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Politik

"Jamaika": Dann halt doch Verlängerung

Richard A. Fuchs
17. November 2017

Die Sondierungen von Union, FDP und Grünen gehen weiter. Einige Unterhändler reagieren gereizt, andere sind zuversichtlich. Spaltpilz bleibt die Asylpolitik. Die SPD warnt vor einer "Koalition des Misstrauens".  

Berlin Fortsetzung der Sondierungsgespräche
Bild: picture-alliancce/dpa/K. Nietfeld

Es sollte eigentlich die Nacht der Entscheidung werden. Aber es wurde die Nacht, in der die bayrische CSU und die Grünen beim Thema Familiennachzug für Geflüchtete heftig aneinanderrasselten. Kompromisse gab es keine, weshalb man sich nach über 15 Stunden Marathonsitzung nur in soweit einig war, dass die Sondierungsgespräche von CDU, CSU, FDP und Grünen weitergehen sollen. "Wir gehen in die Verlängerung, es wird nicht einfach", sagte CSU-Chef Horst Seehofer vor Beginn der nächsten Runde, die am Freitagnachmittag tagt. 

Jamaika: Einigung noch möglich

02:08

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Erneut soll ein Anlauf unternommen werden, um ein "Jamaika"-Bündnis doch noch aus der Taufe zu heben. Eigentlich wollten die vier Parteien ja schon am Freitag verkünden, ob das mit offiziellen Koalitionsverhandlungen zwischen den ungleichen Partnern etwas werden könnte. Aber, daraus wurde jetzt nichts. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) fordert vor der nächsten Sondierungsrunde mehr Anstrengungen von allen Beteiligten: "Die Aufgabe, eine Regierung für Deutschland zu bilden, ist eine so wichtige Aufgabe, dass sich die Anstrengung lohnt", sagte Merkel in der CDU-Parteizentrale. Bei den Sondierungen seien viele Themen mit vielen Einzelheiten besprochen worden: "Insofern ist es nicht ganz trivial, die Enden zusammenzubringen." Derzeit gehen viele Beobachter davon aus, dass auch am Wochenende weiter verhandelt werden muss. 

FDP-Chef Christian Lindner wirkte von allen Verhandlungsteilnehmern noch am Entspanntesten. Zumindest vor den KamerasBild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld


Zwischen Frust und "Jetzt-erst-recht-Stimmung"

Kein Wunder, dass die Gemütslage der Verhandlungsteilnehmer zwischen Frust und "Jetzt-erst-recht-Stimmung" hin- und herzuschwanken scheint. Wolfgang Kubicki, der als Parteivize für die Liberalen am Verhandlungstisch sitzt, machte aus seiner Enttäuschung über den verpatzten Showdown keinen Hehl. Dem ARD-Fernsehen sagte er: "Wir sind in den strittigen Fragen Migration, Bekämpfung des Klimawandels, Finanzpolitik, Innere Sicherheit noch so weit auseinander, dass mir momentan die Fantasie fehlt, wie wir in der kurzen Zeit zusammenkommen sollen." Ihn frustrierten diese Gespräche zusehends, schob er hinterher. 

Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) markierte mit seinen Aussagen den Gegenpol auf der Gefühlsskala. "Ich halte die Probleme für lösbar", sagte er ebenfalls in der ARD. "Man kann zusammenkommen, wenn man zusammenkommen möchte." Auch er hob allerdings hervor, dass man der Bevölkerung langsam eine Antwort schuldig sei, ob diese Koalition komme, oder eben nicht. Auch CSU-Chef Horst Seehofer räumte ein, dass mitunter heftig die Fetzen geflogen seien, kündigte aber an, weiterkämpfen zu wollen. "Wir werden alles Menschenmögliche tun, um auszuloten, ob eine stabile Regierungsbildung möglich ist", sagte der bayerische Ministerpräsident. "Gründlichkeit geht vor Eile", dämpfte der Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner die Erwartungen.

CSU-Chef Horst Seehofer und die Grünen kommen bei der Flüchtlingspolitik nicht auf einen NennerBild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

Sollen Geflüchtete Familienmitglieder nachholen dürfen?

