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Politik

Istanbul hat (wieder) die Wahl

23. Juni 2019

Neuer Wahlgang in der Metropole am Bosporus: Für Erdogans AKP ist der Einsatz hoch. Aber auch für die Opposition: Schafft Imamoglu ein zweites Mal die Sensation und gewinnt? Für ihn geht es um die "türkische Demokratie".

Türkei Istanbul Wahlen
Bild: Reuters/H. Aldemir

Sieben Wochen nach der Annulierung der Wahl in Istanbul stimmen 10,5 Millionen Wahlberechtigte an diesem Sonntag ein weiteres Mal über den Bürgermeister der Millionenmetropole ab. Seit 8:00 Uhr Ortszeit (7:00 Uhr MESZ) sind die rund 31.000 Wahllokale geöffnet. Erste Prognosen werden bald nach dem Ende des Urnengangs um 17:00 Uhr Ortszeit erwartet. Beobachter rechnen mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen, sodass belastbare Ergebnisse erst in der Nacht vorliegen dürften. Bei der ursprünglichen Wahl Ende März hatte AKP-Kandidat Binali Yildirim gegen Mitternacht bereits seinen vermeintlichen Sieg erklärt, am nächsten Morgen war nach Auszählung aller Stimmen dann Ekrem Imamoglu von der oppositionellen CHP obenauf.

Auf ihn hoffen viele: Ekrem Imamoglu, Kandidat der Mitte-links-Partei CHP bei einem letzten Wahlkampfauftritt am Freitag Bild: Reuters/H. Aldemir

"Illegalen Prozess korrigieren" 

Oppositionskandidat Imamoglu verwies die Wähler auf die Bedeutung dieser Bürgermeisterwahl. "Heute ist der Tag, der türkischen Demokratie zuliebe den illegalen Prozess zu korrigieren", sagte der Kandidat der Republikanischen Volkspartei (CHP) bei der Stimmabgabe mit Blick auf die Annullierung seines Wahlsiegs Ende März. "Unsere Bürger werden eine Entscheidung für die Demokratie, für Istanbul und die Legitimität künftiger Wahlen treffen."  

Imamoglus Rivale Yildirim von Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) sagte nach der Stimmabgabe, der Wahlkampf sei vorbei, nun entscheide das Volk. Sollte es "verletzte Gefühle" gegeben haben, sei es an der Zeit, diese beiseite zu lassen. "Wenn wir bewusst und unbewusst einen unserer Istanbuler Mitbürger oder Herausforderer Unrecht getan haben, wenn wir etwas Falsches getan haben, bitte ich um Vergebung", sagte er.

Ein knapper Sieg mit angeblichen Regelwidrigkeiten

Der Überraschungserfolg des 49-jährigen Oppositionskandidaten Imamoglu kam einem politischen Erdbeben gleich. Präsident Recep Tayyip Erdogan wird das Zitat zugeschrieben: "Wer Istanbul regiert, regiert die Türkei." Erdogan hatte selbst seine politische Karriere in der Stadt begonnen und war bis 1998 dort selbst Bürgermeister. Seine islamisch-konservative AKP hatte mit dem früheren Ministerpräsidenten Binali Yildirim einen prominenten Kandidaten ins Rennen geschickt, um die Vorherrschaft zu sichern - umso bitterer war der knappe Triumph Imamoglus für Partei und Präsident.

Die AKP stellte einen Antrag auf Annullierung der Wahl wegen angeblicher Regelwidrigkeiten - dem kam die Hohe Wahlkommission Anfang Mai nach. Die Wiederholung an diesem Sonntag steht daher unter besonderer Aufsicht: Der Europarat hat Wahlbeobachter entsandt, und auch für die CHP sind 200.000 Freiwillige im Einsatz.

Nach Angaben von Wahlbeobachtern verlief die Abstimmung am Sonntag bisher weitgehend geordnet . Das bestätigten Beobachter in den Wahllokalen, unter ihnen die Grünen-Abgeordnete Margit Stumpp, die für den Tag nach Istanbul gereist war. "Uns wird berichtet, dass die Wahllisten und Abläufe korrekt sind", sagte Stumpp der Deutschen Presse-Agentur. "Wir hören hier von keinerlei Unstimmigkeiten." Stumpp, die bereits mehrfach zur Wahlbeobachtung in der Türkei war, sagte, sie habe diesmal keine Probleme gehabt, Wahllokale zu besuchen und mit Menschen zu sprechen. Sie sprach von einer "beachtlichen Wahlbeteiligung". Renate Zikmund von der 14-köpfigen Beobachtermission des Europarates sagte, "alles in allem" sei die Wahl bisher geordnet verlaufen.

AKP-Anhängerinnen verfolgen am Freitag einen Wahlkampfauftritt ihres Favoriten Binali Yildirim Bild: Reuters/M. Sezer

Neben Imamoglu und Yildirim tritt an diesem Sonntag jeweils noch ein Kandidat der kleinen Oppositionsparteien Vatan und Saadet an. Die mit der AKP verbündete ultranationalistische Partei MHP unterstützt Yildirim - die pro-kurdische HDP und die nationalkonservative Iyi-Partei unterstützen Imamoglu.

Aus dem Urlaub zur Urne

Zehntausende Istanbuler sind deswegen vorzeitig aus dem Urlaub zurückgekehrt oder haben ihn unterbrochen. Die Wiederholung der Kommunalwahl in der Türkei fällt in die Sommerferien und viele Stadtbewohner fahren dann zu Verwandten aufs Land oder an die Küste. Wählen dürfen sie aber nur in Istanbul selbst.

Der Geschäftsführer der Fluggesellschaft Turkish Airlines, Bilal Eksi, erklärte, wegen des Andrangs habe man 24 zusätzliche Flüge bereitgestellt. 

Mit Sondermaschinen von Turkish Airlines wurden zahlreiche Istanbuler aus Ferienregionen nach Hause geflogen (Archiv) Bild: picture-alliance/dpa/M. Mainka

Bei der Wahl am 31. März hatten rund 8,8 Millionen Istanbuler ihre Stimme abgegeben, das entspricht einer Beteiligung von 84 Prozent. Dieses Mal rechnen Meinungsforscher mit einer Rekordbeteiligung.

Postkarten rufen zur Wahl auf

Um wegen der Ferienzeit keine Stimme zu verlieren, hatte die Opposition in Urlauberregionen schon vor Wochen ein Kampagne gestartet. Mit Slogans auf Postkartenmotiven wurden die Touristen aufgefordert, nicht an den Strand, sondern wählen zu gehen. In der westtürkischen Provinz Canakkale hieß es zum Beispiel: "Haifisch-Angriff an Bozcaada-Stränden am 23. Juni erwartet. Wählt in Istanbul. Werdet nicht zu Haifischfutter." Aus Bodrum hieß es an die "lieben Bürger von Istanbul" gerichtet, alle Strände seien am 23. Juni wegen einer Schneewarnung geschlossen.

Präsident Recep Tayyip Erdogan: Lässt er dieses Mal eine demokratische Abstimmung zu? Bild: Reuters/M. Sezer

Die Abstimmung wird landesweit und auch international aufmerksam verfolgt - gilt sie doch vielen als Test für den Zustand der Demokratie. So geht es um die Frage, ob in der Türkei ein Machtwechsel noch auf demokratischem Weg möglich ist.

ehl/se/ml (dpa, afp)

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