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Politik

Madame la Présidente?

Elizabeth Bryant
12. Januar 2017

Marine Le Pen will Präsidentin werden - mit Abschottung, EU-Kritik und Nationalismus. Und es gibt viele, die sie unterstützen, zum Beispiel im Pariser Vorort Suresnes. Dort hat sich Elizabeth Bryant umgehört.

Marine Le Pen - Pressekonferenz
Bild: DW/E. Bryant

Die Kälte zieht bis in die Knochen. Und doch hält Laurent Salles seinen Posten auf dem Wochenmarkt: Seine Hände wirken steifgefroren, wenn er einen der Flugzettel überreicht, die er austeilt. Darauf zu sehen ist Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National, kurz FN.

Vor vier Jahren war Salles ein einfaches Mitglied der Rechtskonservativen, nun sitzt er im einst zuverlässig kommunistisch besetzten Stadtrat von Suresnes, einem westlichen Vorort von Paris, von dem aus der Eiffelturm aussieht, als sei er in die Skyline gemeißelt.

Die meisten Passanten fegen an Salles vorbei, doch einige halten kurz inne und lassen eines der Hochglanzblättchen in ihre Taschen gleiten, während sie sich bei den Käse- und Gemüsesnacks bedienen. Salles spricht einen dunkelhäutigen Mann an, um mit ihm über Politik reden. Eine Frau gibt ihm einen Kuss auf die Wange und holt eine Flasche Wein hervor, um auf das neue Jahr anzustoßen.

"Ich bemerke einen Wandel darin, wie die Leute uns begegnen", sagt Salles, der dem FN vor drei Jahrzehnten beigetreten ist, als er 16 war. "Es ist viel weniger konfrontativ, weil die Ängste vor uns nachgelassen haben. Sie nehmen uns nun als gewählte Amtsträger in Aktion wahr."

Auch wenn der FN schon lange fester Teil des französischen Parteienspektrums ist, kämpft die Partei erst seit kurzem um breite Anerkennung. Die Mitglieder hoffen, dass die französischen Wähler ihre Parteivorsitzende Marine Le Pen zum ersten weiblichen Staatsoberhaupt machen.

FN-Stadtrat Laurent Salles macht Wahlkampf in seiner Kommune Suresnes Bild: DW/E. Bryant

"Vor fünf oder sechs Jahren wollten die Wähler Umfrageinstituten nicht sagen, dass sie darüber nachdachten, den FN zu wählen", sagt Jean-Yves Camus, Experte für Rechtsextremismus, "Heute sagen sie es viel offener, obwohl der FN nicht all zu viel an seinen Positionen bezüglich nationaler Identität, Immigration oder Fremdenfeindlichkeit geändert hat."

Le Pens Weltsicht

Kürzlich gab Le Pen auf einer Pressekonferenz für ausländische Medien, die DW eingeschlossen, bekannt, welche Prioritäten sie als Präsidentin setzen würde: Darunter die Neuverhandlung von Frankreichs EU-Mitgliedschaft einschließlich eines "Frexit"-Referendums innerhalb von sechs Monaten nach Amtsantritt. Außerdem eine Reduktion der Sitze im französischen Parlament als Teil eines größeren Programms zur Verschlankung der Staatsstrukturen.

Sie verteidigte auch den aufkommenden Populismus in Europa und den USA. "Sind das [die Populisten, Anm. d. Red.] diejenigen, die die Regierung des Volkes, für das Volk und im Namen des Volkes verteidigen wollen?", fragte Le Pen die ausländischen Journalisten. "Wenn das so ist, akzeptiere ich es gerne, Populistin genannt zu werden."

Für die Ukraine-Krise gibt Le Pen der EU die Schuld. Sie war eine der ersten europäischen Politiker, die Donald Trump zum Wahlsieg gratulierten. Und begrüßte die damit aufkeimende Hoffnung auf bessere Beziehungen zwischen den USA und Russland. "Ich will keinen Krieg zwischen den USA und Russland - aus einem ganz egoistischen Motiv: Wir sind genau in der Mitte", sagt sie und ruft die beiden ehemaligen Erzfeinde dazu auf, gemeinsam mit Frankreich eine Allianz gegen den islamischen Extremismus zu schmieden.

Die sanften Extremisten

Le Pen schwimmt auf einer Welle von Unmut gegen die schlappe Wirtschaft, gegen Immigration und den militanten Islam. Präsident François Hollande ist derart unbeliebt, dass er bereits angekündigt hat, sich gar nicht erst zur Wiederwahl zu stellen.

Beobachter rechnen damit, dass Le Pen als stärkste Kandidatin aus den Vorwahlen im April hervorgehen wird, die Stichwahl im Mai aber gegen den Kandidaten der Konservativen, François Fillon, verlieren wird. So ähnlich lief es 2002 für Le Pens Vater Jean-Marie, der es mit knappem Vorsprung vor dem Sozialdemokraten Lionel Jospin in die Stichwahl gegen den konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac schaffte. Die mehr als 82 Prozent für Chirac in der zweiten Runde wurden als vereintes Referendum gegen Extremismus interpretiert.

Die 48-jährige Marine Le Pen ist allerdings 25 Jahre jünger als ihr Vater damals - und wesentlich beliebter als ihr streitlustiger Vater. Sie hat die scharfen Kanten des FN etwas abgerundet, ihn salonfähiger gemacht. "Normalerweise werden rechtsextreme Parteien von Männern angeführt", sagt Experte Camus, "Nun haben wir diese relativ junge Frau, die modern daherkommt und nicht nur ältere Leute anzieht, sondern auch jüngere Weiße - auch Frauen."

Hat den Front National salonfähig gemacht: Parteichefin Marine Le PenBild: DW/E. Bryant

Selbst eine Klage in Brüssel gegen den FN - Parteimitglieder sollen vom EU-Parlament bezahlte Mitarbeiter regelwidrig für parteiinterne Arbeiten genutzt haben - wird Le Pens Beliebtheit wohl keinen Abbruch tun, glaubt, Camus: "Der durchschnittliche FN-Wähler ist so EU-feindlich, dass dies Affäre sogar ein Plus ein könnte."

Zeit für Wandel?

Auf dem Markt von Suresnes hat Stadtrat Laurent Salles einen potenziellen Wähler gefunden: Der Computertechniker Olivier Nicolas zieht in Erwägung, seine Stimme Le Pen zu geben. Mit ihrem Wirtschaftsprogramm sei er zwar nicht einverstanden, aber er finde auch, dass Frankreich die Immigration begrenzen und die Kontrolle über seine Grenzen zurückgewinnen müsse.

"Le Pen hat Integrität", sagt er, glaubt aber nicht, dass sie gewinnen kann. "Es gibt eine gläserne Decke, weil die Medien den FN als rechtsaußen einstufen, obwohl die Ideen ziemlich genau dieselben sind, wie die der gemäßigt Konservativen in den 1990ern."

Anders sieht das die 59-jährige Evelyne Nodex. Sie glaubt, dass Frankreich bereit für einen Wandel ist. Rechts oder links, sagt sie über die gemäßigten Parteien, das sei doch alles dasselbe: "Das ist politischer Stillstand. Aber wir hatten noch nie den FN an der Macht. Warum sollte der schlechter sein als alle anderen?" Nimmt man die Stimmung auf dem Wochenmarkt von Suresnens zum Gradmesser, dann könnte die Frau von Rechtsaußen wirklich die nächste Präsidentin Frankreichs werden.

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