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Politik

Mutmaßlicher Mörder der jesidischen Kindersklavin als Zeuge

14. November 2019

Im Prozess gegen Jennifer W. bekam die Öffentlichkeit einen ersten Eindruck vom mutmaßlichen Mörder: Taha A.-J. trat als Zeuge auf – und verweigerte die Aussage. Er würdigte seine Frau keines Blickes.

Deutschland München | Prozess Jennifer W., IS-Rückkehrerin
Bild: Getty Images/S. Widmann

Es ist die erste Begegnung von Taha A.-J. mit seiner Frau seit knapp vier Jahren. Und sie ist kühl. Keine Blicke wandern zwischen Jennifer W. und dem 27-jährigen Iraker hin und her. Keine Gesten lassen erahnen, dass sie sich überhaupt kennen.

Und doch – davon ist zumindest die Generalbundesanwaltschaft überzeugt - verbindet die beiden nicht nur eine mittlerweile dreijährige Tochter. Es verbindet sie auch die Geschichte um den grausamen Tod einer jesidischen Kindersklavin.

Tod vor den Augen der Mutter

Nur fünf Jahre alt wurde Rania, die mit ihrer jesidischen Mutter 2015 als Sklavin im Haus von Jennifer W. und Taha A.-J. im irakischen Falludscha lebte. Weil das Mädchen nachts eingenässt hatte, soll Taha A.-J. sie in der sengenden Sonne an einem Fenster angekettet haben. Bis das Kind vor den Augen seiner entsetzten Mutter starb. Und vor den Augen von Jennifer W.s, die nichts unternommen haben soll, um das Mädchen zu retten.

"Mord durch Unterlassung" heißt das in der Sprache der Juristen. Und ist einer der Vorwürfe, wegen denen Jennifer W. seit Anfang April vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gemacht wird.

Ein Prozess, der internationales Aufsehen erregt: Weltweit zum ersten Mal werden in dem schmucklosen Verhandungssaal B277 am Oberlandesgericht München auch die Verbrechen des IS gegen die Jesiden nach dem Völkerstrafrecht verhandelt. 

Am fünften Jahrestag des Völkermordes gegen die Jesiden gedenken Frauen in Stuttgart der Opfer Bild: Getty Images/AFP/T. Kienzle

Am Donnerstag war der mutmaßliche Mörder Taha A.-J. als Zeuge vorgeladen. In Gefängniskleidung wurde der Mann mit den kurzen Haaren und dem gepflegten Bart vorgeführt. Und verweigerte die Aussage.

"Ich habe nur ein Kind mit ihr"

"Das ist mein gutes Recht. Ich habe das mit meinem Anwalt so besprochen", sagte Taha A.-J. über einen Dolmetscher. Bei den Angaben zur Person wurde Taha A.-J. auch nach seinem Beruf gefragt. "Masseur" war die Antwort. Beim "Islamischen Staat" soll er Zeugen zufolge Emir, also "Befehlshaber der Gläubigen" für Geisteraustreibungen gewesen sein.

Taha A.-J. war erkennbar bemüht, größtmögliche Distanz zwischen sich und die 28-jährige IS-Anhängerin aus dem niedersächsischen Lohne zu bringen. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Reinhold Baier, ob er mit der Angeklagten verwandt oder verschwägert sei, stellte Taha A.-J. klar: "Ich habe nur ein Kind mit ihr". Auch bei diesen Worten zeigte Jennifer W. keinerlei Gemütsregung.

Äußere Regungen hatte die Islamistin aus Lohne auch an keinem anderen der bislang gut zwei Dutzend Verhandlungsterminen gezeigt. Auch nicht, als die wichtigste Zeugin der Anklage auftrat, die Mutter des getöteten Mädchen. Über mehrere Verhandlungstage hinweg hatte die 47.-jährige Nora T. ihr Martyrium in den Händen des IS und den Schrecken des grausamen Todes ihrer Tochter im Haus von Taha A.-J. geschildert.

Angekettet am Fenster

Allerdings: Die schwer traumatisierte Frau tat sich mit präzisen Schilderungen schwer. Und sie verstrickte sich in Widersprüche. So konnte sie in Jennifer W. zunächst nicht ihre Peinigerin aus Falludscha erkennen. Später ist sich Nora T. dann sicher: "Ich habe sie an ihren schwarzen Augen und an ihren Haaren erkannt". Auch befragt zu den genauen Todesumständen ihrer Tochter kommen unterschiedliche Antworten: Wie lange Rania am Fenster in der Sonne angekettet war, oder ob ihre Füße den Boden berührten.

Hilfe für Frauen: In der irakischen Stadt Dohuk ist 2017 ein Trauma-Institut für IS- Opfer eingerichtet wordenBild: picture-alliance/dpa/A. Martins

Auf Nora T. als Zeugin wird es wohl auch ankommen, wenn irgendwann im Frühjahr 2020 der Prozess gegen Taha A.-J. beginnt, vermutlich in Frankfurt. Denn hier hat der mutmaßliche IS-Anhänger zuerst deutschen Boden betreten, als er am 9. Oktober von Griechenland nach Deutschland ausgeliefert worden war. Grundlage war ein Haftbefehl des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe von Mitte April.

Die Vorwürfe laut Bundesanwaltschaft: Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Tod des Kindes sei eingebettet in den Plan des IS, die Jesiden auszurotten, hieß es von der Behörde. Zudem "besteht ein dringender Tatverdacht wegen Kriegsverbrechen gegen Personen und wegen Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft". Im Mai war Taha A.-J. in Athen von der Polizei gefasst worden.

In Athen untergetaucht

Der Iraker habe den Irak verlassen, weil es ihm dort zu gefährlich geworden sei, erfuhr die Deutsche Welle aus Kreisen deutscher Sicherheitsbehörden. 2017 habe er sich noch ganz legal in Bagdad einen Reisepass ausstellen lassen. Damit sei er über die Türkei nach Europa eingereist – und dann in Athen untergetaucht.

Taha A.-J. habe sich äußerlich angepasst, seinen Bart abrasiert und versucht, in der Menge unterzugehen, so die Ermittler. Zugleich aber habe er in keiner Weise erkennen lassen, dass er sich von der Ideologie des IS distanziert habe.

Menschenrechtsanwältin Amal Clooney vertritt Nadia Murad an andere IS-Opfer vor Gericht Bild: picture-alliance/abacapress/D. Van Tine

Nora T. ist beim Prozess gegen Jennifer W. nicht nur Zeugin. Sie ist auch Nebenklägerin. Und wird hier unter anderen vertreten von der Menschenrechtsanwältin Amal Clooney. Die Ehefrau von George Clooney hat sich den Kampf der Jesiden um Gerechtigkeit zu eigen gemacht. Die Verhaftung von Taha A.-J. ist für sie ein "Meilenstein für die Überlebenden der brutalen Verbrechen des IS".

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