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Gesellschaft

Jüdisches Leben in New York: "Immer wachsam sein"

Carla Bleiker New York
18. Januar 2020

In New York häufen sich antisemitische Verbrechen. Ende Dezember stach ein Mann auf die Gäste einer Chanukka-Feier ein. Für die Mitglieder jüdischer Gemeinden von Monsey bis Brooklyn ist Angst ein täglicher Begleiter.

USA | Crown Heights, jüdisches Leben, Judentum, New York
Bild: DW/C. Bleiker

Wer in Crown Heights, Brooklyn, aus der Kingston Avenue U-Bahn Station kommt, steht direkt vor der Zentrale der jüdisch-orthodoxen Chabad Lubawitsch Bewegung - und damit auch inmitten einer Gruppe Polizisten. Neben dem Haupteingang des Chabad-Gebäudes stehen zwei Trooper der New York State Police und zwei Beamte des New York City Police Departments (NYPD). Alle vier haben eine Hand an der Dienstwaffe. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht eine weitere Polizistin, um die Ecke parken ein regulärer NYPD-Wagen und ein größeres Fahrzeug der Polizei, das aussieht wie eine Mischung aus mobiler Einsatzzentrale und Wohnmobil.

So hoch ist die Anzahl der Sicherheitsbeamten in Crown Heights, einem Viertel mit großem jüdisch-orthodoxen Bevölkerungsanteil, nicht immer. Aber seit Ende Dezember 2019 ist die Situation hier angespannt. Schon in den Wochen zuvor häuften sich antisemitische Angriffe in New York und dem Nachbarstaat New Jersey. Und dann kam Monsey.

Angst nach der Attacke

Am Abend des 28. Dezembers drang ein Mann bewaffnet mit einer Machete in das Haus eines Rabbis in Monsey, einem kleinen Ort nordwestlich von New York City, ein. Es war der siebte Abend des Lichterfestes Chanukka und im Haus des Rabbis waren fast 100 Menschen zusammengekommen, um zu feiern. Der Angreifer verletzte fünf Menschen, bevor er von einigen Anwesenden in die Flucht geschlagen und zwei Stunden später von der Polizei verhaftet wurde. Er wurde des fünffachen versuchten Mordes angeklagt, seine Tat als Hassverbrechen eingestuft. Eines der Opfer liegt noch immer mit einer schweren Kopfverletzung im Koma. Sollte der Mann sterben, droht dem Täter die Todesstrafe.

Die Menschen auf der Chanukka-Feier in Monsey wehrten sich gegen den Täter, indem sie Stühle und andere Möbel nach ihm warfen.Bild: Reuters/E. Munoz

"Jetzt ist es auch bei uns passiert"

"Ich habe gehört, das Ganze hätte noch viel schlimmer ausgehen können", sagt Rivkie Feiner. Sie sitzt im Besprechungsraum ihrer Kommunikationsagentur in Monsey. Vor wenigen Stunden ist Feiner von einer Geschäftsreise aus Israel zurückgekehrt, aber müde wirkt sie überhaupt nicht. Dafür hat sie keine Zeit. Neben ihrer Arbeit engagiert sie sich freiwillig in der Gemeinde, sitzt in verschiedenen Komitees und ist so etwas wie die inoffizielle Sprecherin der jüdisch-orthodoxen Gemeinde in Monsey.

"Wäre der Täter zehn Minuten eher reingekommen, hätten alle noch im Eingangsbereich gestanden, so dicht gedrängt, dass sie sich nicht hätten wehren können", sagt Feiner. "Und wenig später wären nur noch Frauen und Kinder dagewesen, weil die Männer schon in der Synagoge gesessen hätten."

Steve Gold, der Co-Präsident der "Jewish Federation and Foundation of Rockland County", dem Landkreis, in dem Monsey liegt, sitzt Feiner an diesem grauen Januar Tag in ihrem Büro gegenüber. Er erinnert sich: "An dem Abend des Angriffs war ich mit meiner Frau und Freunden essen. Wir wollten gerade bezahlen, da bekam ich den Anruf."

Gold fuhr sofort zum Tatort und musste feststellen, dass er nicht mehr viel helfen konnte. "Es war schon ein Schock, der Gedanke: 'Jetzt ist es auch bei uns passiert.' Dieses Land ist für die [jüdisch-] orthodoxe Gemeinde nicht sicher." Feiner stimmt zu. "Früher hatte ich nie Angst, aber wenn mein Mann jetzt in die Synagoge geht, fühle ich jedes Mal -", ihre Stimme stockt zum ersten Mal, sie legt die Hand auf ihr Herz: "Wird er wieder nach Hause kommen?"

