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Wer ist verantwortlich für die Toten von Nordmazedonien?

Sonja Kramarska (aus Skopje)
19. März 2025

59 Tote und über 150 Verletzte - das ist die bittere Bilanz des Brandes in der nordmazedonischen Kleinstadt Kocani. Zu der beispiellosen Tragödie haben die Missachtung von Gesetzen und jahrzehntelange Korruption geführt.

Ein Mann und eine Frau zünden Kerzen in einer nächtlichen Szene an, um der Opfer eines Großbrandes in einem Nachtclub in Kocani zu gedenken. Im Hintergrund sind Menschen mit Plakaten zu sehen
Gedenken an die Opfer der Brandkatastrophe von Kocani in der nordmazedonischen Hauptstadt SkopjeBild: Visar Kryeziu/AP/dpa/picture alliance

"Mörder, Mörder", "Wir verlangen Gerechtigkeit" - die Bürger im Ort Kocani in Nordmazedonien sind aufgebracht. Am Morgen nach dem Unglück im Nachtclub Pulse, bei dem 59 Menschen ums Leben gekommen waren, machen sie ihrem Ärger Luft. Sie zerstören ein Café, das dem Nachtclubbesitzer ebenfalls gehörte und greifen sein Logistikunternehmen an, schlagen Scheiben ein und demolieren ein Fahrzeug und Einrichtungsgegenstände.

Hunderte wütende Demonstranten versammeln sich vor dem Rathaus und fordern Aufklärung und Konsequenzen. Unter dem Schock der Brandkatastrophe und dem Druck seiner erbosten Bürger tritt Bürgermeister Ljupco Papazov noch am gleichen Tag zurück.

Demonstranten haben sich am Montag (17.03.2025) vor dem Büro des Bürgermeisters von Kocani versammeltBild: Boris Grdanoski/AP Photo/picture alliance

Doch die Aufarbeitung des Unglücks hat gerade erst begonnen. Experten sagen, dass die Ursachen des Brandes vielschichtig sind und in der jahrzehntelangen Korruption und der Missachtung von Gesetzen und Vorschriften liegen.

Feuer im Nachtclub

Das Feuer war in den Morgenstunden des 16.03.2025 während eines Konzerts der beliebten Hip-Hop-Band DNK ausgebrochen. Rund 500 Besucher sollen sich laut Innenministerium in dem Club aufgehalten haben, als die Pyrotechnik der Bühnenshow das Dach in Brand setzte. Rasend schnell griff das Feuer auf das ganze Gebäude über.

Viele der zumeist jungen Todesopfer seien ums Leben gekommen, als die Konzertbesucher in Panik zum Ausgang gedrängt hätten, sagte die Direktorin des Krankenhauses von Kocani, Kristina Serafimowska.

Der Nachtclub Pulse in Kocani am Morgen nach dem FeuerBild: Boris Grdanoski/AP/picture alliance

Unter den Toten sind auch Mitglieder der Band. Über 150 Besucher wurden verletzt. Viele von ihnen wurden in den Krankenhäusern der Hauptstadt Skopje und in der Stadt Stip im Osten des Landes versorgt.

76 Verletzte mit Verbrennungen unterschiedlichen Schweregrades mussten allerdings in den Nachbarstaaten und in anderen Ländern Europas behandelt werden. In Nordmazedonien gibt es seit einigen Jahren keine Klinik mehr, die Brandopfer behandeln kann. Die beiden dafür ausgestatteten Krankenhäuser mussten wegen Geldmangels geschlossen werden.

Gier tötet

Der Dekan der Fakultät für Bauingenieurwesen an der Universität von Skopje, Goran Markovski, hofft, dass der tragische Vorfall zu Veränderungen im öffentlichen Bewusstsein und bei den Verantwortlichen führen wird. Es müssten endlich verbesserte Sicherheitsmaßnahmen durchgesetzt werden. Im nationalen Fernsehsender TV24 erklärte Markovski, dass es in der Disko weder ein automatisches Feuerlöschsystem, noch eine automatische Stromabschaltung oder Notausgänge gegeben habe. Er führt das darauf zurück, dass der Betreiber sich die Kosten für solche Sicherheitsmaßnahmen sparen wollte. 

Der zerstörte Club im Ort Kocani hatte keine Notausgänge und keine SprinkleranlagenBild: Robert Atanasovski/AFP

"Die Geldgier bringt nun auch unsere Kinder um. 70 bis 80 Prozent der Lokale in Nordmazedonien, die zu solchen Zwecken genutzt werden, erfüllen nicht die einschlägigen Vorschriften", so Markovski.

"Erosion des Systems"

Experten sind überzeugt, dass der Vorfall hätte vermieden werden können, wenn die Vorschriften eingehalten worden wären. Innenminister Pance Toskovski bestätigte, dass der Nachtclub über keine gültige Betriebsgenehmigung verfügt habe. Erschwerend sei hinzugekommen, dass die Dachkonstruktion aus Holz und Asbest bestand - und darunter ein Gemisch aus Schwämmen und Stoff, weshalb sich der Brand innerhalb von Sekunden ausbreiten konnte.

"Bei dem Bau des Objekts wurde improvisiert", sagte Vladimir Simonovski, stellvertretender Leiter der Feuerwehr in Skopje, gegenüber lokaler Medien.

