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Film

Jörg Winger über seine "Deutschland"-Serie

Hans Christoph von Bock
25. September 2020

Ein Gespräch mit dem Produzenten der erfolgreichen "Deutschland"-Trilogie über die neue Staffel und die große Nachfrage nach Serien "made in Germany".

TV-Produzent Jörg Winger
TV-Produzent Jörg Winger hat ein Händchen für die filmische Umsetzung deutscher Geschichte Bild: Horst Galuschka/dpa/picture alliance

Historytainment - Deutsche Geschichte verpackt als Spionagethriller. Das ist das Erfolgsrezept des Produzenten Jörg Winger. Gemeinsam mit seiner Frau Anna Winger erfand er die "Deutschland"-Serie, die auf der Berlinale 2015 Premiere feierte. Sie erzählt die Geschichte eines DDR-Soldaten, der als Spion in die Bundeswehr eingeschleust wird. In der Serie wird der Ost-West-Konflikt und die damals bestehende Gefahr eines Dritten Weltkriegs thematisiert. Die Serie wurde international ausgezeichnet und erhielt unter anderem den Grimme-Preis, die Goldene Kamera und einen International Emmy Award für die beste Dramaserie. Nun ist die letzte Staffel der Deutschland-Trilogie angelaufen.

DW: Deutsche Serien boomen auch auf dem internationalen Markt. Warum ist die Nachfrage nach High-End-Dramen und Serien aus Deutschland so gestiegen?

Jörg Winger: Wir kamen mit "Deutschland 83" zur rechten Zeit und durften dann den Türöffner spielen. Es war genau dieser Zeitpunkt, als sich die Industrie wirklich globalisiert hat, und wir waren dann das aufregende, neue Produkt aus Deutschland. Ich glaube, dass die Geschichte von den zwei deutschen Staaten, die sich so verfeindet - bis an die Zähne bewaffnet - gegenüberstanden, einfach eine Faszination hat und eine der großen Erzählungen des 20. Jahrhunderts ist. Die auf die deutsche Katastrophe - das Nazi-Regime - folgende Trennung von Deutschland und dann die Zuspitzung in den 1980er Jahren ist einfach im internationalen, kollektiven Unterbewusstsein verankert. Zumindest bei den Zuschauern, die sich für unsere Serie interessieren.

Was ich persönlich interessant finde und was noch gar nicht so richtig angekommen ist, ist, wie oft sich Deutschland  innerhalb von hundert Jahren neu erfunden hat. Ein Land, das heute so für Stabilität und Sicherheit bekannt ist, ist eigentlich innerhalb von hundert Jahren aus einer Monarchie in eine gescheiterte Demokratie, in eine faschistische Diktatur, in einen kommunistischen Staat, in eine vereinigte, gelungene Demokratie gerudert. Das ist eigentlich kaum auf der Welt irgendwo genauso passiert, in dieser Art und Form. Man könnte die Deutschen fast als Weltmeister des Sich-Neu-Erfindens definieren.

Der internationale Erfolg kam prompt: Produzent Jörg Winger und Team bei der Emmy-Preisverleihung 2016Bild: picture-alliance/dpa/A. Gombert

Gab es bei jeder Staffel eine übergeordnete Fragestellung?

Wir wollten es von Anfang an als Trilogie erzählen und als die Geschichte eines Endes. Wir wissen, 1989 hört das Land auf zu existieren. Bei Deutschland 83 hat uns die nukleare Gefahr sehr beschäftigt. Das Nato-Manöver "Able Archer" spielte eine große Rolle im Showdown von 1983. In der Recherche war es sehr interessant zu sehen, wie - ohne dass eine der Parteien es wollte - aus Misstrauen und Missverständnissen heraus eine Eskalation fast dazu geführt hätte, dass Europa komplett zerstört worden wäre.

Es gab auch einen tatsächlichen Helden in der Geschichte, nämlich diesen sowjetischen General, der auf seinem Radar etwas gesehen hat, was er dann im letzten Moment nach kurzer Abwägung als harmlos identifiziert hatte. Wenn er den anderen Knopf gedrückt hätte, dann wäre genau das passiert. Wir haben dann natürlich die Rettung der Welt unserem eigenen Helden zugeschrieben - Jonas Nay (Name des Hauptdarstellers in "Deutschland", Anmerkung d. Red.). Und daran sieht man auch ein bisschen, wie wir mit Geschichte umgehen. Ich glaube, wir halten uns an die historischen Wahrheiten. Allerdings laufen wir mit unseren fiktionalen Charakteren, mit unseren erfundenen Figuren durch die tatsächlichen Ereignisse der 80er Jahre.

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Und die Metathemen in "Deutschland 86" und "Deutschland 89"?

In "Deutschland 86" war das Metathema, wie die Kommunisten versuchten, den Kommunismus zu retten, indem sie hyperkapitalistisch wurden und Waffengeschäfte in Südafrika machten. Das Metathema in "Deutschland 89" ist tatsächlich das Sich-neu-Erfinden. Wir steigen ein mit dem Fall der Mauer. Wir wollten nicht nochmal erzählen, wie es dazu kam, sondern die Bombe fällt sozusagen in unser Ensemble, direkt in der ersten Folge.