Besonders umstritten ist weiterhin die Frage, ob Angehörige von in Deutschland lebenden Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus nachziehen dürfen. "Das ist der Punkt, an dem sich zwei der Parteien ineinander verhakt haben", sagte Alexander Graf Lambsdorff, der für die Liberalen verhandelte. Die Grünen plädieren für einen Familiennachzug, weil sich nur derjenige gut integrieren könne, der nicht um seine Familie im Kriegsgebiet fürchten müsse. Die CSU lehnt dies kategorisch ab, weil die Partei dadurch Hundertausende von neuen Geflüchteten erwartet. Die Grünen halten derlei Schätzungen für völlig überzogen, sprechen von einer Zahl von 50.000 bis 70.000 Familienangehörigen, die nachkommen würden.

Die Unionsparteien hatten sich nach langem Streit darauf verständigt, dass die Zuwanderung auf den "Richtwert" von 200.000 Zuwanderern pro Jahr begrenzt werden sollte. Der Familiennachzug könnte dieses Wahlversprechen der CSU kippen, weshalb die Partei sich in den Verhandlungen unnachgiebig zeigt. CSU-Chef Horst Seehofer warf den Grünen "Falschbehauptungen" vor, weil diese auf unterschiedliche Positionen zwischen CDU und CSU verwiesen hatte. In den Verhandlungen hatte sich die CDU in der umstrittenen Flüchtlingsfrage deutlich flexibler gezeigt als die CSU. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kündigte in ihrer Twitter-Videobotschaft an: "Wir sind bereit zu sprechen und hoffen, dass es ein Ergebnis gibt."

Die bayrische CSU muss sich beim Familiennachzug für Geflüchtete bewegen, fordern die GrünenBild: picture alliance/dpa/S. Stein

Sozialdemokraten  warnen vor "Koalition des Misstrauens"

Doch nicht nur Teilnehmer des vermeintlichen Jamaika-Quartetts meldeten sich am Tag danach zu Wort. Auch die politische Opposition kommentierte die Verhandlungen, die scheinbar nicht enden wollen. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles warnte in der ARD vor einer "Koalition des Misstrauens", die sich zwischen Union, FDP und Grünen anbahne. Nahles warf der Kanzlerin vor, es an Führung vermissen zu lassen. Am Ende werde es daher eine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner geben – und das sei keine gute Perspektive für Deutschland, sagte Nahles. Die Sozialdemokraten, die nach einer deutlichen Wahlschlappe ankündigten, in die Opposition gehen zu wollen, bekräftigten dies noch einmal. Man gehe weiter vom Zustandekommen einer "Jamaika"-Koalition aus, sagte Nahles. Aber auch wenn die Gespräche scheitern sollten, stehe ihre Partei für erneute Regierungsgespräche nicht zur Verfügung. Dann werde es auf Neuwahlen hinauslaufen.

Wirtschaft: Finanzieller Spielraum liegt bei über 76 Milliarden Euro

Auch Wirtschaftsverbände ließen die Gespräche in der Dauerschleife nicht unkommentiert. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ließ wissen, dass er den finanziellen Spielraum für eine mögliche Jamaika-Koalition fast doppelt so hoch ansetzen würde wie die potenziellen Partner selbst. Während derzeit von 30 bis 40 Milliarden Euro gesprochen wird, die der Bund pro Jahr zusätzlich ausgeben kann, hält der DIHK über 76 Milliarden Euro pro Jahr für möglich. Der Grund, so die Wirtschaftsvertreter: zu einem Steuerplus von rund 30 Milliarden kämen noch Mehreinnahmen von zwölf Milliarden Euro durch die gute Konjunktur. Der Bund müsse weiterhin weniger Geld für die Schuldentilgung ausgeben und es gebe auch freie Finanzmittel, die nicht in der Flüchtlingsunterstützung abgerufen worden seien. Das alles summiere sich, laut DIHK, zu einem Spielraum von 76 Milliarden Euro auf.

Für die Wirtschaftslobbyisten ist allerdings auch klar, wofür eine mögliche Jamaika-Koalition diese Spielräume nutzen sollen: nämlich zur Steuersenkung, also beispielsweise für die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, wie von den Liberalen gefordert. Gut möglich, dass diese Wortmeldung den Fortgang der Gespräche nicht zwingend abkürzt. 

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