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Hoffnung auf Vorsorge

Megan Williams / dch30. August 2016

Die Italiener sind an Erdbeben gewöhnt. Dennoch lernt man im Land nicht aus den Fehlern der Vergangenheit. Diesmal ist es anders, so hoffen zumindest Geologen. Megan Williams berichtet aus dem Erdbebengebiet.

Das Kloster von Amatrice Foto: DW/M.Williams
Ein Bild der Zerstörung: Das Kloster von AmatriceBild: DW/M.Williams

Eltern flüstern miteinander, Kinder spielen mit freiwilligen Helfern des Roten Kreuzes. Das Zelt nahe der zerstörten Stadt Accumoli ist nur eines von vielen der blauen "Tentopoli" genannten Zeltstädte. Die ziehen sich über das gesamte Tal hin. Das Tal bietet ein Bild der Zerstörung: In den einst pitoresken Städtchen starben insgesamt 300 Menschen bei dem verheerenden Erdbeben vom vergangenen Mittwoch.

Anna ist eine von denen, die glimpflich davongekommen sind. Ihren Nachnamen will sie nicht verraten. Sie hofft, dass sie nicht lange in der Zeltstadt bleiben muss.

"All diese Freiwilligen hier, die Leute vom Roten Kreuz, die Feuerwehrmänner - sie alle helfen uns so unglaublich viel. Sie haben all diese Zelte organisiert, aufgestellt und sie versorgen uns mit Essen."

Provisorisches zu Hause: In blauen Zelten sind die Überlebenden untergebrachtBild: Reuters/C.De Luca

Annas Blick schweift über Dutzende Helfer, die Wasser und Essen in die moblie Cafeteria tragen. "Ich hoffe, dass ich hier nur so kurz wie möglich bleiben muss. Ich will meine Heimat nicht verlassen, aber ich will auch einfach nicht in einem Zelt leben müssen."

Wie viele andere hier kommt Anna aus dem kleinen, nun verlassenen Viertel Grisciano. Mindestens eine Person aus ihrer unmittelbaren Nachbarschaft kam bei dem Erdbeben vergangene Woche ums Leben.

Während Anna und einige hundert ihrer Nachbarn, die nun in den blauen Zelten leben, sich danach sehnen, nach Hause zurück zu kehren, sind sich die meisten hier bewusst, dass es Monate, wenn nicht Jahre dauern wird, bis es tatsächlich so weit kommt.

Überblick über die schlimmsten Erdbeben der vergangenen Jahre

Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi hat 50 Millionen Euro zur Soforthilfe zur Verfügung gestellt. Auch aus anderen Quellen kommt Geld. Am Sonntag kamen die Einnahmen aller Eintrittsgelder archäologischer Stätten in Italien dem Wiederaufbau der 293 historischen Orte zugute, die durch das Erdbeben beschädigt wurden.

Der britische Starkoch Jamie Oliver, Carlo Petrini, der Gründer der "Slow-Food-Bewegung" und einige andere Restaurantbesitzer weltweit haben sich angeschlossen, haben für jeden verkauften Teller Pasta "Amatriciana" eine Spende abgegeben. Der Ursprungsort der Pasta liegt im nun vollkommen zerstörten Städtchen "Amatrice".

Zurückhaltung in der Öffentlichkeit

Trotz der Spenden und der Ankündung des Ministerpräsidenten sind viele Italiener skeptisch.

Auch in der Vergangenheit wurden nach Erdbeben große Geldsummen bereitgestellt. Ursprünglich vorgesehen für Notfallpakete und Wiederaufbaumaßnahmen landeten diese dann häufig in den Händen der Mafia. Franco Roberti leitet das Nationale Büro zur Bekämpfung der Mafia. Für ihn ist der Fall klar: Seit den 1980'er Jahren habe die Mafia nach Naturkatastrophen Bauaufträge in Millionenhöhe erhalten. "Es macht keinen Sinn so zu tun, als ob es kein Risiko gäbe", sagte er der italienischen Tageszeitschrift "La Republica". "Der Wiederaufbau nach einem Erdbeben ist ein Millionengeshäft - und damit eine riesige Versuchung für das organisiertes Verbrechen.

Roberti mahnt volle Transparenz bei der Unterzeichnung der Verträge an. Diese gelte insbesondere für die vom Erdbeben am härtesten getroffenen Städte Amatrice, Accumoli, und Pescara del Tronto.

Alle packen an: Hilfskräfte in AmatriceBild: DW/M.Williams

Politiker suchen einfachen Ausweg

Francesco Peduto, Vorsitzender der italienischen Geologen-Vereinigung, kritisiert, dass es für Politiker viel zu einfach sei, leere Versprechungen abzugeben. Die wirkliche Herausforderung liege darin, Geld in die Erbeben-Prävention zu investieren. "Wir wollen den Politikern ja glauben, wir wollen ihnen wirklich glauben. Aber wir haben diese Worthülsen schon so viele Male gehört."

Laut der Geologen-Vereinigung hat Italien allein in den vergangenen fünf Jahrzehnten durchschnitlich 3.5 Milliarden Euro für den Wideraufbau von Erdbebenschäden ausgegeben. In die Prävention vor Erdbebenschäden sei jedoch kaum etwas geflossen.

Erdbeben-Vorsorge könnte einen großen Unterschied machen

Peduto hofft, dass sich das nach den jüngsten Erdstößen endlich ändert. Zu stark sind die Unterschiede zu sehen in Städten, in denen Präventionsmaßnahmen getroffen wurden. Und jenen, in denen die Gefahr jahrelang ignoriert wurde.

Essen, Kleidung, das Nötigste eben. Die Versorgung der Bewohner von Amatrice läuft gutBild: DW/M.Williams

Norcia, durch Erdbeben getroffen in den Jahren 1979 und 1997, hielt sich beim Wiederaufbau an strenge Auflagen zur erdbebensicheren Bauweise. Das Ergebnis spricht Bände: Während Amatrice, Accomuli, und Pescara del Tronto vom Erdbeben fast dem Boden gleich gemacht wurde, blieb Norcia fast vollständig intakt.

Peduto sagt, dieses Mal gebe es vorsichtige Siganle aus der Politik, die Anlass zur Hoffnung böten. Zumindest würde das Risisko eines wiederkehrenden Erdbebens als solches auch wahrgenommen.

"Zum ersten mal in der Geschichte des Landes hat ein italienischer Ministerpräsident nicht nur über Wiederaufbau oder Restauration beschädigter Gebäude gesprochen. Dieses Mal geht es um einen richtigen Plan zur Verhinderung von Erdbebenschäden." Pro Jahr sollen zwei bis drei Milliarden Euro in die Hand genommen werden. "Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen", sagt Peduto, "aber immerhin gibt es jetzt endlich einen Plan".