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Italien: Wirtschaft ohne Regierung

9. Mai 2018

Anfang der Woche hatten die Börsianer in Mailand genug von der Hängepartie in Rom: Ein Kursrutsch von zwei Prozent war die Folge. Dabei hat die Wirtschaft im Land die politische Blockade bisher gut gemeistert - bisher.

Symbolbild italienische Ein-Euro-Münze sinkt in Italiens Farben
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Italien: Zitterpartie - auch für die Wirtschaft

01:33

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Im italienischen gibt es die Redensart Piove, governo ladro - frei übersetzt: Es regnet, die Regierung ist Schuld. Man könnte die Volksweisheit etwas aktualisieren und seit März sagen: Keine Regierung, macht aber nichts. Selbst Staatspräsident Sergio Mattarella sprach mit hörbarer Verwunderung Anfang dieser Woche von einer "Legislaturperiode, die zu Ende geht, bevor sie überhaupt angefangen hat".

Im März haben die Italiener wieder ein Parlament gewählt, Nummer 43 seit Bestehen der Republik, aber bis jetzt, mitten im Mai, erwuchs daraus immer noch keine neue Regierung. Die vorherige unter dem Sozialdemokraten Paolo Gentiloni verwaltet die Geschicke des Landes. Dabei gäbe es einiges zu tun. Auch wenn die italienische Volkswirtschaft sich unbeeindruckt von der politischen Szenerie ohne große Kratzer zu entwickeln scheint.

Das Wirtschaftswachstum in Italien lag 2017 immerhin bei 1,5 Prozent - klingt nicht so schlecht und war der höchste Wert seit sieben Jahren (der Eurozonen-Durchschnitt erreichte aber 2,4 Prozent). Die Exporte stiegen sogar um 7,5 Prozent, und auch an der Börse Mailand geht's meist munter zu: Im vergangenen Jahr gab es 40 neue Börsengänge, in diesem Jahr wird mit 50 gerechnet. Selbst die notorisch hohe Staatsverschuldung krebste ein wenig zurück, zum ersten Mal seit zehn Jahren (beträgt aber immer noch knapp 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Und sogar das Haushaltsdefizit war 2017 mit 1,9 Prozent niedriger als geplant.

"Strukturelle Schwächen"

Doch der Schein trügt. Unter der Alltagsoberfläche drohen Gefahren für die economia italiana, die es in sich haben - und die für ganze Europa zur Last werden könnten. Man kann es schwarz auf weiß nachlesen im jüngsten verfügbaren Jahresreport des Internationalen Währungsfonds IWF zu Italien. Zwar räumt auch der Fonds in dem Bericht vom Juli 2017 ein, dass die italienische Wirtschaft sich weiter erhole, die Arbeitslosigkeit und der Schuldenstand etwas zurückgegangen seien.

Dann aber kommt's: "Das Wachstum bleibt trotz außergewöhnlich monetärerer Bedingungen und fiskalischer Erleichterungen verhalten, und Italien bleibt aufgrund anhaltender struktureller Schwächen, Ungleichgewichte und finanzieller Schwächen weiterhin hinten seinen Konkurrenten im Euroraum zurück."

Noch bis zum Jahre 2031 würde es angesichts solcher Bedingungen dauern, so rechnete der Mailänder Ökonomieprofessor Alessandro Roncanglia schon vor einiger Zeit vor, bis Italien wieder auf sein Niveau aus der Zeit vor der großen Krise von 2008 zurückgekehrt sein werde.

Die "Bedingungen", von denen da die Rede ist, kann man in drei Großbaustellen finden: den Staatsschulden, dem Produktivitätsrückgang, der Spaltung des Landes in Nord und Süd.

Schwache industrielle Basis: der süditalienische Hafen von Gioa Tauro Bild: Reuters/A. Bianchi

Der abgehängte Süden

Der Unterschied zwischen dem italienischen Süden, dem mezzogiorno, und dem hoch industrialisierten Norden spricht jeder Idee von nationaler Einheit und Einheitlichkeit der Lebensbedingungen Hohn. Über die Gegend zwischen Mailand, Venedig und Bologna schreibt die deutsche "Wirtschaftswoche", dort gebe es "eine mittelständisch geprägte Unternehmerlandschaft, mit der in Europa allenfalls Schwaben mithalten kann".  Im Konzert europäischer Regionen liegt derweil Sizilien in Sachen Wettbewerbsfähigkeit auf Platz 237 - von 263, hat die "Süddeutsche Zeitung" nachgezählt.

Dagegen sind die Regionen des mezzogiorno ganz vorne bei der Arbeitslosigkeit - das europäische Statistikamt Eurostat zählt unter den vier am stärksten von der Jugendarbeitslosigkeit betroffenen Regionen Europas drei aus Italien auf: Kalabrien mit fast 58 Prozent, Sizilien mit rund 57 Prozent und Sardinien mit etwas mehr als 56 Prozent Jugendarbeitslosigkeit.

