"Bluff" aus Rom, Härte in Brüssel?
20. November 2018An diesem Mittwoch steht eigentlich ein Kommentar Brüssels zu den Haushaltsentwürfen aller EU-Staaten auf dem Programm. Das ist seit einiger Zeit gängige Praxis in der EU. Dieses Mal aber richten sich alle Blicke allein auf die Italiener und ihren Haushaltsentwurf, der zurzeit im römischen Parlament verhandelt wird. Die EU-Kommission hatte eine erste Vorlage mit scharfen Worten zurückgewiesen. Die populistische Regierung in Rom legte das Budget mit kosmetischen Änderungen noch einmal vor. Am Mittwoch kommt es zum Schwur.
Die EU-Kommission zeigte sich in ihren bisherigen Äußerungen entschieden, ein Defizitverfahren gegen Rom in Gang zu setzen. Das könnte Italien im ersten Schritt ein Bußgeld in Höhe von 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) kosten - umgerechnet 3,4 Milliarden Euro. Es könnte aber, wenn die Kommission hart bleibt, auch zum Entzug von EU-Fördermitteln führen. Etwas Zeit bleibt noch: Bis Ende Dezember muss das Parlament in Rom den Haushalt verabschiedet haben. Erst dann dürften konkrete Schritte folgen.
"Sicherheitsklauseln"
Im Moment gibt es allerdings keine Verhandlungen zwischen Brüssel und Rom. Immerhin hatte der stellvertretende Regierungschef in Rom, Luigi Di Maio, in einem Zeitungsinterview mit dem "Corriere della Sera" "Sicherheitsklauseln" in Aussicht gestellt, die dafür sorgen sollen, dass es bei einem Schuldenstand Italiens von 2,4 Prozent des BIP bleibt.
Die Schulden des südeuropäischen Landes sind nämlich das Kernproblem, das der EU-Kommission, aber auch etlichen Mitgliedsländern der Union, Kopfschmerzen bereitet. Die Staatsschulden Italiens liegen bei derzeit 131 Prozent des BIP. Der jährliche Schuldendienst hat das Zeug, das italienische und das europäische Bankensystem ins Wanken zu bringen - deshalb die Nervosität der Finanzmärkte. Die ist ablesbar am sogenannten "Spread", das ist die Differenz zwischen der Rendite zehnjähriger italienischen Staatsanleihen und den entsprechenden Bundesanleihen.
Die zunehmende Skepsis der Anleger, die auf den internationalen Märkten italienische Anleihen kaufen sollen, führte dazu, dass der Spread zuletzt auch mal über 300 Basispunkte anstieg. Das macht sich unmittelbar in den Finanzierungskosten Italiens bemerkbar. Das italienischen Oppositionsblatt "Il Folgio" aus Rom rechnete vor: "Das Vorgehen der Regierung hat in sechs Monaten zu einem Anstieg des Spread geführt, der allein 2018 einem Wert von 36 Milliarden Euro gleichkommt und mehr als 5 Milliarden im Jahr 2019."
Versprechungen
Überhaupt zeigt das Blatt sich mehr als enttäuscht von der Regierung aus Ministern der rechten Lega und der populistischen Bewegung der "Fünf Sterne": "Sie haben mehr Wachstum versprochen, und das Wachstum liegt bei null. Sie haben mehr Arbeit versprochen, und es gibt keine. Sie haben weniger Arbeitslosigkeit versprochen, und die Arbeitslosigkeit ist gestiegen." Und schließlich habe die Regierung versprochen, die Ersparnisse der Bürger zu schützen - die Börse sei aber seit dem Regierungsantritt um 23 Prozent eingebrochen.
Nicht weniger skeptisch fällt das Urteil des Präsidenten der italienischen Rentenkassen, Tito Boeri, aus: "Italien ist vor neun Monaten mit großen Versprechen aus dem Wahlkampf herausgekommen - seither aber hat sich der Ton derer, die die Macht innehaben, nicht geändert", sagte der Volkswirt dem "Corriere della Sera". Dabei dürfe man doch erwarten, "dass man an einem bestimmten Punkt auf dem Boden der Tatsachen landet und sich den Zwängen stellt".
Die Äußerungen des Rentenexperten haben deshalb ein gewisses Gewicht, weil die Parteien der Regierung vor allem mit Rentenversprechen, die nun zur Belastung des Haushalts werden, punkten konnten - unter anderem mit einer effektiven Senkung des Rentenalters, aber auch einem Bürgereinkommen. Boeri im "Corriere della Sera": "Für die Altersversorgung geht es im kommenden Jahr um 6,7 Milliarden Euro, im Jahr darauf um 7 Milliarden."
Privatisierung von Staatseigentum
Um die erwarteten Kosten auf jeden Fall in einem Schulden-Rahmen von 2,4 Prozent des BIP zu halten, versprach die Regierung in Rom, für höhere Einnahmen durch die Privatisierung von Staatseigentum zu sorgen - eine der besagten "Sicherheitsklauseln". Das war das einzige Zugeständnis Italiens an die Vorhaltungen der EU-Kommission. Das Oppositionsblatt "Foglio" bezeichnete die Ankündigung als "Bluff".
Die Regierung habe zwar versprochen, die Privatisierungseinnahmen auf ein Prozent des BIP oder einen Wert von 18 Milliarden Euro im kommenden Jahr zu steigern. Ähnliche Ankündigungen habe es in Rom schon oft gegeben: Im Jahr 2014 wollte die damalige Regierung 0,7 Prozent des BIP durch Privatisierungen einnehmen, tatsächlich waren es 0,3 Prozent; 2016 standen 0,1 Prozent reale Einnahmen der Ankündigung von 0,6 Prozent gegenüber, im letzten und in diesem Jahr gab es keinerlei Einnahmen, wohl aber größere entsprechende Haushaltsposten.
"Insgesamt hat Italien in den vergangenen fünf Jahren Privatisierungsgewinne von 2,2 Prozent angekündigt aber 0,7 Prozent eingelöst", fasst "Il Foglio" zusammen. Erschwerend dürfte sich dieses Mal auswirken, dass die Regierung in den Worten des stellvertretenden Ministerpräsidenten Di Maio "den Familienschmuck" nicht anrühren will, also größere Unternehmen mit Staatsbeteiligung wie Alitalia, Telecom Italia oder ENI.
So stellt sich die Frage, ob die Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung eine Einigung mit Brüssel im Haushaltsstreit überhaupt will oder ob sie nicht tatsächlich auf eine weitere Eskalation setzt. Die Regierung weiß die Mehrheit der Italiener jedenfalls hinter sich: In einer Umfrage des Instituts IPSOS sprachen sich 59 Prozent der Teilnehmer für eine stark erhöhte Kreditaufnahme aus. Auch der Zuspruch für die durch europafeindliche Töne auffallende Regierungspartei Lega nimmt zu: Einer IPSOS-Umfrage vom Oktober zufolge kommt die Partei mittlerweile auf fast 34 Prozent. Der Koalitionspartner, die Fünf-Sterne-Bewegung, findet demnach Zustimmung bei 28,5 Prozent der Wähler.
Anders steht es um die Zustimmung der Italiener zu Europa: Italien ist das einzige Land der EU, in dem die Mehrheit der Bürger nicht der Ansicht ist, die EU-Mitgliedschaft sei eine gute Sache, so jüngst das Ergebnis einer Umfrage im Auftrag des Europaparlaments. Nur 42 Prozent der Befragten in Italien begrüßten die Mitgliedschaft in der EU. Längst wird gemunkelt, mancher in Rom verfolge einen Plan B für den Ausstieg zumindest aus der Währungsunion.