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Ist Irland die größte Steueroase der Welt?

Arthur Sullivan bea
24. Juli 2020

In Irland bleiben Apple Steuernachzahlungen in Milliardenhöhe vorerst erspart, so ein Gericht Mitte Juli. Doch das Steuerproblem ist damit noch längst nicht gelöst. Vor allem, weil es ein wahrhaft globales Problem ist.

Apple Irland
Bild: picture-alliance/NurPhoto

Es war eine scheinbar gute Nachricht, die das irische Statistikamt im Juli 2016 verkünden konnte. Nach einer Revision früherer Daten hatte man errechnet, dass die Wirtschaftsleistung des Landes im Jahr 2015 um sagenhafte 26,2 Prozent gestiegen war.

Nach Jahren der Schuldenkrise war die irische Wirtschaft tatsächlich wieder in guter Verfassung. Aber das Plus von 26,3 Prozent hatte mit der wirtschaftlichen Realität des Landes nicht viel zu tun. Der explosionsartige Anstieg des irischen Bruttoinlandsproduktes lag vor allem an einer einzigen Firma: Apple.

Der Tech-Gigant aus den USA ist das erste Unternehmen überhaupt, dessen Börsenwert die Marke von einer Billion Dollar erreicht hat. Nach einer Änderung im irischen Steuerrecht hatte Apple im Jahr 2015 seine Steuerangelegenheiten grundlegend neu geordnet. Fortan flossen Lizenzgebühren für das enorm wertvolle geistige Eigentum von Apple nicht mehr an die Zentrale in den USA, sondern an den Ableger in Irland. Diese Verlagerung von Gewinnen des Weltkonzerns ließ auch die irische Bilanz dramatisch anschwellen.

Apples Steuerzahlungen in Irland sind allerdings nicht entsprechend gestiegen. Mit komplexen steuerrechtlichen Manövern gelang es der Firma, ihre Steuerbelastung so gering zu halten wie möglich - in den USA und auch in Irland.

Kobold-Ökonomie

Für dieses magische Wegzaubern der Steuerlast erfand der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman den Begriff "Leprechaun-Ökonomie", in Anspielung an einen Kobold der irischen Sagenwelt.

Und doch ist das nicht einmal das, worauf sich der aktuelle Rechtsstreit zwischen der Europäischen Kommission, Apple und dem irischen Staat bezieht.

Da geht es um einen früheren Zeitraum, die Jahre von 2004 bis 2014. Für diese Periode hätte Apple dem irischen Staat rund 13 Milliarden Euro an Unternehmenssteuern zahlen müssen, argumentiert die EU-Kommission, unterlag damit allerdings Mitte Juli vor dem EU-Gericht in Luxemburg.

Als EU-Kommissarin für Wettbewerb kämpft Margrethe Vestager auch gegen unfaire SteuerpraktikenBild: Reuters/E. Vidal

Abgeschlossen ist der Fall damit noch nicht. Die EU-Kommission kann Rechtsmittel einlegen und dann vor dem Gerichtshof der Europäischen Union ihre Sicht der Dinge darlegen: Dass Irland Apple ein maßgeschneidertes Steuerangebot gemacht habe, das einer illegalen staatlichen Beihilfe entspricht.

"Irland war sich immer sicher, die korrekte Steuerhöhe erhoben und keine staatliche Beihilfe gewährt zu haben", sagte dagegen der irische Finanzminister und neue Chef der Eurogruppe, Paschal Donohoe, nach dem Etappensieg vor Gericht.

Eine nationale Regierung, die sich vor Gericht gegen Steuereinnahmen in Milliardenhöhe wehrt - das ist bezeichnend für die Art, wie Irland multinationale Unternehmen behandelt. Irland sei "die größte Steueroase der Welt", heißt es in einer gemeinsamen Studie der Universitäten von Berkeley in Kalifornien und Kopenhagen in Dänemark aus dem Jahr 2018.

Die Europäische Kommission hat der Steuervermeidung den Kampf angesagt. Sie veröffentlicht nicht nur eine Schwarze Liste globaler Steueroasen, sondern will auch stärker gegen Niedrigsteuerländer in den eigenen Reihen vorgehen.

Der EU-Kommissar für Wirtschaft, Paolo Gentiloni, schlug vor kurzem vor, die EU solle in Steuerdingen künftig "nicht einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit" entscheiden. Das wäre ein Bruch mit der bisherigen Praxis, die jedem EU-Land die Möglichkeit gab, eine gemeinsame Entscheidung zu blockieren.

Die größte Steueroase der Welt?

Aber ist Irland wirklich eine Steueroase? Ja, sagte Liz Nelson, Direktorin des Tax Justice Network, einer Nichtregierungsorganisation, die gegen die globale Vermeidung und Hinterziehung von Steuern kämpft. "Irland ermöglicht die Verlagerung von Profiten, wie einige andere Rechtsgebiete auch", so Nelson zur DW. "So ist ein Netz der Geheimhaltung entstanden."

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Tatsächlich muss man Irlands System zur Besteuerung multinationaler Unternehmen als Teil eines globalen Bildes betrachten. Eduardo Baistrocchi, Professor für Steuerrecht an der London School of Economics, beschreibt Irland als "Drehscheibe außerhalb der G20 im internationalen Steuersystem".

"Nicht-G20-Drehscheiben sind Länder, die multinationalen Firmen den Zugang in ein größeres Rechtsgebiet ermöglichen, damit sie ihre Steuerlast reduzieren können", so Baistrocchi zur DW.

