Ist nach der Osterweiterung das Boot voll?
25. Februar 2004Bonn, 25.2.2004, DW-RADIO, Klaus Dahmann
Die Spitzen der deutschen Unions-Parteien CDU und CSU schreiben dieser Tage Schlagzeilen, die in den Ländern am Südost-Rand des europäischen Kontinents Besorgnis erregen: CDU-Chefin Angela Merkel war während ihres jüngsten Türkei-Besuchs bemüht, die Regierung in Ankara von ihren EU-Beitrittsplänen abzubringen, und bot stattdessen eine "privilegierte Partnerschaft" an. Und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber sprach sich in einem Zeitungs-Interview nicht nur gegen den Türkei-Beitritt sondern auch gegen eine Aufnahme Bulgariens und Rumäniens im Jahre 2007 aus: Mehr als die Osterweiterung am 1. Mai sei erst einmal nicht möglich, sagte der CSU-Politiker, denn mehr könne die EU finanziell nicht verkraften. Ähnlich ablehnend äußerte sich die CDU-Europapolitikerin Doris Pack in einem Interview mit der Deutschen Welle zu Mazedonien. Der Balkan-Staat überreicht am Donnerstag (26.2.) in Dublin der irischen Ratspräsidentschaft seinen Antrag zum Beginn von Beitrittsverhandlungen.
Das Boot ist voll - auf diese Formel haben sich Angela Merkel und Edmund Stoiber offenbar eingeschworen. Die EU müsse erst einmal den Beitritt der jetzigen zehn Beitrittskandidaten verkraften. Wer sonst noch herein wolle, der solle sich doch bitte etwas gedulden.
So lautet die Botschaft nicht nur an Bulgarien und Rumänien, die schon jetzt mit einem Fuß in der EU stehen und 2007 dann - voraussichtlich - ganz. Auch die Mazedonier, die gerade erst die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen beantragen wollen, sollten das lieber zu einem späteren Zeitpunkt tun, meint die christdemokratische EU-Abgeordnete Doris Pack. Im Moment sei die EU einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Und wenn die Türkei zur Sprache kommt, mauern Merkel, Stoiber und Co. völlig: Ihr würden sie - auch aus zahlreichen anderen Gründen - am liebsten überhaupt keinen Platz im Boot EU anbieten.
Sicher: die jetzige Osterweiterung kostet Geld. Und Geld für Brüssel ist eben der Posten im Haushalt, den die großen Netto-Zahler wie Deutschland derzeit drosseln wollen. Noch mehr EU-Beitritte in den nächsten Jahren kosten noch mehr Geld, so die Logik von CDU und CSU. Eine Logik, die sich, da Sparen zum obersten Gebot geworden ist, auch innenpolitisch ausschlachten lässt: Fünf Landtags- und acht Kommunal-Wahlen stehen dieses Jahr an. Hinzu kommt - nicht zu vergessen - die Europa-Wahl.
Populistische Parolen wie diese - dass die EU sich zusätzliche Erweiterungsrunden vorerst nicht leisten kann - sind jedoch Schein-Argumente. Wer in der EU die Kosten gering halten will, muss dort ansetzen, wo der Großteil des Geldes ausgegeben wird: Fast 80 Prozent des EU-Haushalts gehen für die Subventionierung der europäischen Landwirte und für die Förderung strukturschwacher Regionen drauf. Diesem Subventions-Wahn muss die EU Einhalt gebieten. Nur dann ist die jetzige Erweiterungsrunde finanziell zu stemmen. Und dann fällt es nicht mehr sehr ins Gewicht, in drei Jahren Bulgarien und Rumänien in die EU aufzunehmen. Oder in zehn oder zwölf Jahren auch Mazedonien. Oder vermutlich noch später eine - demokratisierte - Türkei.
Bemerkenswerterweise ist ein aufnahmewilliges Land bisher von Merkel und Stoiber verschont geblieben: Kroatien. Zum einen wohl, weil das CSU-geführte Bayern traditionell enge politische und wirtschaftliche Kontakte nach Zagreb unterhält. Zum zweiten, weil Merkel und Stoiber ihren Freund Ivo Sanader von der konservativen HDZ-Partei offenbar besonders gern haben. So gern, dass sie sogar persönlich für ihn in Wahlkampf-Spots geworben und ihm Europa-Tauglichkeit attestiert haben. Zum dritten - und das dürfte das Wichtigste sein -, weil Kroatien eben so nah an Deutschland liegt.
Und hier liegt der Kern der Sache: Politisch gesehen gibt es zu einer Aufnahme der Länder Südosteuropas keine Alternative. Wenn die EU diese Staaten noch lange außen vor lässt, riskiert sie eine erneute Destabilisierung der Region.
Diesen Standpunkt vertreten übrigens nicht nur die regierenden Sozialdemokraten und Grünen in Deutschland, sondern auch zahlreiche konservative Parteien in anderen EU-Ländern. Und deshalb hat der Populismus à la Merkel und Stoiber auch kaum eine Chance, zur europäischen Mehrheits-Meinung zu werden.
Das Boot ist noch nicht voll. Damit aber nach dem 1. Mai dieses Jahres weitere Passagiere Platz finden können, ist noch einiges zu tun. Nicht nur in den beitrittswilligen Ländern, sondern auch in der EU selbst. (fp)