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Jacques Tilly: "Satire darf nicht alles"

Gaby Reucher22. Januar 2015

"Ich bin Humanist und Humorist", sagt der bekannte Wagenbauer des Düsseldorfer Karnevals, Jacques Tilly. Mit Augenmaß will er die Verfehlungen von Menschen aufs Korn nehmen. Egal ob Atheisten, Christen oder Muslime.

Der Düsseldorfer Karnevalswagenbauer Jacques Tilly neben einer Figur von Prince Charles (Foto: DW/Gaby Reucher)
Bild: DW/G. Reucher

Jacques Tilly baut seit Jahren mit seinem zwölfköpfigen Team die Motivwagen für den Rosenmontagszug des Düsseldorfer Carnevals-Comitees. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund. Seine dreidimensionalen Karikaturen haben den Ruf, besonders kritisch und pointiert zu sein. Von dem Attentat auf die Karikatur-Kollegen der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" war er schockiert. In seiner Arbeit für den Düsseldorfer Karneval will sich Jacques Tilly aber nicht beirren lassen.

DW: Als Sie davon erfahren haben, was in Paris mit den Mitarbeitern von Charlie Hebdo passiert ist: Was waren Ihre ersten Gedanken?

Jacques Tilly: Das löst natürlich sofort eine Kettenreaktion an Gedanken aus. Das verändert die Situation in Europa völlig. Ich habe auch überlegt, was das für unsere Arbeit im Karneval bedeutet, für Satire, Spaß und Humor. Insofern hat dieses Attentat eine Qualität, die sehr nah an unserer Arbeit dran ist, und natürlich haben wir direkt überlegt, was heißt das jetzt für uns.

Ziehen Sie denn Parallelen von dem Magazin Charlie Hebdo zu dem, was Sie im Karneval machen?

Was Charlie Hebdo gemacht hat, ist schon etwas ganz anderes. Es ist ein Satiremagazin für eine bestimmte Klientel. Die können machen, was sie wollen. Der Karneval ist aber für alle da, und der Karneval ist - was die Weltanschauung anbelangt - mehr oder weniger neutral. Alle, ob Atheisten, Christen oder Muslime, können Karneval feiern, aber alle werden auch gleichermaßen durch den Kakao gezogen. Wir sind da wie Justizia, und jeder kriegt einen drüber, es wird also niemand bevorzugt, indem er verschont wird.

Sie haben trotzdem durchaus heiße Eisen angepackt. Da läuft man ja immer Gefahr, dass man auch religiöse Gefühle verletzt.

Religion ist Menschenwerk, und Menschenwerk ist fehlbar und deshalb eben auch ein natürliches Opfer der Satire. Also der Kindesmissbrauch der katholischen Kirche kam im Düsseldorfer Karneval vor, aber auch das schwierige Verhältnis des Islams zu den Frauen. Wenn wir die Religion auslassen würden, würden wir einen Großteil der weltpolitischen Themen auslassen, und das geht ja nicht.

Sie haben auch Extremisten wie Osama bin Laden ins Visier genommen. Wenn Sie jetzt diese Anschläge in Paris sehen, fürchten Sie um Ihre Arbeit?

Nein, das kann man eigentlich nicht vergleichen. Wir werden das machen, was wir immer gemacht haben, eine moderate Kritik von allen und an allem. Ich denke, das ist ein Kurs, mit dem alle gut leben können.

Viele sagen ja auch, jetzt hat man automatisch die Schere im Kopf, dass man anfängt, sich schon selbst zu zensieren.

Eigentlich nicht, denn Mohammed werden wir sowieso nicht bauen, egal was kommt. Das haben wir auch noch nie gemacht, das ist auch nicht unser Anliegen. Wir wollen ja nicht religiöse Grundlagen angreifen, sondern es geht uns tatsächlich um das Bodenpersonal, um die Verfehlungen der einzelnen Menschen.

Verstehen diesen Humor denn alle? Gerade das Thema Kindesmissbrauch in der Kirche, ist das etwas, bei dem die Leute nett schmunzelnd drüber hinwegsehen, oder haben Sie da auch schon mal Ärger bekommen?

