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Japan: Die Angst vor Mega-Erdbeben

10. Juli 2025

Nach der jüngsten Erdbebenserie in Japan hat Tokio einen neuen Zivilschutzplan beschlossen. Die Sorge um ein besonders starkes Beben im Nankai-Graben ist groß. Die Regierung will Schäden minimieren.

Japan Kagoshima 2025 | Evakuierte von Tokara-Inseln erreichen Festland
Bewohner der vom Erdbeben erschütterten Tokara-Inseln werden evakuiertBild: Koichi Nagano/AP/picture alliance

Diese Woche hat Japan einen aktualisierten Notfallplan zum Zivilschutz beschlossen. Die Menschen sollen im Falle einer Naturkatastrophe wie die eines Erdbebens besser geschützt werden. Das Land erlebt in der Regel etwa 1500 Erdbeben pro Jahr. Fast jeden Tag bebt dort die Erde, meistens ohne erkennbare Schäden. Etwa 18 Prozent der weltweiten Erdstöße der Stärke sechs (oder stärker) auf der Richterskala erschüttern Japan.

In den letzten Monaten wurde die Inselnation wieder von heftigen Erdstößen heimgesucht, zuletzt auf den Tokara-Inseln, die nahezu am südlichen Ende der japanischen Inselketten liegen. Seit dem 21. Juni registrierten Wissenschaftler mehr als 1700 Erdbeben unterschiedlicher Stärken. Das stärkste Beben wurde am Montag (07.07.2025) mit der Stärke fünf auf der Richterskala aufgezeichnet. Erdbeben auf dieser abgelegenen Inselkette seien nichts Ungewöhnliches, sagen die Experten, jedoch nie in dieser Stärke und über so einen langen Zeitraum.

Auf den Tokara-Inseln sind bisher knapp 700 Einwohner gemeldet. Viele Menschen ziehen aber nun freiwillig auf die großen Hauptinseln um. Die Behörden haben die Bewohner, die auf den Inseln bleiben wollen, angewiesen, sich auf weitere Beben vorzubereiten. Diese Bebenserie sei jedoch kein Vorbote des gefürchteten Nankai-Mega-Erdbebens, sagen Experten.

Manche der 700 Bewohner der Tokara-Inselgruppe verlassen das Zuhause Bild: Kyodo/picture alliance

Nicht ob, sondern wann!

In Japan leben 125 Millionen Menschen auf vier großen Hauptinseln. Unterhalb des Landes treffen gleich vier tektonische Platten aufeinander: die euroasiatische, die pazifische, die nordamerikanische und die philippinische Platte. Japan liegt auf dem sogenannten "Pazifischen Feuerring".

Südlich der Hauptinseln verhakt sich die philippinische Platte großflächig mit der euroasiatischen. In der Erdkruste bildet sich dabei eine enorme Spannung, die zu besonders schweren Mega-Erdbeben führen könnte. Die Region wird als Nankai-Graben bezeichnet. Er ist etwa 900 Kilometer lang. In Japan herrscht allgemein die Meinung, dass ein Mega-Erdbeben unvermeidlich ist. Die Frage ist bloß: wann?

Im März veröffentlichte die japanische Regierung einen aktualisierten Bericht über das Gefahrpotenzial eines möglichen Erdbebens im Nankai-Graben, der unmittelbar vor den großen Metropolenregionen wie Tokio und Nagoya liegt. Die Studie schätzt die Wahrscheinlichkeit eines Megabebens der Stärke neun in den nächsten 30 Jahren nun auf 80 Prozent. 298.000 Menschen könnten dabei ihr Leben verlieren. 2,35 Millionen Gebäuden könnten zerstört werden, vor allem durch einen Tsunami nach dem Beben, der die dicht bewohnte Ostküste Japans treffen würde.

Mehr Schutz nach Atomunfällen

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Schaden begrenzen

Nun will Japan mit der neuen Auflage des Notfallplans die möglichen Verluste an Menschenleben und Sachwerten um 80 Prozent reduzieren. Das Ziel sei sehr ambitioniert, sagt Takeshi Sagiya, Professor am Forschungszentrum für Seismologie, Vulkanologie und Katastrophenschutz der Universität Nagoya, aber wahrscheinlich nicht realistisch.