Daran wird deutlich, wie wenig es bedeuten mag, wenn die Arbeitslosigkeit für das ganze Land im letzten Dezember mit 10,2 Prozent angeben wird. Neue Jobs entstehen nur, wenn die Produktivität die Wirtschaft wachsen lässt und das Wachstum hoch genug ist, um neue Beschäftigte einzustellen. In Italien dagegen bricht die Industrie weg; im Süden des Landes schrumpfte die italienische Wirtschaft zwischen 2001 und 2016 um 7,2 Prozent.

Symbol für Italien: Fiat 500 - gebaut in SerbienBild: picture-alliance/dpa/S. Suki

Kein Wunder, dass vor allem im Süden die Wählerschaft von der populistischen Bewegung 5 stelle angetan war. Deren Spitzenkandidat Luigi Di Maio kommt aus Pomigliano d'Arco in Kampanien. Dort, unweit von Neapel, steht ein Fiat-Werk, das vor Jahren 15.000 Menschen in Lohn und Brot hatte, heute werden dort noch 4.000 Beschäftigte gezählt. Die Arbeitslosigkeit in der Gegend liegt bei 20 Prozent, sechs von zehn Jugendlichen sind ohne Job.

Erweist sich das Grundeinkommen...

Eine Reporterin der "Neuen Zürcher Zeitung" hat sich in dem Ort umgesehen, in dem der mögliche künftige Regierungschef, der 31jährige Luigi Di Maio, erste Schritte in der Lokalpolitik gemacht hatte. Die Wahlen hier waren ein Heimspiel für den Spitzenkandidat der 5 stelle.  Die Leute hier wollten vor allem, dass die frühere Protestbewegung ihr Wahlsprechen wahrmacht und gegen Korruption und Vetternwirtschaft kämpft, hat die Reporterin gelernt.

Weniger wichtig sei hier das bedingungslose Grundeinkommen gewesen, mit dem die 5 stelle anderweitig erfolgreich für sich geworben hatte. Eine Arbeitslosenhilfe, die den Namen wert ist, gibt es in Italien genauso wenig wie ein wirklich funktionierendes Sozialsystem. Darauf zielte die Protestpartei.

Sollte sie - neben der rechtspopulistischen Lega, die im Norden besonders stark ist - doch noch an die Regierung kommen, könnte manchem Italiener schwanen, dass keine ordentliche Regierung manchmal besser ist, als eine, die mit dem Geld womöglich unverantwortlich umgeht. Und da spielt die dritte Großbaustelle Italiens eine Rolle: die Staatsschulden.

Spitzenkandidat aus dem Süden: Luigi Di Maio von der Bewegung 5 stelleBild: picture-alliance/AP Photo/G. Borgia

"Wir hinterlassen einen geordneten Haushalt", so bilanzierte der scheidende Finanzminister Pier Carlo Padoan unlängst per Twitter die Arbeit der abgewählten sozialdemokratischen Regierung. Die für die Eurozone geltende Grenze bei der Staatsverschuldung liegt zwar bei 60 Prozent und nicht bei mehr oder weniger 130 Prozent - aber das ist schon seit Jahren so, und seit Jahren kommt Italien mit seinem Schuldenstand irgendwie durch.

Das könnte sich aber bald ändern, und das liegt an der vielleicht bald nicht mehr ganz so lockeren Geldpolitik der EZB, der Europäischen Zentralbank. Die hatte nämlich mit ihren Anleihekäufen und einer Nullzinspolitik dafür gesorgt, dass gigantische Schulden wie die des italienischen Staates - und vieler Italiener - tragbar erschienen und finanzierbar blieben. Die Zeiten dieses europäischen Sonderwegs könnten aber schon in diesem Jahr langsam ein Ende finden. Die Finanzierungskosten für Italien stiegen dann wieder, womöglich sehr schnell und womöglich in Höhen, die aus ganz Italien einen Sanierungsfall für ganz Europa machen könnten.

... als Bumerang?

Das Wahlversprechen Grundeinkommen - oder reddito di cittandinza, also "Bürgergrundlohn" - mit dem die 5 stelle so viel Erfolg an den Urnen hatten, könnte dann zum Bumerang werden: Roberto Perotti, einer der führenden Volkswirtschaftler Italiens, hat jüngst vorgerechnet, dass das Versprechen den italienischen Staat immerhin rund 45 Milliarden Euro kosten würde. Zusätzlich zu den laufenden Schulden.

Egal wann welche Regierung in Italien gebildet wird, sie steht vor der Quadratur des Kreises: Sie muss nötige Infrastrukturmaßnahmen und womöglich Konjunkturprogramme stemmen und die Staatsschulden im Auge halten und aufpassen, dass das Bankensystem in drohenden, härteren Zeiten standhält - ohne ausreichende Mittel in der Staatskasse.

ar/dk (rtr, dpa, IWF)

 

 

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