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Jan Frodeno: "Immer ein Spiel mit dem Limit"

30. Oktober 2019

Ein Eisenmann gibt Einblicke: Im DW-Interview verrät Ironman-Weltmeister Jan Frodeno, wie sich ein Leben am Limit anfühlt, wo er dem Tod nahe kam und warum er zu seinem umstrittenen Engagement in Bahrain steht.

USA Ironman 2019 | Jan Frodeno
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Garcia

Deutsche Welle: Jan Frodeno, nach ihrem Erfolg auf Hawaii haben sie ein paar Tage mit ihrer Familie in Australien verbracht. Wie muss man sich das vorstellen, wenn sie sich entspannen ohne beispielsweise besonders darauf achten zu müssen was sie essen?

Jan Frodeno: Nun, um ehrlich zu sein, habe ich festgestellt, dass mir weniger Einschränkungen besser tun. Also neige ich generell dazu, mich sehr wenig einzuschränken. Allerdings sind wir absolute Gesundheitsfanatiker und essen immer ziemlich gut. Und das versuchen wir auch unseren Kinder mitzugeben.

Ihren dritten WM-Titel in Kona haben sie mit einem fast perfekten Rennen gewonnen. War dieser Erfolg der schwierigste, oder vielleicht der schönste?

Der süßeste ist vielleicht die beste Beschreibung. Es ist mir selten passiert, dass ich während des Rennens gemerkt habe, dass es das ist, wofür ich so lange gearbeitet habe. Man debattiert ja gerne darüber, ob es diesen perfekten Tag gibt und dann bist du im Rennen plötzlich damit konfrontiert. Und du weißt: Du bist jetzt 38 und weißt eben nicht, wie viele dieser perfekten Tage du noch haben wirst. Den Gipfel zu erreichen, ist die eine Sache. Aber wenn du einmal da bist, musst du erkennen, dass du da nicht bleiben kannst. So war es einzigartig, diesen Moment zu genießen im letzten Drittel den Marathons, als ich realisiert haben, dass das mein großer Tag sein könnte.

Jan Frodeno über ein gesundes Leben

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Im vergangenen Jahr mussten sie auf Hawaii verletzt zuschauen. Am Renntag haben sie gemeinsam mit ihrem Team eine schriftliche Vereinbarung getroffen, 2019 in bestmöglicher Form am Start zu sein. Sie haben sich selbst viel Druck aufgeladen, von außen kommen die Erwartungen von Fans und Medien dazu. Mögen sie diesen Druck, brauchen sie ihn vielleicht sogar?

Ich habe schon immer gern gesagt, dass Druck Diamanten schafft. Und das trifft auch stark auf mich zu. Ich brauche Druck, um an die absolute Spitze zu gelangen. Und so war diese Absichtserklärung, die wir da unterschrieben haben, durchaus dafür gedacht, Druck auf mich und auch aufs Team auszuüben. Ich erinnere mich gut daran, dass es damals bei der Unterzeichnung durchaus auch ein bisschen Widerwillen gab. Die Sache hatte eine große Bedeutung. Es war nicht nur ein Blatt Papier. Ich denke das ist etwas, was meinen Trainer und mich wirklich verbindet, seit ich 2012 zu ihm kam. Damals sagte ich zu ihm, dass ich Hawaii gewinnen will, und zwar 2015. 'Du kannst mir dabei helfen'. Und es stellte sich heraus, dass nicht viele Typen in sein Büro kommen sollten mit so einem Vorhaben, die ihn um Hilfe bitten. 

"Habe mir oft die Finger verbrannt"

Wer mit so viel Ehrgeiz unterwegs ist, geht das Risiko ein sich zu viel abzuverlangen. Sie haben so etwas schon erlebt, nach ihrem Olympiasieg 2008. Wie behalten sie inzwischen ihre innere Balance?

Um ehrlich zu sein, habe ich schon so oft mit dem Feuer gespielt und mir dir Finger verbrannt. Wahrscheinlich war 2010 aus mentaler Sicht mein schlechtestes Jahr. Da war ich wirklich down. Jetzt stellt sich mir die Frage, ob so ein Sieg nicht viel süßer ist, wenn du vorher gegen Widrigkeiten ankämpfen musstest. Ich glaube, du musst auch mal übers Limit, um es wirklich herauszufinden. Das ist eine Feinabstimmung die ich nun schon seit Jahren betreibe. Aber es ist auch das, was mich derzeit antreibt: die Grenze zu finden, um zu sehen, ob ich es noch besser machen kann. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich meine Schuhe noch nicht an die Wand hänge - dieses Spiel mit dem Limit.