"Die Priorität der Regierung ist es, den Verlust von Menschenleben zu reduzieren. Aber aus dem Tohoku-Erdbeben von 2011 haben wir viel gelernt. Wir müssen akzeptieren, dass es unmöglich ist, alle und alles zu schützen", sagt er im DW-Interview.

Beim Erdstoß der Stärke neun am 11. März 2011 kamen in der Nähe von Fukushima 20.000 Menschen ums Leben. Das war das stärkste Seebeben in Japan, ausgelöst im Nankai-Graben. Im Atomkraftwerk in Fukushima kam es zu Kernschmelze. Dabei kamen große Mengen von hoch gefährlichen radioaktiven Materialien frei.

Rückkehr in die Sperrzone

03:24

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Japan rüstet sich mit Deichen und Dämmen

Jetzt werden in einigen Küstenregionen höhere und stabilere Deiche gegen Tsunamiwellen gebaut. In besonders gefährdeten Gemeinden wurden Hunderte von Tsunami-Fluchttürmen errichtet. Einer der neuesten befindet sich in der Stadt Kuroshio in der Präfektur Kochi. Experten gehen davon aus, dass im schlimmsten Fall die Tsunamiwelle bis zu 34 Meter hoch sein könnte - die Höhe eines zehngeschossigen Gebäudes.

Der größte Evakuierungsturm Japans im Falle eines Tsunamis liegt in der Küstenstadt KuroshioBild: Naoya Masuda/AP Photo/picture alliance

"Die Infrastruktur ist wichtig. Noch wichtiger ist es, die Menschen vor Ort darüber aufzuklären, was sie beim Erdbeben tun müssen, wie sie schnell evakuiert werden können und welche Fluchtwege sie nehmen sollten", sagt Geologe Sagiya. "Die Menschen müssen sich der Gefahren besser bewusst werden, denn Schätzungen zufolge könnte die erste Tsunamiwelle bereits fünf Minuten nach dem Beben die Küste erreichen."

Im Jahr 2011 in Fukushima hingegen dauerte es etwa 30 Minuten, bis die ersten Wellen an der Küste ankamen. Die hohen Wellen wurden für fast alle Todesfälle verantwortlich gemacht.

Laut Sagiya ist es "offensichtlich nicht praktikabel", 30 Meter hohe Deiche entlang der gesamten Küste Südjapans zu errichten. Es sei unvermeidlich, dass im Katastrophenfall die Küstenstädte Nagoya und Osaka von einem Tsunami betroffen sein würden. "Und wenn es in den Städten zu weitreichenden Zerstörungen kommt, wer hilft dann den Menschen in ländlichen Regionen?", fragt er.

Tokio: Üben für den Ernstfall

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Neue Konzepte, mehr Handlungsspielräume

"Die Ursache für den Ausfall der Reaktoren in Fukushima lag darin, dass die Dieselgeneratoren, die als Notstromversorgung für die Kühlung dienten, in Kellern untergebracht waren, die durch den Tsunami überflutet wurden", erläutert Kazuto Suzuki, Professor für Wissenschafts- und Technologiepolitik an der Universität Tokio und Leiter der zehnjährigen Untersuchung der Katastrophe, im DW-Interview.

Bild: DW

Ebenso waren alle Löschfahrzeuge, die Wasser zur Abkühlung auf die drei Krenreaktoren pumpen sollten, an einem Ort geparkt, der von den Wellen überflutet wurde. "Aus den Ereignissen von 2011 wurden Lehren gezogen. Es gibt neue Vorschriften für Notstromaggregate, Feuerwehrfahrzeuge und andere Sicherheitsmaßnahmen", sagt Suzuki. "Aber es gibt viele unbekannte Faktoren, wenn es zum Mega-Erdbeben im Nankai-Graben kommen sollte. Und es ist wichtig, dass ständig Anstrengungen unternommen werden, um die Sicherheit zu verbessern, Schwachstellen zu identifizieren und sie dann zu beheben."

Die japanische Gemeinde in Frankfurt am Main

05:12

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An der Südküste Japans gibt es eine Reihe von Kernkraftwerken, die von einem Beben im Nankai-Graben betroffen wären. Die größte Sorge gilt laut Suzuki dem Kraftwerk Sendai an der Küste der Präfektur Kagoshima. "Es liegt nicht direkt am Graben. Aber ich glaube, dass es am anfälligsten ist und die Möglichkeit besteht, dass es ausfällt."

Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan