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Politik

Italien am Ende der Geduld

Barbara Wesel
29. Juni 2017

Beim G7-Gipfel auf Sizilien zeigte Donald Trump kein Interesse an der Flüchtlingskrise bei den Gastgebern. Jetzt droht Italien, seine Häfen für NGO-Schiffe mit Flüchtlingen zu sperren. Der politische Druck wird zu groß.

Italien minderjährige Flüchtlinge nach Mittelmeer-Überfahrt
Bild: Getty Images/AFP/

Italien entziehe sich nicht der Verpflichtung zu humanitären Aufnahme von Flüchtlingen, aber es könne die Anlandung von Flüchtlingsschiffen verweigern, die nicht unter italienischer Flagge oder im Rahmen der EU-Mission fahren, so heißt es aus Rom. Beim G20-Vorbereitungstreffen in Berlin sagte der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni: "Italien ist ein Land, das sich unter Druck befindet und das um einen konkreten Beitrag unserer Alliierten ersucht." Er habe seinen Kollegen deutlich machen wollen, "wie groß unsere Sorge ist im Hinblick auf das Risiko einer weiter steigenden Zahl von ankommenden Flüchtlingen." Gentiloni will, dass über die Rolle von Hilfsorganisationen, die europäische Frontex-Mission, über Rückführungsprogramme und die zur Verfügung stehenden Mittel für Libyen und andere afrikanische Staaten gesprochen wird. Diese Probleme müssten gemeinsam angegangen werden.

Drohung als Notsignal

Der Druck auf die Regierung von Paolo Gentiloni nimmt zu, weil die Zahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge weiter steigt. In diesem Jahr sind bereits über 70.000 neue Migranten eingetroffen, rund 15 Prozent mehr als 2016. Über 10.000 weitere Menschen sind derzeit noch auf den Schiffen der Seenotretter unterwegs zu italienischen Häfen. Die meisten kommen aus Nigeria, Bangladesch und Guinea, aber auch Ägypter und Syrer nutzen diesen Fluchtweg, seit die Balkanroute geschlossen ist.

In Italien wird der politische Ton schärfer, denn nicht nur die rechtsextreme Lega Nord, sondern auch die 5-Sterne-Bewegung schlachten die Situation aus und gewannen zuletzt bei den Regionalwahlen mit scharfen ausländerfeindlichen Parolen Stimmen.

Mit der Drohung gegen die Seenot-Retter zieht die sozialdemokratische Regierung in Rom jetzt die Reißleine. "Es ist eine Bankrotterklärung für die EU-Mitgliedsstaaten, dass sich Italien zu (dieser) Drohung genötigt sieht", sagt der Europaabgeordnete Arne Lietz, der seit zwei Jahren das Rettungsschiff "SOS Méditerranée" unterstützt. Die europäischen Länder stehlen sich aus der Verantwortung, klagt Lietz weiter, besonders was Seenotrettung und humanitäre Hilfe angehe; etwa 2000 Menschen seien nach UN Schätzungen in diesem Jahr im Mittelmeer schon ertrunken.

Im Juni wurden innerhalb von zwei Tagen 8000 Menschen vor der libyschen Küste gerettetBild: picture-alliance/ROPI/I. Petyx

Die Umverteilung ist eine Schimäre

Im September 2015 beschlossen die EU-Länder, 160.000 Menschen aus Griechenland und Italien aufzunehmen und umzuverteilen. Der italienischen Regierung war zugesagt worden, rund 35.000 Flüchtlinge abzunehmen, nur ungefähr 5000 waren es tatsächlich. Schon beim EU-Gipfel in der vorigen Woche hat Italien einmal mehr auf sein Problem hingewiesen, wie schon bei einem Dutzend  früherer Treffen: ohne Erfolg.

