Italien Schuldenkrise
26. Oktober 2011Der italienische Schuldenberg ist riesig: rund 1900 Milliarden Euro - das entspricht fast 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Nur Griechenland ist in der Europäischen Union noch stärker verschuldet.
Neu ist der hohe Schuldenstand Italiens allerdings nicht. Nach Angaben der Europäischen Statistikbehörse Eurostat betrugen die Staatsschulden des Landes schon 1995 mehr als 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, seitdem sind sie nie unter die Marke von 100 Prozent gefallen. Wenn das all die Jahre kein Problem war, warum gilt die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone dann plötzlich als möglicher Pleitekandidat?
Druck durch den Euro
Früher gehörte Italien zu den Ländern, die ihre Landeswährung regelmäßig abwerteten. Die Lira galt als klassische "Weichwährung", die ständig an Wert verlor. Das war gut für den Tourismus, einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Es war auch gut für die Wettbewerbsfähigkeit italienischer Produkte auf dem Weltmarkt.
Mit der Einführung der Gemeinschaftswährung Euro hat Italien die Möglichkeit der Abwertung verloren. Weil italienische Unternehmen ihre Produktivität nicht wesentlich erhöhen konnten, hat ihre Wettbewerbsfähigkeit gelitten. Vor zehn Jahren noch exportierte Italien mehr Waren, als es einführte. Heute ist es umgekehrt, die Handelsbilanz ist negativ. Die Wirtschaft wuchs seit der Jahrtausendwende geringer als im europäischen Durchschnitt.
"Viele Firmen waren nicht in der Lage, den Herausforderungen der Globalisierung standzuhalten.", sagt Antonio Spilimbergo, Einsatzleiter für Italien beim Internationalen Währungsfonds (IWF). Staatliche Auflagen behinderten zudem den Wettbewerb in Italien, so Spilimbergo. "Die Steuerlast ist hoch, aber die Qualität staatlicher Leistungen niedrig."
Hinzu kommen eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, ein aufgeblähter Staatsapparat, ein frühes Rentenalter und hohe Pensionsausgaben. "Viele strukturelle Probleme, die Italien seit Jahrzehnten belasten, wurden immer wieder verschleppt", sagt Christine Schattner, Pressereferentin der italienischen Handelskammer für Deutschland mit Sitz in Frankfurt am Main. "Da die Märkte jetzt sensibler sind, fällt das auf Italien zurück." Die Bereitschaft, Italien Geld zu leihen, sinkt.
Politik als Wachstumshemmnis
Auf Drängen der anderen Euro-Länder versucht es die italienische Regierung mit Sparen. Allerdings bezweifeln viele, dass die beschlossenen Sparprogramme auch umgesetzt werden. Das mangelnde Vertrauen in die Reformbereitschaft der italienischen Regierung war ein Grund für die Ratingagenturen Standard & Poor's und Moody's, im Herbst die Bonität des Landes herabzustufen.
Der in zahlreiche Korruptions- und Sexskandale verwickelte Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat nicht das politische Gewicht, um für strukturelle Veränderungen zu sorgen. Mitte Oktober entkam er mit knapper Mehrheit einem Misstrauensvotum des Parlaments - es war die 51. Abstimmung dieser Art seit 2008.
Pietro Reichlin, Wirtschaftsprofessor an der Luiss Universität in Rom, sieht Italiens Regierung daher als die eigentliche Bremse für die Wirtschaftsentwicklung. "Die italienische Regierung scheint unfähig, die aktuellen Herausforderungen zu bestehen, weil sie aus einer Koalition besteht, die sehr zerstritten ist", sagte Reichlin im Interview mit der ARD. Christine Schattner von der italienischen Handelskammer fügt hinzu: "Diese Zerstrittenheit bezieht sich leider nicht nur auf die Regierung, sondern auch auf die Opposition."
Die Euroländer erwarten von Berlusconi weitere Sparanstrengungen. Doch eine Sondersitzung seines Kabinetts blieb am Montagabend (24.10.2011) ohne Ergebnis. Berlusconi wollte das gesetzliche Rentenalter in Italien auf 67 Jahre anheben, doch der Vorschlag scheiterte am Widerstand seines Koalitionspartners Lega Nord.
Schon wird spekuliert, ob Italiens Regierung an diesem Streit zerbrechen könnte. "Es gibt diese Hypothese", sagte Infrastrukturminister Altero Matteoli am Dienstag (25.10.2011). "Aber es gibt noch Manövriermasse, und wir reden".
Unterdessen verwahrt sich Berlusconi gegen den Druck der anderen Euroländer, insbesondere Frankreichs und Deutschlands. Kein Land der Euro-Zone könne einem anderen Land Lektionen erteilen. "Niemand hat etwas zu befürchten von der drittgrößten europäischen Volkswirtschaft", so Berlusconi.
Der Druck der Märkte
Die Finanzmärkte scheinen das anders zu sehen. Vor dem EU-Gipfel am Mittwoch (26.10.) verlangen Anleger erneut kräftige Aufschläge für italienische Schuldpapiere. Für Papiere mit zehnjähriger Laufzeit sind nun fast sechs Prozent Zinsen fällig, das sind rund vier Prozentpunkte mehr als für deutsche Staatsanleihen.
Die Europäische Zentralbank hatte bereits Anfang August damit begonnen, italienische Staatsanleihen aufzukaufen. Sie wollte so die Zinsen für neue Schulden in einem halbwegs verträglichen Rahmen halten. Durch die Aktion fiel der Zinssatz kurzfristig unter die Fünf-Prozent-Marke. Der erneute Anstieg zeigt, dass die Bemühungen der EZB gescheitert sind.
Nun prüfen EU-Experten laut Medienberichten, ob der europäische Rettungsfonds EFSF ebenfalls italienische Staatsanleihen kaufen soll. Zuvor müsste die EZB allerdings offiziell feststellen, dass "außergewöhnliche Umstände auf dem Finanzmarkt" herrschen.
Allein im nächsten Jahr werden rund ein Fünftel der italienischen Staatsanleihen fällig, das Land muss 388 Milliarden Euro refinanzieren. Mit jedem Prozentpunkt an Zinsen, den Italien dafür zahlen muss, steigt die Belastung des Haushalts, der Handlungsspielraum der Politik sinkt. Es droht eine Abwärtsspirale, an deren Ende die Zahlungsunfähigkeit stehen könnte.
Trotzdem gibt es noch viele in Italien, die angesichts der prekären Lage die Augen schließen und hoffen, es schon irgendwie zu schaffen, sagt Christine Schattner von der italienischen Handelskammer. "Die Italiener sind groß geworden mit Schulden, es gibt dort eine gewisse Schuldentradition."
Die Tradition ist in der Tat lang. Es waren Italiener, die Mitte des 14. Jahrhunderts die Staatsanleihe erfanden.
Autor: Andreas Becker
Redaktion: Jutta Wasserrab