Eine Veranstaltung zur Solidaritätbekundung mit den Opfern des Angriffs in Monsey am 29. Dezember wurde schwer bewachtBild: Reuters/A. Alfiky

Angst ist Teil des täglichen Lebens

Nach der Messerattacke in Monsey sagte New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo, es habe seit Anfang Dezember bereits 13 antisemitische Angriffe in seinem Bundesstaat gegeben. Allen Fagin, der Vizepräsident der Orthodox Union, einem jüdisch-orthodoxen Verband in New York, schrieb der DW in einer E-Mail, er höre in Gesprächen mit Mitgliedern jüdischer Gemeinden immer wieder von dem Gefühl der Unsicherheit.

 "Juden, wie Menschen aller Religionen, haben das Recht ihren Glauben ohne Angst auszuleben", so Fagin. "Wir sollten uns sicher fühlen können, wenn wir in die Synagoge gehen, unsere Kinder in die Schule schicken oder in einem koscheren Supermarkt einkaufen gehen."

Gewalt an Chanukka

Im "Chocolatte" Café in Crown Heights laufen Popsongs, die an Klezmer Musik erinnern und neben den uramerikanischen Brownies liegen Rugelach, jüdische Gebäckteilchen, in der Verkaufsvitrine. An einem kleinen Tisch erzählt Dalia Shusterman von der Nacht im Dezember, als sie und ihre Freundinnen angegriffen wurden. 

"Wir kamen von einer Chanukka-Feier wieder, eine Gruppe von fünf Frauen. Ganz in der Nähe der Chabad-Zentrale drängte sich dann eine Frau in unsere Gruppe und schlug einer meiner Freundinnen von hinten an den Kopf." Shusterman sprach die Täterin entsetzt an. "Sie schrie nur 'F*ckt euch, Juden' und lief weg." Die Täterin wurde zwar wenig später gefasst, aber nachdem die Tat aufgenommen und ein Gerichtstermin festgesetzt wurde, kam sie wieder auf freien Fuß. Und schlug am nächsten Tag einer jüdischen Mutter, die ihr Baby vor der Brust trug, ins Gesicht.

Mit Blick auf den Täter von Monsey sagt Shusterman: "Es muss einen Mittelweg geben zwischen Todesstrafe, und jemanden einfach wieder gehen lassen."

Moderne trifft Tradition: In Crown Heights können Eltern für ihre Söhne auch zum Lieblingssport passende Kippahs kaufenBild: DW/C. Bleiker

Waffen als Selbstschutz?

Ein junger Mann, der mit drei Freunden vor dem "Holesome Bagels" Deli an der Kingston Avenue steht, sagt, er wohne seit Jahren in Crown Heights, aber sicher fühle er sich hier nicht mehr. "Wie soll es sich schon anfühlen, wenn man in einer Nachbarschaft lebt, in der ich nicht mal mehr mit beiden Ohrstöpseln Musik hören kann, wenn ich die Straße runter gehe? Man muss immer wachsam sein." Das Risiko, nicht zu hören, was hinter ihm läuft, will der junge Mann, der kurze Haare und eine hellblaue Kippah trägt, nicht mehr eingehen. Seine Frau sei wegen ihres Jüdisch-Seins schon auf der Straße angeschrien und dann mit Sprechgesängen verfolgt worden.

Andere Menschen sagen an diesem Tag in Crown Heights, sie machten sich keine allzu großen Sorgen – Gott würde über sie wachen. Aber der junge Mann mit der hellblauen Kippah, der ursprünglich aus der Schweiz kommt, möchte sich lieber selbst verteidigen. Er fordert eine Lockerung der für US-Verhältnisse strengen New Yorker Waffengesetze. "In der Schweiz darf man seine Waffe nach dem Militärdienst einfach behalten. Wenn das hier auch so wäre, würden Leute dich nicht so schnell auf der Straße anmachen."  

Rivkie Feiner und Steve Gold bei der State of the State Rede des New Yorker Gouverneurs, in der Cuomo auch ein neues Gesetz gegen Hass-Verbrechen vorschlug.Bild: Privat

Feiner sagt, sie möchte nicht in einer Welt leben, in der jeder bewaffnet sein muss. Sie spricht sich dafür aus, beispielsweise soziale Netzwerke wie Facebook, auf denen viel Hass verbreitet werde, strenger zur Verantwortung zu ziehen. Gold fügt hinzu, in Schulen müsste mehr über Toleranz und die Grundlagen verschiedener Glaubensrichtungen gesprochen werden, damit die Angriffe zurückgingen. 

Er selbst habe noch nie Gewalt erfahren, wahrscheinlich weil er als säkularer Jude ohne Kippah und traditionelle Kleidung nicht deutlich zu erkennen sei. Aber vor einiger Zeit sprühten Unbekannte Hakenkreuze auf die Straße vor seinem Haus. Danach war es mit dem sorglosen Leben auch für Gold vorbei. Gerade hat er für mehrere tausend Dollar ein High-Tech Alarmsystem zuhause einbauen lassen. Sicher ist sicher.

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker
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