eine angemessene Bestrafung der Verantwortlichen für schwere Straftaten zu verhindern", erklärte Ex-Präsident Uribe gegenüber der einheimischen Presse. Außerdem schaffe die Wählbarkeit von Guerilla-Kommandeuren in politische Ämter einen gravierenden Präzedenzfall.

Für den Kolumbien-Experten Günter Knieß, bis Juli 2016 deutscher Botschafter in Bogotá, bedeutet bereits die Gesprächsbereitschaft zwischen den verfeindeten politischen Lagern einen Fortschritt. "Für Kolumbien ist es eine positive Entwicklung, die weit über den Friedensprozess hinausgeht, dass nun zwischen der Regierung und dem Uribe-Lager eine Annäherung stattfindet", erklärt er. "Das hilft hoffentlich, die Polarisierung zu überwinden, die das ganze Land spaltet."

Die positive Seite der Schlappe

Im Nachhinein kann Knieß sogar der Ablehnung des Friedensvertrages beim Referendum etwas Positives abgewinnen. "Wenn das Plebiszit knapp positiv ausgegangen wäre, würde jetzt ein großer Teil der Bevölkerung gegen den Friedensvertrag sein", mutmaßt er. "Wenn nun zwischen den wichtigsten politischen Kräften des Landes eine Einigung entsteht, dann wären die Voraussetzungen für die langfristige Umsetzung des Friedensabkommens wesentlich besser als vorher."

Will ebenfalls die Waffen abgeben: Kolumbiens zweitgrößte Guerilla-Organisation ELNBild: picture-alliance/dpa/El Tiempo

Ob diese Einigung zwischen den verschiedenen politischen Lagern erzielt wird, steht allerdings noch in den Sternen. Wehrle von terre des hommes ist sich da nicht so sicher. "Wahrscheinlich werden erst die Wahlen 2018 darüber entscheiden, ob das Abkommen in Kraft tritt oder nicht."

Inmitten der Irrungen und Wirrungen des kolumbianischen Friedensprozesses sorgte zu Beginn der Woche eine weitere Ankündigung für vorsichtigen Optimismus: Am 27. Oktober beginnen in Ecuadors Hauptstadt Quito die offiziellen Verhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der zweitstärksten Guerilla-Organisation ELN (Ejército de Liberación Nacional).

"Wenn beide Verhandlungsprozesse sich irgendwann treffen, dann kann die Umsetzung gemeinsam oder etwas zeitversetzt beginnen", hofft Ex-Botschafter Knieß. Dann sei auch die Befürchtung grundlos, die ELN stoße in das Vakuum, das die FARC hinterlasse. Knieß: "Die Kolumbianer haben den Frieden, den viele von ihnen gar nicht kennen, verdient!"

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