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PolitikMontenegro

Ist Montenegro für den Westen verloren?

2. August 2024

Montenegro hat eine neue Regierung, in der prorussische und proserbische Parteien eine wichtige Rolle spielen. Das bisher prowestliche und proeuropäische Westbalkan-Land ist gespalten. Wohin steuert es politisch?

Ein Mann (Milojko Spajic) im Anzug vor einer roten (montenegrinischen) Fahne mit goldenem Wappen
Der montenegrinische Premierminister Milojko SpajicBild: Risto Bozovic/AP Photo/picture alliance

Noch unlängst schien das kleine Westbalkan-Land Montenegro auf einem klaren proeuropäischen Weg zu sein.

Der seit drei Jahrzehnten in verschiedenen Funktionen amtierende Autokrat Milo Djukanovic war im April 2023 als Präsident abgewählt worden. Seine einstige kommunistische Nachfolge-Organisation Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) hatte bereits im Sommer 2020 in die Opposition gehen müssen.

Seitdem lief politisch zwar oft nicht alles glatt - dennoch standen Montenegros EU-Integration, seine transatlantische Ausrichtung und seine Reformpolitik, darunter vor allem der Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität, nicht in Frage.

Das könnte sich nun ändern. Denn seit vergangener Woche hat Montenegro eine Regierung, die unabhängige Beobachter im Land als regelrechtes Schreckenskabinett sehen.

"Sie spaltet die Gesellschaft gefährlich und stellt den europäischen Weg und Charakter des Staates in Frage", schreibt beispielsweise der Publizist und Direktor der Zeitung Vijesti, Zeljko Ivanovic.

Die montenegrinischen proserbischen Politiker Milan Knezevic (li.) und Andrija Mandic (re.)Bild: Radomir Kračković/DW

Der seit Herbst 2023 amtierende montenegrinische Premierminister Milojko Spajic vom Bündnis Europa Jetzt (PES) stellte vergangene Woche sein umgebildetes Kabinett vor. Getragen wird es von einer Koalition, zu der auch die Führer proserbischer und prorussischer Parteien gehören, darunter Andrija Mandic und Milan Knezevic, die Vorsitzenden der Parteien Neue Serbische Demokratie (NSD) und Demokratische Volkspartei Montenegros (DNP). Mandic ist seit Oktober 2023 auch Parlamentspräsident Montenegros.

Gegen die Staatsräson Montenegros

Mandic und Knezevic sind erklärte Putin-Anhänger, sprechen sich indirekt gegen Montenegros 2006 ausgerufene Unabhängigkeit von Serbien aus und lehnen die EU-Integration wie auch die seit 2017 bestehende NATO-Mitgliedschaft des Landes ab. Sie plädieren für eine enge Anbindung Montenegros an Serbien, sind gegen Kosovo als unabhängigen Staat und leugnen den Völkermord von Srebrenica. Sie und ihre Parteien stellen damit alles in Frage, was zur Staatsräson und Identität Montenegros gehört.

Der proserbische montenegrinische Politiker Andrija Mandic, hier nach seiner Wahl als Parlamentspräsident am 30.10.2023Bild: Stevo Vasiljevic/REUTERS

Einer der Nebenaspekte der neuen Regierung ist, dass die Anzahl der Ministerinnen und Minister auf die Rekordzahl von 32 Mitgliedern anwuchs - in einem Land, das nur etwas mehr als 600.000 Einwohner hat und damit ungefähr so viel wie Stuttgart.

Der Eintritt von Politikern wie Mandic und Knezevic in die Regierungskoalition war Teil eines Deals zwischen Spajic und proserbischen Parteien. Spajic, dessen proeuropäische Partei nach den Wahlen vor einem Jahr nur über eine dünne Mehrheit verfügte, wurde von 13 Abgeordneten aus dem proserbischen Block unterstützt. Als Gegenleistung sollten diese Parteien mit Ministerposten belohnt werden, was jetzt geschehen ist. NSD und DNP besitzen in der neuen Regierung zwar keine Schlüsselposten, und Mandic und Knezevic selbst haben auch keine Ministerämter inne. Doch ob die Zusammenarbeit zu "mehr Stabilität" für Spajics Regierung führt, wie der Premier verspricht, ist fraglich.

"Von Moskau und Belgrad geführt"

Reaktionen aus dem Inland und Ausland ließen nicht lange auf sich warten. Der montenegrinische Präsident Jakov Milatovic, der sich vor ein paar Monaten von Spajic und dessen PES wegen eines Streits über den nationalen Energiekonzern getrennt hat, gab in seinem Kommentar zur wiederhergestellten Regierung Montenegros bekannt, dass "Montenegro ein Opfer des primitivsten politischen Handels und der Verantwortungslosigkeit sei, die Premierminister Milojko Spajic bei der Führung des Landes kontinuierlich an den Tag lege".

