Japan erhält eine "Eiserne Lady" als Premierin
5. Oktober 2025
Der Sieg von Sanae Takaichi in ihrem dritten Anlauf bei der parteiinternen Wahl zur Vorsitzenden der Liberaldemokratischen Partei (LDP) kam überraschend, folgte aber einer gewissen Logik. Denn im ersten Wahlgang mit fünf Kandidaten erhielt sie 40 Prozent der 630.000 abgegebenen LDP-Mitgliederstimmen. Daraus leiteten viele Parlamentsabgeordnete der LDP ab, dass die traditionellen LDP-Wähler hinter Takaichi stehen, und gaben ihr bei der Stichwahl gegen Agrarminister Shinjiro Koizumi mehrheitlich den Vorzug. Dabei zog der 85-jährige Taro Aso, ein politischer Wegbegleiter des ermordeten Premiers Shinzo Abe, für sie die Strippen.
Die LDP-Mitglieder trauen Takaichi offenbar am ehesten zu, den Niedergang jener Partei zu stoppen, die Japan seit 70 Jahren fast ununterbrochen regiert hat. Unter dem moderaten Regierungs- und Parteichef Shigeru Ishibaverlor die LDP ihre Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments, weil sie nur halbherzig auf die Sorgen vieler Japaner wegen ihres gesunkenen Lebensstandards und des Zustroms von Ausländern reagierte. Ishibas Vorgänger Fumio Kishida, ebenfalls vom moderaten Flügel, stolperte über einen Spendenskandal, der den Eindruck verstärkte, dass die LDP zu wenig ans Volk denkt. Den Wiederaufbau will nun Takaichi schaffen, indem sie alle Generationen für die LDP mobilisiert, sagte sie direkt nach ihrem Sieg. Ihre Wahl zur Premierministerin ist für den 15. Oktober angesetzt.
Politische Erbin von Shinzo Abe
Die frühere zweifache Ministerin sieht sich als politische Erbin von Shinzo Abe, der mithilfe einer nationalistischen Vision von einem starken Japan und einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik sechs Wahlen hintereinander gewinnen konnte, aber auch dank einer schwachen Opposition. Seit 40 Jahren bewundert Takaichi auch die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher und sieht sich selbst als Japans "Eiserne Lady".
Dagegen bezeichnete Japans Ex-Premier Kishida sie wegen ihrer radikalen Ansichten angeblich als "Taliban Takaichi". Regelmäßig besucht die designierte Regierungschefin, die eine eigene Ausbildung zur Politikerin absolvierte, den umstrittenen Yasukuni-Schrein für Japans Kriegstote, darunter einige verurteilte Kriegsverbrecher. Solche Besuche in diesem Shinto-Schrein werden regelrecht von anderen asiatischen Ländern als Beweis für mangelnde Bereitschaft der Aufarbeitung der Kriegsgeschichte angesehen und aufs Schärfste kritisiert.
Japans Eroberungskrieg in Asien, der vor 80 Jahren mit der bedingungslosen Kapitulation endete, rechtfertigte Takaichi laut einer Kolumne auf ihrer Webseite 2004 mit der Absicht, "einen Verteidigungskrieg zu führen".
Sie forderte, das Verbrennen der japanischen Flagge mit Gefängnis zu bestrafen. Als Innenministerin unter dem damaligen Premier Abe drohte sie Fernsehsendern mit dem Entzug ihrer Lizenzen, falls sie nicht die Regierungslinie vertreten. Wie Abe will sie Japan mit starkem Wirtschaftswachstum "zurück an die Spitze" führen. Japan ist mit seinen 124 Millionen Einwohnern derzeit die viertgrößte Volkswirtschaft hinter den USA, China und Deutschland.
