Die letzten Meerfrauen Japans – Die Ama-Taucherinnen
An der rauen Küste der japanischen Präfektur Mie beginnt Aiko Ohno ihren Arbeitstag mit einem Blick zum Himmel und einem Ritual der Vorfahren. Sie ist eine Ama – eine traditionelle japanische Taucherin, die ohne Sauerstoffgerät nach Abalonen taucht. Diese jahrhundertealte Tradition ist tief mit Spiritualität und Naturverbundenheit verwoben. Vor dem Tauchgang zeichnet Aiko mit den Fingern ein Glückssymbol in die Luft – ein Stern, der sie beschützen soll. Die Ama arbeiten stets in Gruppen, oft mit Frauen, die seit Jahrzehnten gemeinsam tauchen. Eine von ihnen ist Torako Kawamura, 75 Jahre alt, die sich im Wasser wohler fühlt als an Land. Ihre Erfahrung ist unbezahlbar, denn das Meer ist unberechenbar: Strömungen, beißende Fische und plötzlich aufkommende Wellen gehören zum Alltag.
Ein Leben zwischen Fels und Flut
Die Ama sind nicht nur Taucherinnen, sondern auch Hüterinnen des Meeres. Sie achten darauf, nur ausgewachsene Abalonen zu ernten und setzen neue Tiere aus, um die Bestände zu erhalten. Diese nachhaltige Lebensweise ist Ausdruck einer Philosophie der Demut gegenüber der Natur. Aiko, ursprünglich aus Tokio, fand in diesem einfachen Leben ihre Berufung. Sie wurde zur Pionierin für andere Frauen wie Mariko, die ihr folgte. Trotz der harten Bedingungen – kaltes Wasser, starke Strömungen, schwindende Ressourcen – verbindet die Ama eine tiefe Gemeinschaft. Am Ende eines jeden Tages treffen sie sich im Hafen von Ijika, einem Ort, an dem Tradition und Gegenwart aufeinandertreffen.
Wird diese Tradition überleben?
Die Zukunft der Ama ist ungewiss. Der Rückgang des Seegrases, steigende Meerestemperaturen und die Abwanderung junger Menschen bedrohen diese einzigartige Kultur. Viele der heutigen Taucherinnen sind im Rentenalter, Nachwuchs ist rar. Doch Aiko glaubt an die Kraft der Weitergabe. Sie möchte die Tradition bewahren und an die nächste Generation weitergeben. Solange es Frauen wie sie gibt, die sich dem Meer mit Respekt und Leidenschaft nähern, besteht Hoffnung, dass die Ama nicht nur in Legenden weiterleben – sondern auch in der Realität.