Ein Sprecher der EU-Kommission versprach Italien jetzt weitere finanzielle Hilfe, nur: darum geht es Rom nicht in erster Linie. "Die anderen Mitgliedsländer müssen ihre Anstrengungen verdoppeln, Italien zu helfen", fordert Brüssel, aber davon ist nichts zu sehen. In der nächsten Woche beim Treffen der EU-Innenminister im estnischen Tallinn soll einmal mehr über das Thema geredet werden. 

Unterdessen beginnt eine Diskussion über das Internationale Seerecht: Könnten die Schiffe der NGOs eventuell auch Häfen in Spanien oder Frankreich anlaufen, anstatt immer ins nächstgelegene Italien zu fahren, und so von sich aus schon zur Umverteilung beizutragen? "Die Regelung spricht vom nächsten Hafen, in dem die Geretteten in Sicherheit sind", stellt ein Sprecher von Ärzte ohne Grenzen in Brüssel fest. Seine Organisation, die derzeit zwei Schiffe in der Region im Einsatz hat, wurde bisher noch nicht über eine Blockade italienischer Häfen informiert. Man wolle das abwarten; bisher würden die Einsätze der Retter weiter von den italienischen Behörden, dem Maritimen Koordinationszentrum in Rom, gesteuert.  

Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditeranée retten Flüchtlinge mit dem Schiff AquariusBild: picture-alliance/dpa/L. Klimkeit

NGOs als Helfer der Schlepper?

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex stieß vor kurzem eine Debatte über die Rolle der Seenotretter an: Sie würden sich zu Helfern der Menschenhändler und Schlepper machen, die an der libyschen Küste die Flüchtlinge in seeuntaugliche Boote pferchen in der Gewissheit, dass sie von internationalen Helfern gerettet werden, so der Vorwurf. 

Aber die Seenotrettung sei nicht das Problem, sagt die Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler: "Die Abschottungspolitik der EU treibt die Menschen in die Arme von Schleppern. Und die Unfähigkeit der Staatengemeinschaft, der Verantwortung gerecht zu teilen, treibt die italienische Regierung dazu, die Seenotrettung unterbinden zu wollen". Die Grünen verlangen legale Zugangswege für Flüchtlinge und Arbeitsmigranten.   

Hilfsorganisationen in Italien unter Druck

04:44

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Auch Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos, dem der italienische EU-Botschafter in Brüssel am Mittwoch die Drohung aus Rom übermittelt hat, erkennt an: "Italien ist unter Druck, alle Mitgliedsstaaten müssen ihren Teil leisten und Solidarität zeigen." Abgesehen davon sei es eine humanitäre Verpflichtung, Leben zu retten. Die Kommission selbst aber kann wenig tun, um diese Solidarität zu erzwingen. Die Klagen einiger osteuropäischer Länder gegen den Beschluss zur zwangsweisen Umverteilung von Flüchtlingen laufen noch, von dort ist keine Hilfe zu erwarten. Deutschland erfüllt seine Quote und meint ansonsten, es habe in der Flüchtlingskrise genug getan. Andere große Länder wie Frankreich und Großbritannien ducken sich weg. 

Libyen weiter im Chaos

Im Mai hatten der deutsche Innenminister Thomas de Maizière und sein italienischer Kollege Marco Minniti darauf gedrängt, eine EU-Mission an die Grenze zwischen Niger und Libyen zu entsenden, um afrikanische Flüchtlinge von der Reise nach Europa abzuhalten. Aber die Gefahren vor Ort sind hoch: Gerade wurde ein UN-Konvoi in der Nähe von Tripoli vorübergehend von Milizen festgehalten. Und alle Versuche der Europäer, mit den verschiedenen Gruppen in Libyen zusammen zu arbeiten, waren bisher angesichts der chaotischen Lage erfolglos. Eine schnelle Lösung auf nordafrikanischem Boden - und darauf zielten die letzten Beschlüsse der EU-Innenminister ab - ist also nicht zu erwarten. Bleibt noch die ganz radikale Lösung, die der österreichische Außenminister Sebastian Kurz gern vertritt: Er will alle geretteten Flüchtlinge umgehend an der libyschen Küste wieder absetzen.

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