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Politik

Ist Polen zu stolz für deutsche Corona-Hilfe?

Magdalena Gwozdz-Pallokat
6. November 2020

Deutschland bietet Polen Hilfe bei der Corona-Bekämpfung an, Warschau aber zeigt sich distanziert - obwohl das polnische Gesundheitswesen derzeit an seine Grenzen stößt.

Polen Warschau | Coronavirus
Maskenpflicht in WarschauBild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Es vergehen manchmal keine zehn Minuten, ohne dass auf Warschaus Straßen wieder die Sirene eines Krankenwagens aufheult. Neu ist das nicht - es gehört seit Beginn der Pandemie quasi zum Klangteppich in der polnischen Hauptstadt. Doch seitdem sich die zweite Corona-Welle in Polen ausbreitet, fragen sich viele Polen: Wo bringen sie bloß die Patienten hin? Denn die Betten in Krankenhäusern werden knapp, die Ärzte und das Krankenhauspersonal arbeiten am Rande der Erschöpfung und in den Medien häufen sich düstere Meldungen.

Sehr häufig in den letzten Tagen berichten Fernsehsender über die fatale Situation im polnischen Gesundheitswesen, veröffentlichen Funkgespräche zwischen den Rettungssanitätern in Krankenwagen und Krankenhaus-Leitzentralen. Viele dieser Aufzeichnungen spiegeln eine äußerst angespannte Lage wieder: Schlangen von Rettungswagen vor den Krankenhäusern, geschlossene Krankenhaustüren.

Das Portal TVN24 veröffentlichte ein Gespräch, in dem ein wartender Rettungswagen verzweifelt durchgibt, dass der Sauerstoff ausgeht. Daraufhin ist eine Stimme aus der Leitzentrale zu hören: "Kann man nichts machen. Dann wird die Patientin sterben, weil das Krankenhaus keinen Sauerstoff hat (…)".

Steigende Corona-Zahlen in Polen

Laut Regierungsstatistik gibt es immer noch freie Intensivbetten und Beatmungsgeräte im Land. Am 4. November vermeldete das Gesundheitsministerium, dass von 2094 Beatmungsgeräten immer noch 469 zur Verfügung stünden. Doch dass sie gerade dort verfügbar sind, wo sie gebraucht werden, bezweifelt der Arzt Pawel Grzesiowski: "Das sind Daten auf dem Papier, Wünsche der Bezirksregierungen, aber nicht wirklich freie Betten und Geräte. Hier in Warschau etwa haben wir zwar Beatmungsgeräte erhalten, aber sie sind tschechischer Produktion und dafür gibt es im ganzen Land nur zwei Techniker. Werden sie mitgezählt? Ja", erklärt er in einem Interview und fügt hinzu, eine Statistik, die nicht die Realität abbilde, könne nicht beruhigen.

Respisave, ein ferngesteuertes Beatmungsgerät, im Zentrum MedExcellence, WarschauBild: Reuters/K. Pempel

Inzwischen hat das Nationalstadion in Warschau, auf dem ein vorläufiges Krankenhaus für Covid-Kranke errichtet wurde, bereits erste Patienten aufgenommen. Angesichts von mehr als zuletzt 27.000 gemeldeten Neuinfektionen (Stand 05.11.2020) bei knapp 40 Millionen Bürgern, herrscht in Polen derzeit eine zweifellos ernste und angespannte Lage.

"Lieber Andrzej", "Lieber Frank"

