1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ist Spott über Gott erlaubt?

Suzanne Cords28. Oktober 2014

Es ist der Job eines Kabarettisten, sich über alles und jeden lustig zu machen. Je böser die Kommentare, desto begeisterter das Publikum. Doch wenn über Religion gewitzelt wird, stößt die Toleranz oft an ihre Grenzen.

Theater Vorhang
Bild: picture-alliance/dpa/Jens Wolf/

Kabarett darf das, sagen die einen; man dürfe das nicht so tragisch nehmen. Auf keinen Fall, schimpfen die anderen; auf religiöse Gefühle müsse man ganz besonders Rücksicht nehmen. In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit, sie ist im Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes verankert. Da steht auch: "Eine Zensur findet nicht statt." Auf der anderen Seite gibt es den Paragraphen 166 im Strafgesetzbuch, der die Beschimpfung von Religionen und Weltanschauungen unter Strafe stellt, wenn diese "geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören".

Doch wer entscheidet darüber, wann dieser Friede gestört ist? In der westlichen, christlich geprägten Welt regt sich kaum noch jemand darüber auf, wenn Kabarettisten sich über eine Religion und ihrer Heiligen lustig machen. "Der Volksmund sagt: Religion ist Opium für das Volk. Das ist irreführend. Opium ist eine bewusstseinserweiternde Droge", lästerte zum Beispiel der beliebte Kabarettist Volker Pispers.

Im Zeitalter der Aufklärung sieht man in der westlichen, christlich geprägten Gesellschaft meist gelassen über solche Sprüche hinweg, auch dann, wenn ein Witz mal persönlicher wird oder unter der Gürtellinie landet. Nur Volksverhetzung ist – zu Recht – verboten, niemand darf zum Hass gegen Minderheiten aufstacheln.


Zum Lachen oder nicht?

Dabei hat man auch im Westen lange mit sich gerungen, ob man die Religionskritik akzeptiert und vielleicht sogar darüber lachen kann. Man denke an den 1979 erschienenen Film "Das Leben des Brian" der britischen Komikertruppe Monty Python, in dem der Titelheld aufgrund vieler Missverständnisse als Messias verehrt wird. Oder an das Satiremagazin "Titanic", das 2012 den damaligen Papst Benedikt XVI. auf dem Cover verewigte – mit Kussspuren auf der Soutane und einem Kussmund auf seiner Wange. Überschrift: "Der Papst bleibt sauber!" Die katholische Kirche fand das gar nicht lustig, der Bamberger Erzbischof verlangte im gleichen Jahr sogar, dass Gotteslästerung unter Strafe gestellt werden soll. "Wer die Seele der Gläubigen mit Spott und Hohn verletzt, der muss in die Schranken gewiesen und gegebenenfalls auch bestraft werden", begründete er seine Forderung.

Brian sang am Kreuz "Always look on the bright sight of life"Bild: picture-alliance


Blasphemie unter Strafe?

Was der bayerische Erzbischof sich für Deutschland erhofft, ist in anderen Ländern mit einer Staatsreligion oft Realität. So kann Blasphemie im Iran, in Saudi-Arabien oder in Pakistan sogar mit der Todesstrafe geahndet werden. Wenn die Werte zweier Gesellschaften aufeinanderprallen, kann es zum Eklat kommen, so geschehen beim Streit um die Mohammed-Karikaturen, die 2005 in der dänischen Tageszeitung "Jyllands-Posten" erschienen. Als die ägyptische Zeitung "Al Fager" sie nachdruckte, kam es zu Demonstrationen und gewalttätigen Ausschreitungen. Auf diplomatischer Ebene kriselte es gewaltig zwischen der dänischen Regierung und den Regierungen mehrerer islamischer Staaten. Der Zeichner der umstrittenen Karikaturen, Kurt Westergaard, erhielt Morddrohungen von radikalen Islamisten und steht bis heute unter Polizeischutz.

Muslime in aller Welt fanden diese Zeichnungen NICHT witzigBild: picture-alliance/dpa


Einsatz für die Freiheit

Der Fall löste damals eine weltweite Debatte über Meinungsfreiheit aus. Als der Cartoonist für seine unbeugsame Haltung den Potsdamer Medienpreis zugesprochen bekam, würdigte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den Dänen in ihrer Laudatio ausdrücklich: Als Zeichner dürfe Westergaard derartige Zeichnungen fertigen. Die europäischen Staaten seien ein Ort, wo dies möglich sei. "Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut", sagte sie und rief dazu auf, verantwortungsvoll mit der Würde des Menschen und der Religionsfreiheit umzugehen. Prompt gab es Kritik aus den Reihen des Zentralrats der Muslime in Deutschland: Der Däne habe alle Muslime mit Füßen getreten, beschwerte sich damals Generalsekretär Aiman Mazyek. Die Auszeichnung sei in einer aufgeladenen und erhitzten Zeit hochproblematisch.