Rettungskräfte vor dem Krankenhaus von Kocani, in das Tote und Verletzte des Unglücks gebracht wurdenBild: Armin Durgut/AP Photo/picture alliance

In der Öffentlichkeit Nordmazedoniens brodelt es wegen der offensichtlichen Missachtung von gesetzlichen Vorschriften, der zunehmenden Korruption und des von den beiden wichtigsten Parteien des Landes dominierten Systems. Staatsanwalt Ljupco Kocevski fasste die Stimmung mit den Worten zusammen, in Nordmazedonien herrsche die "komplette Erosion des Systems".

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex der Organisation Transparency International belegte das Westbalkanland im Jahr 2024 Platz 88 von 180. Das ist eine Verschlechterung im Vergleich zum Jahr 2023, als Nordmazedonien noch auf Platz 74 rangiert hatte.

Aufklärung gefordert

Die Brandkatastrophe weckt Erinnerungen an ein ähnliches Unglück im Jahr 2021. Damals war ein Feuer in einem während der COVID-Pandemie errichteten Behelfskrankenhaus in der Stadt Tetovo ausgebrochen. Dabei waren 14 Menschen ums Leben gekommen, alles Corona-Patienten und deren Angehörige. Der Fall ist bis heute nicht abschließend geklärt. In der Öffentlichkeit überwiegt der Eindruck, dass die Schuldigen der strafrechtlichen Verfolgung entkommen sind.

"Man sagt, dass schlaue Menschen aus fremden Fehlern lernen, wir jedoch lernen nicht einmal aus unseren eigenen Fehlern", so Goran Markovksi von der Universität in Skopje. "Bei jedem Unfall gibt es Probleme mit Unterlagen und Genehmigungen, also ist es offenkundig, dass das System Schwächen aufweist." Man hätte nie zulassen dürfen, dass die Diskothek in Kocani über einen solch langen Zeitraum ohne die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen betrieben werde.

Premierminister Hrstijan Mickoski spricht zur Öffentlichkeit nach der Brandkatastrophe von KocaniBild: Petr Stojanovski/DW

Premierminister Hristijan Mickoski, der den Unglücksort am Montag zusammen mit Innenminister Toskovski besucht hatte, kündigte an, dass alle Schuldigen zur Rechenschaft gezogen würden.

"Was da passiert ist, zeugt von mehr als kriminellen Machenschaften", so der Regierungschef am Tag nach dem Unglück in Skopje. "Ich würde sagen, dass das ein Massenmord ist, welcher von jemandem zugelassen wurde - des Geldes wegen, aufgrund von Korruption."

Experten mahnen Veränderungen an

Die Bürger Nordmazedoniens drängen auf eine schnelle und effiziente Aufklärung des Falls und eine Bestrafung der Verantwortlichen. Im Moment werden 23 Personen im Zusammenhang mit der Tragödie im Nachtclub Pulse verdächtigt. Unter ihnen sind ein ehemaliger Minister, ein Staatssekretär und Leiter verschiedener Behörden. Sie sollen Lizenzen und Betriebsgenehmigungen erteilt haben.

Innenminister Pance Toskovski besuchte am Montag (17.03.2025) den Unglücksort in KocaniBild: Petr Stojanovski/DW

Der Direktor des Instituts für Demokratie in Skopje, Marko Trosanovski, sagt, dass Korruption der Modus Operandi in der mazedonischen Gesellschaft sei. "Das ganze System ist auf Klientelismus aufgebaut, weshalb es nicht auf geregelten Verfahren, sondern auf Bestechung und andere Interessen beruht", erklärt er im Gespräch mit der DW. "Das ist weit verbreitet, angefangen bei den Lehrkräften in den Schulen, die ein Auge zudrücken und bessere Noten vergeben, bis hin zum Inspektor, der eine Genehmigung für einen Nachtclub erstellt, welcher die Kriterien dafür gar nicht erfüllt."

Die Folge seien Tragödien wie das Unglück von Kocani. Trosanovski sagt voraus, dass sich solche Katastrophen wiederholen würden, wenn sich in Nordmazedonien nichts ändere. "Wir brauchen das öffentliche Bewusstsein und eine veränderte Kultur, damit die politischen Parteien Personen mit Integrität aufstellen anstelle von Loyalisten.

Eine Woche Staatstrauer

Unterdessen haben die Behörden Nordmazedonien am Mittwoch (19.03.2025) Dutzende Nachtclubs und andere Veranstaltungsorte geschlossen. Regierungssprecherin Marija Miteva erklärte, von 50 überprüften Einrichtungen hätten nur 22 über eine gültige Lizenz verfügt.

In Nordmazedonien herrscht eine Woche lang Staatstrauer für die Opfer des FeuersBild: Ognen Teofilovski/REUTERS

Das Unglück hat das kleine Westbalkanland mit seinen zwei Millionen Einwohnern in seinen Grundfesten erschüttert. In Kocani, in Skopje und in anderen Orten fanden am Montag und Dienstag Demonstrationen gegen Korruption und Mahnwachen für die Opfer statt. Die Regierung verhängte eine einwöchige Staatstrauer. Die Opfer der Katastrophe sollen am Donnerstag beerdigt werden.

"Lasst uns ruhig, sanftmütig, friedlich und geduldig bleiben", mahnte Ilarion, der orthodoxe Bischof des betroffenen Distrikts. "Unsere Gebete gelten nicht nur den Verstorbenen, sondern auch der schnellen Heilung und Erholung der Verletzten."