Der montenegrinische Präsident Jakov MilatovicBild: DW

Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende der oppositionellen Demokratischen Partei der Sozialisten, Andrija Nikolic. Er ist jedoch im Unterschied zu Milatovic, der als Serbien-freundlich gilt, viel direkter in seiner Kritik.

"Es handelt sich um eine Regierung, die von Moskau und Belgrad aus geführt werde", sagte er vergangene Woche gegenüber montenegrinischen Medien.

Auch die US-Regierung, die sich bereits früher klar gegen die Beteiligung proserbischer Parteien positioniert hatte, reagierte via Botschaft prompt. "Wir sind besorgt über die Aufnahme von Parteien und Führern in die montenegrinische Regierung, die die russische Aggression gegen die Ukraine nicht verurteilen, die EU-Sanktionen gegen Russland ablehnen und deren Handlungen in direktem Widerspruch zum Grundsatz der gutnachbarlichen Beziehungen stehen", heißt es in einer Mitteilung der US-Botschaft in Podgorica.

In Kroatien unerwünscht

Der Nachbar Kroatien reagierte am heftigsten: Einen Tag nach der Regierungsumbildung erklärte das kroatische Außenministerium drei hochrangige Politiker zu unerwünschten Personen in Kroatien.

Neben Mandic und Knezevic betrifft das auch den Vizepremier Aleksa Becic, einen zentristischen Politiker, dessen politische Positionen häufig schwanken. Die drei sind in Kroatien aufgrund "systematischer Maßnahmen zur Störung der gutnachbarschaftlichen Beziehungen" und "anhaltendem Missbrauch der Republik Kroatien für innenpolitische Zwecke" unerwünscht, wie es in der Erklärung Kroatiens heißt.

Der montenegrinische Vize-Premier Aleksa BecicBild: Becic's party Democrats

Anlass für den kroatischen Schritt ist die "Resolution über Jasenovac", die vom Parlament in Podgorica Ende Juni verabschiedet wurde. Jasenovac war im Zweiten Weltkrieg ein kroatisches Konzentrationslager, in dem Serben, Juden und Roma ermordet wurden.

Jasenovac ist bis heute eines der Symbole der serbisch-kroatischen Erzfeindschaft. Verabschiedet wurde die Resolution auch als eine Art Antwort auf die UNO-Resolution zum Völkermord von Srebrenica. Da Montenegro in der UNO für die Srebrenica-Resolution gestimmt hat, haben proserbische Kräfte in Montenegro, so die Meinung von Beobachtern in Kroatien, die Jasenovac-Resolution als "Gegenmaßnahme" durchgesetzt.

"In den Abgrund oder in die EU"

Wie wird sich nun der Eintritt proserbischer und prorussischer Parteien auf die Außenpolitik Montenegros auswirken? Zlatko Vujovic, Politologe der Nichtregierungsorganisation Cemi (Centre for Monitoring and Research) aus Podgorica, glaubt, dass der Eintritt proserbischer und prorussischer Kräfte in die Regierung keine Überraschung ist, sondern ein Prozess, der schon länger andauert.

"Wir haben jetzt die Kräfte, die unter Kontrolle des serbischen Präsidenten Vucic stehen, und die sich dafür einsetzen, dass Montenegro nicht in die EU kommt und sich von der NATO entfernt", sagt Vujovic der DW.

Proserbischer Protest in Podgorica am 22.05.2024 gegen die Verabschiedung der UN-Resolution zu SrebrenicaBild: Stevo Vasiljevic/REUTERS

Vuk Maras, Anti-Korruptionsaktivist und Leiter des Investigativ-Netzwerks BIRN in Montenegro, sagte seinerseits der DW: "Wir haben jetzt eine große Gruppe innerhalb der Regierung, die die montenegrinische Mitgliedschaft in der NATO und die Annäherung an die EU nicht unterstützt. Ich bin mir sicher, dass diese Gruppe früher oder später Maßnahmen ergreifen wird, die gegen die prowestliche Richtung Montenegros gerichtet sind."

Für den Publizisten Zeljko Ivanovic ist die politische Lage in Montenegro offen. Doch er spitzt die Situation auf zwei Möglichkeiten zu: "In den Abgrund oder in die EU."

Was das derzeit angespannte montenegrinisch-kroatische Verhältnis angeht, so ist der kroatische Politologe Zarko Puhovski der Meinung, das Problem der Jasenovac-Resolution sei "aufgebläht", vor allem sei es problematisch, dass die kroatische Regierung es diesmal verpasst hat, sich zu Gräueltaten in Jasenovac zu bekennen.

Und, so fügt Puhovski mit Blick auf Montenegro hinzu: "Kroatien hat mit seinem Nachbarland eigentlich andere Probleme, wie zum Beispiel den nicht definierten Grenzverlauf oder offene Immobilienansprüche."