Wir wollten erzählen, wie sich ein Land neu erfindet oder ein Land neu erfinden möchte. Ich habe selbst auch vergessen, wie viele Möglichkeiten es eigentlich nach dieser Nacht am 9. November gab. Wie viel Euphorie es gab, wie viele verschiedene Modelle durchdacht wurden. Das ganze utopische Denken dauerte ein paar Monate, und dann lief es ganz klar auf eine Lösung hinaus, nämlich auf die Wiedervereinigung. Diese wilde Phase, wo nicht klar war, wo dieses Land hinläuft, ob es eine Selbstständigkeit erhält, ob es einen dritten Weg geben wird, ob man jetzt den Sozialismus endlich richtig macht oder ob man sich komplett dem Westen fügen will. Das hat uns beschäftigt, dann natürlich auf der persönlichen Ebene. Wie sind diese ganzen Agenten durchs Leben gekommen? Ihnen ist das Land unter den Füßen weggezogen worden, und auch ihre Organisation war spätestens im Januar 1990 geschlossen.

Die Auslandsspione der DDR galten als hochkompetent, waren sehr begehrt bei den anderen Geheimdiensten. Der CIA, MI6, der KGB: Alle haben sich um sie bemüht, weil sie einfach Weltklasse waren in diesen analogen Zeiten der Spionage. Und sie hatten auf der anderen Seite auch eine große Kenntnis darüber erlangt, wie die Welt funktioniert. Sie kannten sich im Kapitalismus aus. Es gab sozusagen die Chance, den Geheimdienst zu wechseln, verhaftet oder vielleicht umgebracht zu werden, aufgrund der Dinge, die man weiß. Oder man zieht sich schnell um und eröffnet ein Business, oder man macht sich davon mit dem DDR-Vermögen. Alle diese Dinge hat es tatsächlich gegeben in dieser Zeit. Unsere Figuren gehen auch alle in alle möglichen vorstellbaren Wege.

Der Hauptdarsteller Jonas Nay (l.) und Ludwig Trepte bei den Dreharbeiten für "Deutschland 83"Bild: picture alliance/dpa/R. Hirschberger

Wie schaffen Sie den Spagat, deutsche Geschichte für ein sehr diverses Publikum so zu erzählen, so dass die historischen Fakten stimmen und es zugleich originell, individuell und unterhaltsam ist?

Mit Authentizität. Es ist natürlich ein gern benutzter Begriff, gerade wenn es um deutsches historisches Drama geht. Die Zuschauer wollen mit diesen Figuren durch die Geschichte laufen und fragen sich, wie diese Figuren mit ihren inneren Kämpfen, mit den großen Entscheidungen, die sie haben, zurechtkommen. Und das ist eigentlich unser Zugang. Wir glauben immer, wenn es eine Idee für eine Geschichte in der Geschichte gibt, die den Raum begeistert, dann werden auch unsere Zuschauer anspringen. Die Zusammensetzung in unserem Writers Room: Das sind Leute, die aus verschiedenen Ländern kommen, mit verschiedenen Perspektiven und biografischen Verortungen. Bei "Deutschland 89" waren das zwei Russen, ein Ire, ein Amerikaner, ein Brite und zwei Deutsche. Wenn man die alle zusammen kriegt für eine Idee, dann wird das auch beim Zuschauer einschlagen.

Welche neuen Entwicklungen gibt es?

Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Autoren für verschiedene Genres, und die Vielfalt der Erzählungen wächst in Deutschland ungemein. Wir haben plötzlich deutsche Horror-Serien, es gibt deutsche Comedy-Serien, deutsche Fantasy-Serien. Das sind alles Genres, in denen deutsche Autoren gar nicht ausgebildet sind. Es ist immer noch ein Handwerk, das man über lange Jahre lernt. Also muss man mit den wenigen Talenten arbeiten.

Die Machtverhältnisse haben sich etwas umgekehrt in Deutschland. Früher gab es nur drei öffentlich-rechtliche Fernsehsender mit bestimmten Serienslots, heute gibt es die werbefinanzierten Sender und die Streaming-Dienste. Man muss die Leute dazu bekommen, sich in dieser Vielzahl von Anreizen und Unterhaltungsangeboten eine Serie anzuschauen. Das ist die Herausforderung. Der Serienmarkt funktioniert mittlerweile ein bisschen wie der Romanmarkt. Wir haben natürlich als etablierte Marke jetzt in der finalen Staffel von "Deutschland" einen Vorteil, weil es viele Fans gibt, mit denen man auch direkt in Kontakt ist, auch über die sozialen Medien. Neue Serien haben keine Fanbase, aber sie sind neu – und das ist an sich schon ein Vorteil in der Aufmerksamkeitsökonomie. 

Das Interview führte Hans Christoph von Bock.

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