Ja, Ärger gibt es immer. Ich habe auch sehr viele böse E-Mails bekommen. Die härtesten Reaktionen kamen tatsächlich von Christen beim Thema Abtreibung. Böse Beschimpfungen von Muslimen gab es auch, aber alles mit Absender und Namen, und das waren vertretbare Argumente, mit denen ich konfrontiert wurde. Zum Beispiel zum Thema Verschleierung, die ja sehr umstritten ist. Ist das jetzt ein Ausdruck der Selbstbestimmung der Frau, oder ist das Ausdruck der Unterdrückung der Frau? Das kann man ja verschieden sehen, da wurde aber diskutiert, und das finde ich gut.

Sie haben dazu 2011 einen Wagen gebaut.

Das war ein Wagen, wo vier Frauen dargestellt waren, bei denen der Verschleierungsgrad immer stärker wurde. Kopftuch, Niqab, Burka - und am Ende war es halt ein Sack, ein Müllsack. Das symbolisiert, dass die Frauen versteckt werden und in den islamischen Ländern aus der Öffentlichkeit verschwinden.

Mit der katholischen Kirche gab es mal großen Ärger, als es um den Kölner Kardinal Meisner ging.

Ja, Kardinal Meisner war ein katholischer Fundamentalist. Er hat 2005 tatsächlich mal Ungeheuerlichkeiten gesagt zum Thema Abtreibung. Er hat Frauen, die abgetrieben haben, auf eine Stufe mit Auschwitz-Schergen gestellt. Kurz vor Rosenmontag sollte man so etwas nicht machen. Er hat natürlich einen heftigen Wagen gekriegt. Kardinal Meisner, der eine Frau verbrennt, die abgetrieben hat - unter dem Motto "Traditionspflege". Das hat natürlich viele hier aufgeregt, und viele haben gesagt, das geht zu weit, das verletzt unsere religiösen Gefühle. Aber wenn ich darauf Rücksicht nehmen würde, dann könnte ich keine Arbeiten mehr machen. Gefühle werden immer verletzt durch Satire und Humor, und manchmal ist es sehr gesund, dass man auch Gefühle verletzt, aber man muss das natürlich immer mit Augenmaß machen.

Sie sagen also, man muss Grenzen einhalten. Wo sind denn bei Ihnen die Grenzen?

Ich glaube, jeder Zeichner hat seinen eigenen moralischen Kompass, wo er sagt, das geht nicht und das geht. Dabei kann Satire natürlich sehr bösartig sein. Aber Satire darf natürlich nicht per se automatisch alles.

Sie sagten eben, Mohammed würden Sie nicht darstellen. Ist das eine Grenze, oder interessiert Sie das einfach nicht?

Es interessiert mich nicht, die religiösen Grundlagen als Ganzes anzugreifen. Wir stellen auch nicht Jesus dar oder den lieben Gott oder so etwas, das ist gar nicht in unserem Interesse. Es geht um die Verfehlungen der Menschen. Und wenn Gläubige sich irren und Dinge tun, die verwerflich sind, oder wenn eine sehr große Kluft besteht zwischen den hohen moralischen Ansprüchen und einer manchmal sehr traurigen Realität, dann greifen wir das auf, indem wir diese Kluft satirisch und lustig beschreiben. Darin liegt die Aufgabe des Humoristen, denke ich.

Im Moment ist das gar nicht so einfach. Da gibt es die Anschläge auf das Satiremagazin und gleichzeitig Drohungen gegen islamkritische Demonstranten in Deutschland aus der sogenannten Pegida-Bewegung. Diese Bewegung wird ja auch bei uns kritisch gesehen, hat sich aber auch dem Aufruf "Je suis Charlie" angeschlossen. Wie gehen Sie damit um? Wen karikieren sie in dieser Gemengelage?

Also mein eigener politischer Kompass sagt mir: Ich bin Humanist, ich bin radikaler Verfechter der Menschenrechtsidee und vor allem auch der Idee des Selbstbestimmungsrechts des Menschen. Das hat natürlich auch politische Auswirkungen. Ich verteidige die Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Dementsprechend ist meine Position auch klar. Natürlich muss Pegida demonstrieren dürfen, auch wenn ich mit vielem dort nicht einverstanden bin, aber ob wir dazu einen Wagen machen oder nicht, oder ob wir das aufgreifen oder nicht, das kann ich jetzt noch gar nicht sagen. Es sind ja noch ein paar Wochen bis Rosenmontag, und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es nicht sagen, denn unsere Wagen bleiben bis Rosenmontag geheim.

Das Gespräch führte Gaby Reucher.

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