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RechtsstaatlichkeitUngarn

Ist Ungarn für die EU-Ratspräsidentschaft geeignet?

Ella Joyner
4. Juni 2023

Ungarn soll im Jahr 2024 turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Mitglieder des Europäischen Parlaments sind jedoch skeptisch, ob das Land angesichts seiner eigenen Probleme für dieses Amt geeignet ist.

Belgien Brüssel | Viktor Orban steht umringt von EU-Flaggen und hält einen blauen Ordner in der Hand
Ungarns Ministerpräsident Orban könnte bei EU-Gipfeln 2024 eine führende Rolle übernehmenBild: Nicolas Maeterlinck/dpa/BELGA/picture alliance

Die Übergabe der EU-Ratspräsidentschaft von einem Mitgliedstaat an den nächsten sollte eigentlich eine reine Formalität sein. Doch wenn es um Ungarn geht, werden die Dinge in Brüssel oft kompliziert.

Ungarn soll erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 für sechs Monate den Vorsitz bei EU-Sitzungen übernehmen und die Gesetzgebung vorantreiben, aber das Europäische Parlament bereitet sich schon jetzt auf einen Showdown vor. Mit 442 zu 144 Stimmen bei 33 Stimmenthaltungen äußerten die EU-Abgeordneten Zweifel daran, dass die ungarische Regierung der Aufgabe gewachsen ist, da sie sich über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit im Land Sorgen machen.

In einer nicht bindenen Resolution hieß es, man frage sich "ob Ungarn angesichts der Nichteinhaltung des EU-Rechts in der Lage sein wird, diese Aufgabe im Jahr 2024 glaubwürdig zu erfüllen". In der Erklärung werden die Mitgliedstaaten zudem aufgefordert, "so schnell wie möglich eine angemessene Lösung zu finden". Weiter hieß es, "das Parlament könnte geeignete Maßnahmen ergreifen, wenn eine solche Lösung nicht gefunden wird". Wie genau so eine Lösung aussehen könnte, bleibt in dem Text unklar.

Ungarn: "Völliger Unsinn"

Die ungarische Justizministerin Judit Varga wies die Möglichkeit zurück, dass sich die Kandidatur Ungarns für den Ratsvorsitz verzögern könnte. Auch geht sie nicht davon aus, dass Ungarn übergangen werden könnte. "Das ist völliger Unsinn", sagte sie vor der Presse in Brüssel. "Das ist nur der politische Druck des Europäischen Parlaments." Und das Europäische Parlament habe nicht das Recht, sich in die Verwaltung der EU-Ratspräsidentschaft einzumischen.

Ungarns Justizministerin Judit Varga Bild: John Thys/AFP/Getty Images

In eher ungewöhnlich offener Weise äußerte sich die deutsche Staatsministerin für Europa und Klima, Anna Lührmann (Die Grünen), über Ungarn: Sie habe "Zweifel, inwieweit Ungarn eine erfolgreiche Ratspräsidentschaft führen kann".

Lührmann führte aus, Ungarn sei "momentan in der EU isoliert wegen Problemen bei der Rechtsstaatlichkeit, die wirklich gravierend sind". Zudem lasse das Land immer wieder mangelnde Unterstützung für die Ukraine im russischen Angriffskrieg erkennen.

Vermittlung eines EU-Konsenses

Der Inhaber der EU-Ratspräsidentschaft trägt dazu bei, einen Konsens zwischen den Mitgliedstaaten zu finden - keine leichte Aufgabe in einer Gruppe aus 27 Staaten, die oft heftig zerstritten ist. Auf der Website des Europäischen Rates heißt es: "Jemand, der ein Abendessen ausrichtet, sorgt dafür, dass alle Gäste in Harmonie zusammenkommen." Gleichzeitig müsse man in der Lage sein, während des Essens Differenzen auszudrücken und dennoch in gutem Einvernehmen und mit einem gemeinsamen Ziel nach Hause zu gehen.

In Brüssel sind viele der Meinung,  Ungarn sollte nicht den Gastgeber bei Themen spielen, für die es in der Kritik steht: Die Europäische Kommission ist seit langem besorgt über die Aushöhlung grundlegender demokratischer Institutionen in Ungarn - von der Unabhängigkeit der Justiz und der Presse bis hin zum Versagen der Regierung bei der Bekämpfung der systematischen Bestechung - unter Premierminister Viktor Orban. Budapest hat die EU-Beamten beschuldigt, eine "Hexenjagd" zu veranstalten, weil es euroskeptisch ist und eine harte Haltung in Sachen Migration vertritt.

Die begrenzten Möglichkeiten des Parlaments

In Wirklichkeit ist sich das Europäische Parlament seiner begrenzten Möglichkeiten bewusst, die ungarische Ratspräsidentschaft  tatsächlich auszubremsen. "Selbst die Experten, die ich konsultiert habe, sind sich nicht ganz im Klaren darüber, was getan werden kann", sagte Gwendoline Delbos-Corfield, eine grüne Europaabgeordnete aus Frankreich, auf einer Pressekonferenz. Man müsse diesbezüglich dann neue Wege beschreiten.

Im Jahr 2022 hatte EU-Justizkommissar Didier Reynders die Empfehlung ausgesprochen, die EU-Mittel für Ungarn einzufrierenBild: KENZO TRIBOUILLARD/AFP/Getty Images

Laut einem in Amsterdam ansässigen Netzwerk von Rechtsexperten, dem Meijers Committee, gibt es einige Optionen. In einem kürzlich veröffentlichten Papier argumentiert die Gruppe, der Vorsitz von Sitzungen, die sich mit Fragen der Rechtsstaatlichkeit befassen, könnte anderen Mitgliedstaaten übertragen werden - sofern Ungarn dabei kooperiert. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Mitgliedstaaten die Rotation ändern, um den ungarischen Vorsitz zurückzudrängen. Auch könnten neue Regeln für die Präsidentschaft eingeführt werden, schreiben die Autoren des Papiers.

Polen, gegen das ebenfalls ein EU-Disziplinarverfahren wegen Verstoßes gegen rechtsstaatliche Bestimmungen läuft und das die Ratspräsidentschaft direkt nach Ungarn übernehmen soll, kritisierte die nicht bindende Parlamentsresolution.

"Es ist eine klare Verletzung der europäischen Regeln in ihrer wichtigsten Form, nämlich der Vertragsregeln", sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki der Nachrichtenagentur Reuters. "Die gesamte Art und Weise, wie die EU verwaltet wird, auf diese Weise zu zerstören, ist nicht nur ein Weg ins Nirgendwo, sondern ein Weg in den Abgrund."

Mitarbeit: Lucia Schulten