Sprint zu Gold: Frodeno gewinnt das Triathlon-Rennen der Olympischen Spiele 2008Bild: picture-alliance/sampics/S. Matzke

Im Rennen gehen Dinge schief. Bei der WM hatten sie anfangs einige Probleme mit ihrem Radschuh. 2016 in Roth und in diesem Jahr im Frankfurt sind sie um ein Haar mit dem Rad gestürzt. Wie behalten sie in solchen Situationen den Fokus?

Das Wichtigste ist immer, das große Ziel im Hinterkopf zu behalten. In einem achtstündigen Rennen gehen Dinge schon mal schief. Aber auch da bin ich ans Limit gegangen. Beide Male, in Roth und in Frankfurt, habe ich mich über mich selbst geärgert. Beim ersten Mal hatte ich diese Stelle zu langsam passiert, also dachte ich, ich versuche es mal schneller. Offensichtlich war es etwas zu schnell, aber das macht den Reiz der Sache für mich aus. Auf Nummer sicher zu gehen, ist nicht meine Art. Klar besteht da buchstäblich Sturzgefahr. Aber ehrlicherweise geht es dabei darum, das Kind in mir rauszulassen - deswegen liebe ich den Sport so sehr.  

Gewinnen ist eine Sache, Rekorde brechen etwas anderes. Auf Hawaii haben sie beides geschafft. Was treibt sie an, weiter alles zu geben, selbst wenn sie sich sicher sind, als Erster ins Ziel zu kommen. War es in diesem Fall die große Rivalität zwischen ihnen und Patrick Lange?

Natürlich gibt es da eine große Rivalität zwischen Patrick und mir. Er hat die letzten beiden Jahre gewonnen und dabei absolut fantastische Rennen abgeliefert. Und ja, unglücklicherweise hat er sich dieses Jahr hat dazu entschieden auszusteigen. So hatte ich nur noch die Chance, mich quasi virtuell zu rehabilitieren, denn da war ja nur noch sein Rekord übrig. Ich wollte zeigen, dass ich das beste aus mir herausholen kann aber auch, dass ich der Beste überhaupt bin. Das war also meine Antwort.

Sie sind nicht mehr der jüngste Athlet. Im Training können sie also nicht die Umfänge erhöhen, sondern bauen auf Qualität jeder einzelnen Einheit. Wie schaffen sie es, dass sich beim täglichen Training nicht einfach Routine einschleicht? 

Jan Frodeno über Gefahr und Tod

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Es gibt ein Sprichwort von Marcus Aurelius, an das ich sehr glaube: Memento mori - denke daran, dass du sterben wirst. Das wurde mir bewusst, als ich eine sehr gefährliche Begegnung mit einem Lastwagen hatte, der mich von der Straße drängen wollte. Da habe ich realisiert, dass dass alles morgen schon vorbei sein kann. Das ist die Wahrheit übers Radfahren und über unser ganzes Leben. Das ist die Realität, mit der man als Profisportler, der viel mit dem Rad unterwegs ist, konfrontiert wird. Ich habe für mich aus dieser Situation als positive Erkenntnis mitgenommen, dass es keine zweiten Chancen gibt. Es gibt keine Chance, die heutige Trainingseinheit morgen besser zu machen. Ich versuche wirklich, das beste aus jedem Tag zu machen. Ich muss doch keine weiteren 40 Minuten rumtraben, wenn es nicht läuft. Da bleibe ich besser zu Hause und kümmere mich um meinen Hund und meine Kinder und nutze die Zeit effektiv. Das hat mir einen riesigen Schub gegeben, wenn es darum geht, die Zeit, die ich habe, zu schätzen. 

Einer ihrer Hauptsponsoren ist "Bahrain Endurance" - ein Projekt, das eng mit der Königsfamilie des Landes zusammenhängt. In Bahrain werden Menschenrechte verletzt, es gibt keine Pressefreiheit. Sie kennen diese Punkte, es gibt Kritik an ihrem Engagement. Warum halten sie daran fest?