Ende Oktober bot Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (damals selbst in Quarantäne) seinem an COVID-19 erkrankten polnischen Amtskollegen Andrzej Duda Hilfe bei der Corona-Bekämpfung an. In einem eigenhändig geschriebenen Brief bat er: "Bitte lass mich wissen, wenn es Dinge gibt, die wir für Polen in der aktuellen Lage tun können". Er äußerte auch seine Zufriedenheit darüber, "dass darüber schon Gespräche stattfinden". Distanziert zeigte sich Vize-Außenminister Marcin Przydacz im Interview mit dem Privatsenden TVN24. Es gebe keine Entscheidung, dass Polen keine Hilfe von Deutschland annehmen möchte, weil es auch kein konkretes Angebot seitens Deutschlands gegeben habe. "Wir würden erwarten, dass ein konkretes Angebot über diplomatische Kanälen käme. Wenn eine solche Unterstützung nötig sein wird, werden wir darauf antworten. Wir möchten mit unseren Partnern über diplomatische Kanäle sprechen, aber ich sehe, dass sich dafür vor allem Medien interessieren", antwortete er der Moderatorin auf die Frage, ob Hilfsangebote nun angenommen würden. Przydacz bestritt auch, dass er mit seinen deutschen Kollegen darüber gesprochen hätte. "Wir haben darüber gar nicht gesprochen. Die deutsche Seite wies auf kein Angebot hin", erklärte Przydacz.

Martin Przydacz, polnischer Vize-Außenminister: "Wir haben darüber gar nicht gesprochen"Bild: picture-alliance/dpa/M. Ulander

Tatsächlich haben bereits drei deutsche Nachbarstaaten - Frankreich, die Niederlande und Tschechien - Hilfen erbeten und auch erhalten: Es geht um Medizintechnik, um die Übernahme von Behandlungen und ähnliches. Polen sei nicht an die deutsche Seite herangetreten, auch nicht über die EU-Mechanismen, die für solche Fälle vorgesehen sind, heißt es aus Diplomatenkreisen.

Polens Präsident Andrzej Duda, der seine COVID-Erkrankung überstanden hat, ging in seiner Antwort an Steinmeier nicht konkret auf dessen Angebot ein. Er bedanke sich "für den Vorschlag eventueller Hilfe von deutscher Seite. Auch Polen stehe bereit, Deutschland im Kampf gegen Corona zu helfen, falls nötig", schrieb Duda.

Gesundheitsminister Adam Niedzielski gab dagegen zu, dass die medizinischen Kapazitäten in Polen derzeit an ihre Grenzen stoßen. Es sei "Zeit für die Notbremse”, und die Zahl der Erkrankungen müsse drastisch gesenkt werden. "Unser Gesundheitswesen nähert sich oder befindet sich an der Grenze der Funktionsfähigkeit. Wir unternehmen selbstverständlich weitere Schritte, die seinem Ausbau dienen, aber das ist die Zeit, in der man die Notbremse ziehen muss”, sagte Niedzielski bei Einführung weiterer Beschränkungen.

Trotzdem erklärte Regierungssprecher Piotr Müller im Sender Polsat News, dass in der derzeitigen Etappe der Epidemie eine Hilfe seitens Deutschland schlicht nicht notwendig sei.

"Lieber ein toter Bürger als einer unter einem deutschen Beatmungsgerät?"

Die Opposition schlägt Alarm und vermutet nationalen Stolz am Werk, der es nicht erlaube, gerade aus Deutschland Hilfe anzunehmen. Die Oppositionsabgeordnete Kamila Gasiuk-Pihowicz twitterte: "Ist der Grad des Wahnsinns dieser Regierenden so hoch, dass ihnen ein toter Bürger lieber ist als einer unter einem deutschen Beatmungsgerät?"

Corona-Test im Solec-Krankenhaus in WarschauBild: Czarek Sokolowski/dpa/picture-alliance

Doch nicht nur Politiker zeigen sich besorgt bis empört über die Haltung der polnischen Seite. Auch die Vereinigung der Chirurgen "Skalpell" vermerkte: "Wenn alle Beatmungsgeräte schon besetzt sein werden (außer denen, die für die Regierenden reserviert sind), werden die Polen vor unseren verzweifelten Augen sterben. Zwingt uns nicht, zu entscheiden”.

Entschieden hat sich unterdessen Tschechien - hier nimmt man Deutschlands Hilfe an. Polens Nachbarland profitiert bereits von 100 Beatmungsgeräten und jetzt werden zwei Intensivmediziner von der Bundeswehr nach Tschechien geschickt, um bei der Behandlung schwerkranker COVID-Patienten zu helfen. Auch wurde vereinbart, wenn nötig, Corona-Intensivpatienten von Tschechien nach Deutschland zu verlegen.

Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen