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Politik

Italien: Entscheidung vor Mitternacht

4. Dezember 2016

Für die einen ist es eine Schicksalswahl zur Zukunft Italiens, für andere wäre ein "Nein" beim Referendum keine Katastrophe. Vorhersagen sind schwierig. Es gibt eine Tendenz gegen Premier Renzi. Aus Rom Bernd Riegert.

Italien Referendum Wahllokal Rom
Wahllokal in Roms Altstadt: Bis 23 Uhr geöffnet. Andrang überschaubar.Bild: DW/B.Riegert

Die italienische Zeitung "Il Tempo" brachte die Stimmung mit ihrer Titelseite am Wahltag auf den Punkt. Dort war ein riesiger Wahlzettel zum Referendum abgedruckt, der neben dem Kasten für "Ja" oder "Nein" auch einen für "Buh" anbot. Diesen Kasten wünschen sich die Italiener, die dem Ministerpräsidenten Matteo Renzi heute einen Denkzettel verpassen wollen. Renzis Zustimmungswerte sind von über 50 auf knapp 30 Prozent gesunken. Seine Reformen gehen manchen zu weit, manchen gehen sie nicht weit genug. Das komplizierte Verfassungsreferendum, das ein Drittel der Artikel ändern würde, ist zu einer Abstimmung über Renzi geworden. Der Ministerpräsident selbst hat sein politisches Schicksal mit einen "Ja" zur Umgestaltung der zweiten Parlamentskammer und zu einem neuen Wahlrecht verbunden. Seine Gegner von links und rechts werfen Renzi vor, er wolle die Demokratie aushöhlen und die Italiener für dumm verkaufen. Der Populist Beppe Grillo will mit seiner Bewegung "Movimento Cinque Stelle" Renzi fallen sehen und verleiht dem dumpfen Gefühl vieler Wähler gegen "die da oben" Ausdruck.

Locker im Pullover: Die Gelassenheit an der Urne täuscht, für Renzi (li.) geht es um alles.Bild: picture-alliance/dpa/M.Degl´Innocenti

Relativ hohe Wahlbeteiligung

Richtige Begeisterung kommt bei Ja-Wählern, die die DW vor einem Wahllokal unweit des Pantheon in der Altstadt Roms befragt, für die reformierte Verfassung nicht auf. Es müsse halt sein, so ihr Argument, um Italien stabil zu halten und die Gesetzgebung zu beschleunigen. "Renzi ist auch nicht schlimmer als die anderen", sagt ein älterer Mann schulterzuckend. Ein junge Frau erklärt, sie habe "Nein" gestimmt, um zu zeigen, dass es so nicht immer weiter gehen kann. "Die kleinen Leute müssen immer leiden", klagt sie. Bis zum Mittag hatten knapp über 20 Prozent der 47 Millionen Wahlberechtigten in Italien ihre Stimme abgegeben. Der Wert liegt um vier Punkte höher als bei den Europawahlen vor zwei Jahren, die Renzis Sozialisten gewannen. Erwartet wird eine Wahlbeteiligung von 60 Prozent. Es gibt kein Quorum für die Abstimmung.

Ministerpräsident Renzi gab seine Stimme bei Florenz ab. Er stand zehn Minuten in der Schlange vor dem Wahllokal. Auf die Frage einer Frau, was er denn wählen wolle, antwortete Renzi scherzend: "Ich überlege gerade noch." Renzi hofft auf die Unentschiedenen, die in den Umfragen vor der Abstimmung nicht erfasst wurden. Die Umfragen sagten alle einen knappen Sieg für das Nein-Lager voraus. Allerdings dürfen aus rechtlichen Gründen seit dem 18. November keine neue Umfragen mehr veröffentlicht werden.

Krise in Italien könnte Europa schaden

Italien könnte nach einem Sieg des Nein-Lagers, zu dem auch der konservative Strippenzieher Silvio Berlusconi und die rechtspopulistische Lega Nord gehören, in eine Regierungskrise abgleiten. Instabilität würde zu weniger Wirtschaftswachstum führen. Außerdem hätten die kriselnden Banken in Italien vermutlich Schwierigkeiten, dringend benötigte Kapitalerhöhungen aufzutreiben, weil die Investoren verunsichert sind. Bei der Europäischen Union in Brüssel befürchtet man einen weiteren Sieg der Populisten in Europa, nach dem Brexit und nach der Niederlage der niederländischen Regierung in einer Volksabstimmung über die Ukraine-Politik. In düsteren Szenarien wird auch eine Rückkehr der Finanzkrise beschworen, sollte Italien ernsthafte Schwierigkeiten bekommen, seine überbordenden Schulden zu refinanzieren. Die Wettbüros gehen mit 75 Wahrscheinlichkeit davon aus, dass Renzi verliert.

Drei Fragen, drei Antworten: Referendum in Italien

01:18

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Ergebnisse vor Mitternacht

Ob und wann Ministerpräsident Renzi tatsächlich den Palazzo Chigi, den Sitz des Ministerpräsidenten räumen müsste, ist unklar. Der Staatspräsident muss den Rücktritt nicht annehmen. Er könnte aber auch eine "technokratische Übergangsregierung" einsetzen. Neuwahlen vor dem regulären Termin im Jahr 2018 gelten als unwahrscheinlich. Zuvor müsste erst einmal ein neues Wahlrecht für die zweite Parlamentskammer geschaffen werden. Die Wahllokale schließen um 23 Uhr MEZ. Das Ergebnis dürfte vor Mitternacht feststehen: "Ja" oder "Nein" oder doch "Buuuuuuh?"

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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