Irland gehört nicht zu den 20 größten Volkswirtschaften der Welt, die als "Gruppe der 20" einen informellen Club bilden, ist aber Mitglied der Europäischen Union, die bei der G20 als ein Mitglied gezählt wird.

"Der Streit über staatliche Beihilfen zwischen der EU, Irland und Apple zeigt in bislang beispielloser Deutlichkeit die Rolle von Nicht-G20-Drehscheiben", so Baistrocchi, denn Irland verbinde Apple mit sämtlichen EU-Ländern. "So hat Apple 2014 auf jede Million Dollar Gewinn, die es in Europa erwirtschaftet hat, dort nur 50 Dollar Steuern gezahlt: ein effektiver Steuersatz von 0,005 Prozent."

Laut Baistrocchi hat sich das Drehscheiben-Modell innerhalb der vergangenen 50 Jahre schrittweise entwickelt. Die Schweiz sei von den 1960er bis in die 1990er Jahren der "Superstar" unter den Drehscheibenländern gewesen. "Die Niederlande haben die Schweiz Anfang der 2000er Jahre dann als neue Superstar-Drehscheibe abgelöst. Derzeit wetteifern Irland und Luxemburg, die Niederlande zu überholen."

Ein Problem für die Welt

Auf die Bitte der DW um Stellungnahme hat das irische Finanzministerium nicht reagiert. Doch die Regierung des Landes hat mehrfach betont, Unternehmen nach ihren eigenen Gesetzen korrekt zu besteuern. Demnach wäre der extrem niedrige effektive Steuersatz von 0,005 Prozent nach irischem Recht tatsächlich legal.

Der irische Finanzminister Paschal Donohoe ist auch Vorsitzender der Gruppe der EuroländerBild: picture-alliance/B. Lawless

So wird das Ganze zu einem globalen Problem, sagen sowohl Steuerrechtler Baistrocchi als auch Nelson vom Tax Justice Network. Das Drehscheiben-Modell verstoße zwar nicht gegen internationale Steuerabkommen, sagt Baistrocchi. "Allerdings löst es einen Konflikt zwischen Globalisierung und Demokratie aus, denn die Steuersysteme sind zunehmend unfähig, Probleme der Ungleichheit innerhalb der Länder anzugehen. Dieser Konflikt hat vielerorts zu Schocks bei Wahlen geführt, zum Beispiel Brexit, Trump und Bolsonaro."

Das internationale Steuersystem sei inzwischen "kaputt", sagt Baistrocchi, weil multinationale Konzerne wie Apple zu viel Macht und Einfluss haben.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), ein Club von 37 eher wohlhabenden Ländern, darunter die USA und die meisten EU-Staaten, arbeitet derzeit an einem globalen Regelwerk, das der Gewinnverschiebung multinationaler Konzerne einen Riegel vorschieben soll: Firmen sollen dort, wo sie Geld verdienen, auch Steuern zahlen.

Vorgeschlagen wurde ursprünglich, dass ein Land auch jene Unternehmen besteuern kann, die innerhalb seiner Landesgrenzen keine physische Niederlassung unterhalten, also Werke oder Büros.

Im Juni aber setzten die USA die Gespräche aus. Sie seien gegen eine Besteuerung digitaler Dienstleistungen, so ihr Argument, und eine solch drastische Änderung bestehender Regeln sei eine Gefahr für die großen US-Tech-Konzerne von Facebook über Amazon bis Apple.

Aussichtslose Hoffnungen?

Baistrocchi nennt den Reformversuch der OECD "einen Schritt in die richtige Richtung". Er weist allerdings darauf hin, dass dafür ein Maß an internationaler Zusammenarbeit in Steuerfragen nötig sei, wie man es schon sehr lange nicht mehr erlebt habe. Genauer: seit Entstehung des gegenwärtigen internationalen Steuerregimes vor fast 100 Jahren beim Völkerbund, dem Vorläufer der Vereinten Nationen.

NGO-Chefin Nelson hat an den OECD-Plan keine großen Erwartungen mehr und nennt ihn "orientierungslos". Sie hofft dagegen, dass die EU-Kommission ihren Kampf gegen Steueroasen wie Irland fortsetzt.

Außerdem ist sie zuversichtlich, dass die EU-Länder multinationale Konzerne wie Apple zur Veröffentlichung ihrer Länderberichte zwingen werden. Aus denen geht hervor, wo wie viel Geld verdient wird. "Allein durch die Veröffentlichung dieser Daten können der Missbrauch des Steuerrechts eingedämmt und beträchtliche Einnahmen erzielt werden", so Nelson.

Das gerade erfolgte Urteil im Fall Apple lässt allerdings vermuten, dass es noch lange dauern wird, bis sich solche Hoffnungen erfüllen.

Gleichzeitig ist ein Steuerproblem, das letztlich die ganze Welt betrifft, kaum national oder regional zu lösen. "Wir sind stolz darauf, der größte Steuerzahler der Welt zu sein, denn wir wissen, wie wichtig Steuern für die Gesellschaft sind", heißt es in einem Statement, das Apple nach der Gerichtsentscheidung veröffentlicht hat und der DW zukommen ließ.

Allein an Körperschaftssteuer habe Apple in den vergangenen zehn Jahren weltweit mehr als 100 Milliarden Dollar gezahlt. "Veränderungen in der Art und Weise, wie die Einkommenssteuerzahlungen eines multinationalen Unternehmens auf verschiedene Länder aufgeteilt werden, erfordern eine globale Lösung, und Apple ermutigt alle, diese Arbeit fortzusetzen", so die Firma weiter.

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