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Politik

Ist Gaulands "Vogelschiss" strafbar?

5. Juni 2018

Der AfD-Politiker Alexander Gauland hat die Zeit des Nationalsozialismus kleingeredet. Ganz Deutschland regt sich auf. Aber mit dem Strafrecht ist ihm kaum beizukommen.

Deutschland Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender der AfD in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Hitler und die Nazis seien nur "ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte", hatte Alexander Gauland vor dem Bundeskongress der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative gesagt. Seitdem hagelt es Kritik. Sie kommt von allen Parteien, sogar aus Teilen der AfD selbst. Der Holocaust werde verharmlost, relativiert, heißt es. Aber ist Gaulands Äußerung auch strafrechtlich relevant?

Das Strafgesetzbuch stellt Volksverhetzung in Paragraf 130 unter Strafe. Der Begriff umfasst mehrere Delikte. Unter anderem wird Aufstachelung zum Rassenhass, aber auch die Leugnung des Holocaust als Volksverhetzung angesehen. Auch die Verharmlosung des Holocaust ist strafbar. Das Grundgesetz schützt zwar die Meinungsfreiheit, sie zählt hier aber nicht, hat das Bundesverfassungsgericht schon 1994 geurteilt. Wer den Holocaust leugne, behaupte eine erwiesen unwahre Tatsache und äußere keine Meinung.

Gauland hat auf die Kritik geantwortet, er sei missverstanden worden. Immerhin habe er ja während derselben Rede auch gesagt: "Ja, wir bekennen uns zur Verantwortung für die zwölf Jahre" Nationalsozialismus mit seinen Millionen ermordeten Juden und Kriegstoten. Er habe keinesfalls den Nationalsozialismus bagatellisieren wollen. Ulrich Schellenberg, der Präsident des Anwaltvereins, sieht Gaulands Aussage "an der Grenze zur Strafbarkeit". Er glaube aber nicht, dass sie für eine Verurteilung wegen Volksverhetzung ausreiche. In der "Rheinischen Post" sagt er, dafür sei die Äußerung zu pauschal gewesen, auch habe Gauland nicht konkret über Opfer oder den Unrechtsgehalt der NS-Zeit gesprochen.

"Grauzone" der Strafbarkeit

Wo die Grenze eindeutig überschritten ist, hat sich zum Beispiel an der heute 89-jährigen Rechtsextremistin Ursula Haverbeck gezeigt. Sie wurde mehrmals verurteilt und ist inzwischen inhaftiert, weil sie zum Beispiel behauptet hatte, das Konzentrationslager Auschwitz sei kein Vernichtungs-, sondern nur ein Arbeitslager gewesen.

Eine eindeutige Leugnung des Holocaust ist in Deutschland strafbarBild: picture-alliance/dpa/akg-images

Die Jenaer Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk spricht im Interview mit der Deutschen Welle von einer "Grauzone", in der sich Gauland mit seinem Ausspruch bewegt habe; es sei aber von dort nur noch "ein ganz kleiner Schritt" bis zum strafrechtlich relevanten Bereich. Sie glaube auch nicht, "dass man Herrn Gauland in seiner Äußerung mit den Mitteln des Strafrechts begegnen muss. Aber man muss diese Äußerung sowohl politisch als auch gesellschaftlich ächten, weil sie absolut den Rahmen verlässt, was man als vernünftig denkender und historisch gebildeter Mensch sagen kann." Er habe "der nationalsozialistischen Barbarei die Singularität" abgesprochen, "aber das stellt das deutsche Strafgesetzbuch nun einmal nicht unter Strafe". 

Es ist nicht das erste Mal, dass AfD-Politiker solche Tabus brechen. Meist aber scheinen sie sehr genau zu wissen, welche Grenzen sie beachten müssen. Als der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke 2017 eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" forderte und beklagte, die Deutschen seien "das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat", hat das zwar einen Riesenwirbel entfacht, strafrechtliche Folgen hatte es aber nicht.

Auch Damian Lohr, der Vorsitzende der Jungen Alternative, scheint die Gesetze sehr genau zu kennen. Er hat es gerechtfertigt, dass die Nachwuchsorganisation bei ihrem Bundeskongress auch die erste Strophe des Deutschlandliedes ("Deutschland, Deutschland, über alles…") gesungen hat, was sogar der AfD-Bundesvorstand gerügt hat. Auch wenn diese Strophe ursprünglich nicht imperialistisch gemeint war, hatten die Nationalsozialisten sie so umgedeutet und nur die erste Strophe gesungen. Seitdem ist sie verpönt. Lohr weist die Kritiker darauf hin, dass das Absingen des Liedes in allen drei Strophen "entgegen anderslautender Gerüchte" nicht verboten sei.

Holocaust-Mahnmal in Berlin: Der AfD-Politiker Höcke will eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad"Bild: picture-alliance/Schoening

Gauland selbst wurde erst kürzlich vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen, nachdem er öffentlich davon gesprochen hatte, die türkischstämmige damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, in der Türkei zu "entsorgen". Nach den Worten eines Sprechers der zuständigen Staatsanwaltschaft war die Aussage "gerade noch so von freier Meinungsäußerung" gedeckt, zumal im Zusammenhang mit dem damaligen Wahlkampf, in dem üblicherweise "der Ton rauer" sei.

Manche Juristen hätten es gern freier

Der Umgang mit Volksverhetzung und speziell mit der Leugnung des Holocaust ist weltweit sehr unterschiedlich. In den deutschsprachigen Ländern ist diese strafbar, in Frankreich auch, nicht aber beispielsweise in den Niederlanden, in Spanien oder den USA. Es gibt jedoch oft andere Gesetze, die bei einem solchen Tatbestand greifen können, in den USA beispielsweise die Schadensersatzpflicht im Zivilrecht. Viele Staaten haben auch Gesetze, die eine Leugnung des Holocaust als Rassismus oder Verleumdung verbieten.

Doch auch in Deutschland gibt es selbst unter Juristen auch Kritiker der gesetzlichen Regelung. Der ehemalige Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem befand vor zehn Jahren: "Wäre ich Gesetzgeber, würde ich die Leugnung des Holocaust nicht unter Strafe stellen", weil er glaube, dass das Problem auf diese Weise nicht bewältigt werden könne. Generell sei es "politisch klug, Ventile zu belassen, anstatt Märtyrer zu schaffen". Dem stimmte der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, zu. Er sei "kein Freund solcher Tatbestände, die falsche Meinungen unter Strafe stellen".

Der Historiker Eberhard Jäckel sagte 2007 im Deutschlandfunk, Gesetze zur Leugnung des Holocaust seien "einer freien Gesellschaft nicht würdig". Kristin Pietrzyk glaubt zwar auch nicht, dass sich gesellschaftliche Probleme mit dem Strafrecht lösen lassen. Aber für die Strafrechtlerin steht fest: "Wenn sich jemand hinstellt und die Leiden von über sechs Millionen Juden in den Konzentrationslagern negiert, dann muss das unter Strafe gestellt werden. Da muss ein Gesetzgeber sagen: Das ist die Grenze, was man legitimerweise sagen darf." 

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