Dafür werde ich häufig kritisiert. Ich spüre, dass die Leute gar nicht sehen, was wir da machen. Ich bin durch die Laureus-Stiftung auf die gesundheitlichen Probleme in der Region aufmerksam geworden. Als ich vom Team angesprochen wurde, ob ich ein Basisprogramm dort mit aufbauen möchte, ob ich Triathlon dort implementieren möchte, da habe ich mir das alles gut angesehen, weil ich selbst Zweifel hatte, ob das alles so richtig ist. Aber ich muss sagen, nachdem ich jedes Jahr dort war, dass wir es geschafft haben, aus einer Gemeinschaft von ursprünglich 80 Leuten im ersten Jahr auf über 1000 zu wachsen. Es gibt jetzt fünf Triathlonklubs, die regelmäßiges Training anbieten. Sport ist jetzt Pflichtfach an den Schulen. Ich glaube, dass wir trotz der Schwierigkeiten dorthin gehen sollten und eine Fluchtmöglichkeiten für die Menschen schaffen können, um ihr Leben besser zu machen. Für mich fühlt sich das viel besser an als mit dem Finger darauf zu zeigen und zu sagen: Was ihr da macht ist schrecklich. 

Auch ein Topsportler kann scheitern: Frodeno mit Rückenschmerzen bei der WM 2017Bild: picture-alliance/dpa/C. Michal

Also setzen sie darauf, Ihre eigenen Werte mit einzubringen und grenzen sich ab zu den politischen Vorgängen dort?

Auf jeden Fall. Ich teile die Werte dort überhaupt nicht. Ich glaube nicht an militärische Intervention. Ich glaube unterstütze diese Dinge nicht. Ich gebe zu, dass ich in einer Blase lebe, wenn ich dorthin gehe. Aber ich merke, dass diese Blase eine Möglichkeit für die Menschen bietet. Also für Frauen und Männer, die jetzt in engen Lycra-Hosen durch die Hauptstraßen von Manama laufen, Sport treiben und damit definitiv etwas Revolutionäres tun. Das ist definitiv eine Fluchtmöglichkeit aus dem Alltag. 

Es gibt ein schönes deutsches Sprichwort: "Aufhören, wenn es am schönsten ist." Nach dem Rennen auf Hawaii haben Sie gesagt, es sei wahrscheinlich der perfekte Tag gewesen, nach dem sie ihre gesamte Karriere gestrebt haben. Warum machen sie weiter?

Wenn ich jetzt aufhören würde, dann wäre das nur, um die Erwartungen der anderen zu erfüllen. Es wäre zwar ein perfektes Karriere-Ende, aber kein perfektes Ende meiner sportlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Ich habe erkannt, dass ich jetzt in der luxuriösen Position bin zu tun, was ich möchte. Ich muss mich niemandem gegenüber beweisen, ich bin immer noch hungrig und neugierig, ob es nicht noch ein bisschen besser geht. Und so lange ich diese Neugier habe, werde ich weitermachen. Eines Tages werde ich aufwachen mit der Erkenntnis, dass die Neugier gestillt ist. Dann ist es Zeit, die Schuhe an den Nagel zu hängen. Aber dieser Tag ist noch nicht gekommen. 

Jan Frodeno (38) ist einer der erfolgreichsten Triathleten der Welt. Im Oktober gewann er seinen dritten WM-Titel beim Ironman auf Hawaii und unterbot dabei den Streckenrekord seines Rivalen Patrick Lange (7:51:13 Stunden für 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen). Seine ersten beiden Titel gewann er 2015 und 2016. In Führung liegend, bekam er im darauffolgenden Jahr Rückenprobleme beim Marathon, "aus Respekt" beendete das Rennen aber dennoch weit abgeschlagen. 2018 fehlte er verletzt. 2008 gewann Frodeno die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Peking. Dort lernte er auch seine spätere Ehefrau kennen: Emma Snowsill aus Australien holte Gold bei den Frauen. Das Paar hat zwei Kinder und lebt in Noosa/Australien und in Girona/Spanien.

Das Interview führte Jens Krepela.

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