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Ist Kroatien bereit für Europa?

3. Februar 2003

– Faschistischen Ausschreitungen kroatischer Jugendlicher müsste entschiedener begegnet werden

Rijeka, 29.1.2003, NOVI LIST, kroat., Jelena Lovric

Der Präsident der Republik Kroatien Stipe Mesic hat gestern (28.1.) anlässlich der Buchvorstellung "die Geschichte der Kroaten" erklärt, "unsere jüngste Geschichtsschreibung ist nach 1990 unannehmbar. Und seit 2000 ist sehr wenig unternommen worden, damit dies unterbunden und korrigiert wird (Im Januar 2000 fand in Kroatien nach den Wahlen der Regierungswechsel statt – von der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft, HDZ, Franjo Tudjmans zur aktuellen Regierungskoalition – MD) . Daher gibt es bei uns junge Leute, die mit völlig falschen Vorstellungen über Kroatien im Zweiten Weltkrieg ins Leben treten. Sie verfügen sogar über äußerst mangelhaftes Wissen, wie unser Leben und unsere Entwicklung bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts verlaufen ist".

Die Ergebnisse der böswilligen Indoktrinierung während der HDZ-Regierung und der Nachlässigkeit der aktuellen, in diesem Bereich etwas zu verändern, waren am Sonntag (26.1.) in Pohorje (Skigebiet bei Maribor, Slowenien – MD) erkennbar. Dort nahm die Unterstützung der Geschwister (Janica und Ivica) Kostelic (kroatische Skistars – MD) durch ihre Fans unannehmbare Ausmaße an. Die kroatischen Fans terrorisierten die Teilnehmer der Ski-Alpin Weltmeisterschaft. Sie bewarfen Skiläufer, Veranstalter und Begleitpersonal mit vereisten Schneebällen – manchmal enthielten sie auch einen Stein in der Mitte. Es gab Beulen und Blut. Der Vandalismus war auch politisch geprägt. Es waren Fahnen mit einem charakteristisch stilisierten "U" zu sehen (für Ustascha – MD). Die Wochenzeitschrift "Nacional" hat in diesem Zusammenhang auch ein Foto mit einem Transparent veröffentlicht, auf dem den Journalisten dieser Zeitschrift mit Jasenovac (Konzentrationslager in Kroatien während des Zweiten Weltkriegs – MD) gedroht wurde. Wahrscheinlich deswegen, weil sie die positive Einstellung des Vaters der Geschwister Kostelic zum Nationalsozialismus veröffentlicht haben. Dieses Verhalten der kroatischen Fans hat bedauerlicherweise die Chance begraben, dass Sljeme [Skigebiet in Kroatien] eine Ski-Weltmeisterschaft veranstalten kann.

Es gibt allerdings viel wichtigeres als die Frage, ob nun Kroatien Austragungsort einer Sportveranstaltung wird oder nicht. Es ist viel wichtiger, ob Kroatien eine Eintrittskarte für Europa erhält. Und dies hängt unter anderem davon ab, wie sich Kroatien in der Welt darstellt. Durch Barbarei und damit, dass es sich auf eine verbrecherische Politik und ein verbrecherisches Regime beruft, oder wie ein zivilisiertes Volk?

Premier Ivica Racan sucht dieser Tage in den europäischen Metropolen nach Unterstützung für den Beitritt Kroatiens zur EU. Er steht zwar nicht vor verschlossenen Türen, es erfolgt aber immer dieselbe Belehrung: Kroatien muss selbst darüber entscheiden, ob es seine Chancen nutzt. Die Zweifel daran, ob Europa Kroatien aufnehmen wird, müssen umgekehrt formuliert werden. Es stellt sich eher die Frage, ob Kroatien für Europa bereit ist. Eine Antwort auf diese Frage ist ganz und gar ungewiss. Mesic warnt davor, dass "das Hervorheben faschistischer Symbole" und "die Toleranz gegenüber einer Geschichtsumschreibung" sicherlich nicht nach Brüssel führen.

Mit Geschichtsbüchern, die die kroatische Jugend lehren, dass der NDH (Unabhängiger Staat Kroatien, 1941 gegründet unter den Ustascha – MD) der Ausdruck der historischen Sehnsucht des kroatischen Volkes war. Mit Geschichtsbüchern, in denen die Bedeutung des kroatischen Antifaschismus relativiert wird. Mit einer nationalistischen Interpretation der Welt und der Geschichte, mit Horden von Grünschnäbeln, die Jasenovac als eine zulässige Methode betrachten, um politische Gegner zu disziplinieren – so ist Kroatien sicherlich nicht bereit für Europa. Und wird es auch nicht sein.

Die Angelegenheit ist nämlich noch gefährlicher, als es auf den ersten Blick scheint. Die Köpfe mindestens einer Generation sind gefüllt mit einer verkehrten Geschichtsauffassung und mit einer verkehrten Werteskala. Diese Jugendlichen schmücken sich heute in Skigebieten oder auf Konzerten mit Ustascha-Abzeichen und glauben, dass sie auf diese Weise ihr Super-Kroatentum zum Ausdruck bringen. Die aktuelle Regierung erweist sich als gänzlich unverantwortlich gegenüber der Zukunft des Landes, wenn sie bislang keinen Finger gerührt hat, um die verquere Geschichtsinterpretation von Tudjman aufzuhalten. Es handelt sich dabei nicht nur darum, dass Tatsachen falsch und tendenziös interpretiert werden. Das Problem besteht darin, dass sich ein auf Antifaschismus begründetes Europa und ein in diesem Punkt schwammiges Kroatien einfach nicht verstehen können. Wenn in deutschen Sportstadien Auschwitz heraufbeschworen würde, würde dies ganz Deutschland aufbringen. Europa wird es nie akzeptieren, dass ein Liebäugeln mit den Ustascha als zulässiger Schabernack durchgeht. (md)