Auch ihr Frauenbild ist ultrakonservativ: Gleiche Gehälter für Männer und Frauen sind nach ihrer Ansicht eine Gefahr für die traditionelle Familie. Die Möglichkeit einer Kaiserin kommt für sie genauso wenig infrage wie die Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren und verschiedene Nachnamen für Eheleute. In Japan müssen verheiratete Paare per Gesetz für einen Nachnamen entscheiden. Es ist wie ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Frau den Familiennamen ihres Ehemannes annimmt.
Zuletzt schoss sie scharf gegen Ausländer, die angeblich die frei laufenden "heiligen" Hirsche in einem Park in ihrer Wahlheimat Nara treten würden. Nach Berichten der japanischen Zeitung Asahi Shimbun sei lokalen Behörden die Tierquälerei allerdings nicht bekannt. Beweise für ihre Vorwürfe konnte Takaichi auch nicht liefern.
Pragmatische Regierungsführung
Mit ihrem konservativen Weltbild und ihrer großen Veränderungsbereitschaft soll Takaichi die jungen Wähler für die LDP zurückgewinnen, die zuletzt zu rechtspopulistischen Parteien wie der Sanseito abgewandert sind. Außerdem muss sie eine breitere Koalition schmieden, um ohne die bisher notwendige Unterstützung von Oppositionsgruppen regieren zu können.
Für beide Ziele hat sie schon Kreide gefressen. Schon vor ihrer Wahl positionierte sich als "Mitte-rechts-Konservative", um die gemäßigten Kräfte innerhalb der LDP für sich zu gewinnen. Auch nach ihrem Sieg schlug sie durchgehend pragmatische Töne an, offensichtlich in dem Bemühen, weder ihren aktuellen liberalen Koalitionspartner Komeito noch mögliche neue Unterstützer ihrer Regierung zu vergraulen.
Als Priorität nannte Takaichi die Abschaffung einer 50 Jahre alten Benzinsteuer als Ausgleich für die hartnäckige Inflation, was auch die Opposition fordert. In der Sicherheitspolitik betonte sie die Bedeutung des trilateralen Bündnisses mit den USA und Südkorea und verringerte damit Bedenken, die gerade reparierten Beziehungen zu Südkorea könnten sich wegen ihres Nationalismus wieder verschlechtern.
Bei der Frage nach weiteren Besuchen des Yasukuni-Schreins flüchtete sie sich in die oft verwendete Formulierung, sie wolle darüber "angemessen" entscheiden und daraus dürfe kein "diplomatisches Politikum " gemacht werden. Die Schrein-Visiten von japanischen Regierungschefs stoßen nicht nur China und Südkorea sauer auf, auch der Koalitionspartner Komeito lehnt sie ab.
Privatleben ohne rechte Elemente
Nicht alle biografischen Fakten passen in das Klischee einer kompromisslosen Konservativen von Sanae Takaichi. Ihr Lebensmotto "Hohe Ziele, weiter Horizont, tiefes Mitgefühl" enthält keine rechten Elemente. Takaichi spielte Schlagzeug in einer Heavy-Metall-Band, fuhr lange Zeit den beliebten Sportwagen "Toyota Supra", arbeitete für die Demokratische Partei im US-Kongress und moderierte Sendungen im liberalen TV-Sender Asahi. Kürzlich berichtete sie offen über ihre Wechseljahre-Beschwerden und verlangte, Männer über Frauengesundheit aufzuklären, damit sie Mädchen und Frauen in Schule und Beruf besser unterstützen.
Takaichi hat keine eigenen Kinder und heiratete erst im Alter von 43 Jahren den LDP-Abgeordneten Taku Yamamoto, dessen drei Kinder sie adoptierte. Die Scheidung von 2017 wegen unterschiedlicher politischer Ansichten machte das Paar im Dezember 2021 durch eine Wiederheirat rückgängig. Drei Monate zuvor war Takaichi bei ihrem ersten Anlauf, LDP- und Regierungschefin zu werden, klar gescheitert. Die Pointe: Der Ehemann Yamamoto nahm ihren Nachnamen Takaichi an und folgte damit ihrer Weltsicht eines gemeinsamen Familiennamens.