Angela Merkel und Joachim Gauck würdigen Westergaards mutige HaltungBild: dapd


Der Fall Nuhr

Und jetzt gibt es wieder einen Fall, bei dem die Meinungen auseinandergehen. Der Muslim Erhat Toka aus dem Provinzstädtchen Osnabrück hat Anzeige gegen den Kabarettisten Dieter Nuhr erstattet. Begründung: der Entertainer betreibe "blöde dumme Hetze" gegen den Islam, ja, er sei sogar ein "Hassprediger". Dabei bezieht sich Toka auf Sprüche wie "Der Islam ist nur tolerant, wo er keine Macht hat" oder "Im Islam ist die Frau zwar frei, aber in erster Linie frei davon, alles entscheiden zu müssen".

Barbara Hornberger, Expertin für populäre Kultur an der Universität Hildesheim, kann kein Fehlverhalten feststellen. Nuhr habe sich des normalen kabarettistischen Leitfadens bedient, sagt sie: "Er hat zugespitzt und karikiert. Man kann das für geschmacklos und wenig hilfreich für die Integrationsdebatte halten, aber das ist auch nicht seine Aufgabe. Es geht hier um Unterhaltung."

"Empfindlichkeit ist kein Maßstab"

Bei solchen Auseinandersetzungen würde immer gern das Argument vorgetragen, man dürfe kein Öl ins Feuer gießen, meint Hornberger weiter. Die Empfindlichkeit unterschiedlicher Gruppen sei im Theater aber kein Maßstab: "Ein Kabarettist ist nicht die Caritas der populären Kultur." Dem Kläger Toka räumt die Kulturwissenschaftlerin wenig Chancen ein: Die Akte Toka/ Nuhr wäre schnell verstaubt, wenn die Presse den Fall nicht hochgekocht hätte", meint sie. "Aber auch Toka hat sich korrekt verhalten; schließlich hat er Nuhr nicht mit einem Messer attackiert, sondern den Rechtsweg beschritten."

Dieter Nuhr spottet über Islam und ChristentumBild: picture-alliance/dpa/Uwe Zucchi

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Muslim gegen die Äußerungen des Satirikers protestiert. Nuhr ist einer der wenigen, die sich überhaupt trauen, immer wieder Witze über den Islam zu reißen – wobei der Fairness zuliebe gesagt werden muss: Auch das Christentum hat er immer wieder im Visier. Die Angst vor radikalen islamischen Vertretern beschränke die freie Meinungsäußerung auch in der westlichen Welt, ist Nuhr überzeugt. "Es ist das erste Mal seit 1945 so, dass man befürchten muss, umgebracht zu werden, weil man was Falsches sagt. Weil das irgendein Geistlicher in Pakistan meint", sagte er der "Welt".

"Auch Behinderte haben ein Recht, verarscht zu werden"

Die europäischen Länder sind längst ein Schmelztiegel, wo Menschen unterschiedlichster Herkunft, Religion und Kultur aufeinandertreffen. Doch wie weit muss sich ein aufgeklärter Staat seinen Minderheiten beugen? Darf man über Jesus Witze machen, weil sich der deutsche Christ nicht darüber aufregt? Nicht aber über Allah, weil türkischstämmige deutsche Muslime sich angegriffen fühlen könnten? Keine leichte Frage in einer multikulturellen Gesellschaft. Doch die westlichen, hart erkämpften Grundrechte garantieren nun mal die Meinungsfreiheit und fordern Toleranz. Und so sollte kein Kabarettist vor irgendwelchen Religionsgemeinschaften kuschen müssen, egal welcher Couleur.

Harald Schmidt und Fred Feuerstein (unten im Bild) waren für ihre zynischen Sprüche bekanntBild: picture-alliance/dpa

Wahre Integration sei erst dann gegeben, wenn alle Gruppen – Ausländer, Muslime, Christen oder Homosexuelle - gleichermaßen in den Fokus der Kabarettisten gerieten, meint Barbara Hornberger und zitiert den Satiriker Herbert Feuerstein: "Auch Behinderte haben ein Recht, verarscht zu werden."