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Ist Italien das neue Griechenland?

Megan Williams / bea22. Juli 2015

Noch schaut die Welt gebannt auf Griechenland, das verzweifelt gegen die Pleite kämpft. Doch schon gehen die ersten nervösen Blicke in Richtung Italien. Megan Williams berichtet aus Rom.

Symbolbild Italien Eurokrise
Bild: picture alliance/dpa

Gewaltige Schulden, eine stagnierende Wirtschaft, ein aufgeblähter und ineffizienter öffentlicher Dienst - noch vor wenigen Jahren sah es danach aus, als könne Italien in die Krise rutschen und dabei ganz Europa mitreißen.

Seitdem sind die Untergangspropheten zwar etwas leiser geworden, und an den Finanzmärkten haben die Wetten gegen Italien nachgelassen. Doch noch immer ist Europas drittgrößte Volkswirtschaft angeschlagen und ohne klare Richtung für die Zukunft.

Vor kurzem traf ich in Rom eine frühere Nachbarin, die mit ihren Schwestern eine traditionelle pasticceria betreibt, eine Konditorei im Norden der Stadt. Sie erzählte mir, sie würde einen Kurzurlaub in Griechenland machen und dann den restlichen Sommer in Rom arbeiten. Mit der jahrzehntealten, einst sakrosankten römischen Tradition, das Geschäft den ganzen August zu schließen, habe ihre Familie vor einigen Jahren gebrochen, erklärte sie.

"Die Menschen verreisen nicht mehr im Sommer", sagte Cinzia, "und wegen der Krise können wir es uns nicht erlauben, den Laden auch nur für eine Woche zu schließen und Kunden zu verlieren."

Die Zeiten, in denen die Stammkunden der pasticceria zu jedem größeren Anlass Gebäck und Kuchen kauften, sind lange vorbei. "Seit der Rezession haben wir hart daran gearbeitet, unseren Kundenstamm zu vergrößern", sagt Cinzia. "Die Leute achten heute viel stärker auf ihr Geld, kaufen allenfalls ein paar besondere Backwaren und machen den Rest zu Hause selbst."

Pasticceria in Rom: Viele Ladenbesitzer und Unternehmer in Italien spüren den wachsenden wirtschaftlichen DruckBild: DW/M. Williams

Die neue Normalität?

Cinzia hat sich, wie viele Italiener, an die veränderten Umstände angepasst. Sie konnte es sogar vermeiden, Mitarbeiter zu entlassen. Und wie ihre Landsleute sieht sie die Veränderungen nicht als vorübergehend, sondern als neue Normalität.

Und zwar trotz der jüngsten Anzeichen, die auf eine leichte wirtschaftliche Erholung in Italien schließen lassen. So ist die Industrieproduktion im vergangenen Quartal um drei Prozent gestiegen, vor allem wegen der noch immer wichtigen Branchen Automobil- und Maschinenbau.

Premierminister Matteo Renzi sieht das als Beleg für die Wirksamkeit seiner Reformen. Um den Arbeitsmarkt zu beleben, hatte seine Regierung Steuervorteile für Investitionen eingeführt, außerdem Steuergutschriften von monatlich 80 Euro für Geringverdiener und weniger Abzüge vom Lohn.

Renzi verweist auch darauf, dass es zuletzt weniger Arbeitslose und mehr langfristige Arbeitsverträge gab.

Doch einige Beobachter halten das für politische Schönfärberei: Viele Arbeitslose werden von der Statistik gar nicht erfasst, weil sie den Behörden nicht mehr offiziell als arbeitssuchend gemeldet sind. Und mehr langfristige Verträge bedeutet nicht mehr neue Jobs, sondern nur, dass bestehende Verträge umgewandelt wurden.

Selbst für den leichten Anstieg der Industrieproduktion gibt es andere Erklärungen: Öl ist billiger, der schwache Euro verbessert die Exportchancen, und Kredite leicht erhältlich, seitdem die Europäische Zentralbank die Banken mit billigem Geld versorgt. All das kann sich aber schnell ändern.

Ein neuer Pakt

Doch der junge, energische Premier Renzi will unbedingt das Gefühl vermitteln, Italiens Wirtschaft sei auf Erholungskurs. Sein in dieser Woche angekündigter "Pakt mit den Italienern" verspricht Steuererleichterungen von mehr als 50 Milliarden Euro innerhalb der nächsten fünf Jahre, die verhasste Grundsteuer auf selbstgenutztes Wohneigentum entfällt.

Premier Renzi: Optimist oder Schönfärber?Bild: picture-alliance/dpa/A. Carconi

Die Schulden des italienischen Staates haben unterdessen die beängstigende Höhe von 130 Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht - nur Griechenland ist in Europa noch stärker verschuldet. Die griechischen Forderungen nach weniger Austerität und mehr wachstumsfördernder Hilfe hatte Renzi zwar unterstützt. Doch als es bei den Verhandlungen in Brüssel hart auf hart kam, drängte er die Griechen, die Auflagen der Geldgeber zu akzeptieren. Er weiß, dass Italien bis zu 40 Milliarden Euro verlieren könnte, sollte Griechenland bankrott gehen und die Eurozone verlassen.

Viele Italiener sind genervt von der ineffizienten Bürokratie in ihrem Land, den hohen Steuern und der anhaltenden Korruption. Trotzdem glauben sie nicht, dass Italien das nächste Griechenland werden könnte.

Mögliche Kettenreaktion

"Das größe Risiko für Italien wäre ein Angriff großer Finanzinstitute auf das Land", sagt Alfonso Pecoraro Scanio, politischer Kommentator und bis 2008 Umweltminister im Kabinett von Romano Prodi. "Als Spekulanten vor einigen Jahren dachten, wir seien nicht stark genug, ist genau das passiert. Doch jetzt gibt es ein Gefühl der Stabilität in Italien, denn wir haben uns geändert und die Reformen in Angriff genommen, die die Finanzmärkte von uns gefordert haben."

Sorgen macht ihm, wie vielen Italienern, was die Krise in Griechenland für Europa bedeuten könnte. "Beim europäischen Projekt ging es um Solidarität, gemeinsames Wachstum und die Vermeidung von Krieg. Und jetzt sehen wir eine Art Wirtschaftskrieg zwischen Deutschland und Griechenland", sagt Pecoraro Scanio. "Aber natürlich müssen wir den Griechen sagen, dass sie Reformen machen müssen."

Meine Freundin Cinzia, die römische Konditorin, sieht das genauso. Obwohl sie jedes Jahr Urlaub in Griechenland macht, kann sie sich nicht daran erinnern, in Restaurants oder Hotels jemals eine Rechnung erhalten zu haben. "Italien hat auch seine Probleme", sagt sie. "Aber Griechenland hat noch einen weiten Weg vor sich, um zum Rest Europas oder auch nur zu Italien aufzuschließen."