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PolitikAsien

Japan: Offene Arme für geflüchtete Ukrainer

22. März 2022

Der russische Angriffskrieg zwingt die Regierung in Tokio zu einem menschlicheren Umgang mit Flüchtlingen. Die Hilfsbereitschaft der Japaner für die ankommenden Ukrainer ist groß. Martin Fritz aus Tokio.

Bildergalerie Ukraine-Krieg, Momentaufnahmen zwei Wochen | Japan Tokio, Protest
Bild: Charly Triballeau/AFP/Getty Images

Mindestens 73 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine hat Japan seit Anfang März aufgenommen - und damit einen bemerkenswerten Kurswechsel vollzogen. Die ersten Ukrainer kamen zunächst mit einem Besuchervisum für in Japan lebende Verwandte und brauchten für die Einreise einen Bürgen. Doch inzwischen erhält jeder ukrainische Flüchtling sofort ein Aufenthaltsvisum, wird finanziell unterstützt und darf arbeiten gehen. Sogar auf den vorgeschriebenen negativen Corona-Test vor der Ankunft verzichten die Behörden Japans.

Japan: Ein Land schottet sich ab

04:57

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841 Flüchtlinge in 40 Jahren

Der Botschafter der Ukraine in Japan, Sergiy Korsunsky, rechnet mit der Ankunft von mehreren hundert Landsleuten. Die Inselnation braucht also keinen Andrang wie in den ost- und mitteleuropäischen Ländern zu befürchten. Dennoch muss man diese Politik der offenen Tür als Novum für Japan bezeichnen. In den vergangenen 40 Jahren hat das Land nur insgesamt 841 Flüchtlinge akzeptiert, im Schnitt 21 pro Jahr.

Selbst während des syrischen Bürgerkriegs gewährte Japan nur einer Handvoll Flüchtlingen Asyl. Der damalige Premier Shinzo Abe löste internationale Empörung mit seiner Aussage aus, Japan müsse sich erst um seine alternde Bevölkerung kümmern, bevor man Flüchtlinge aufnehmen könne.

Der heutige Regierungschef Fumio Kishida, obwohl von der gleichen Partei wie Abe, schlägt ganz andere Töne an: "In Japan gibt es das Sprichwort, dass man sich in Zeiten der Not gegenseitig helfen soll. Im gleichen Geist nehmen wir Flüchtlinge aus der Ukraine auf", erklärte Kishida vergangene Woche. Eine Arbeitsgruppe soll sich um die Unterbringung und Versorgung der Ukrainer kümmern. Zwar verwenden Kishida und seine Beamten den Ausdruck "Evakuierte" statt "Flüchtlinge" und sorgen damit für Stirnrunzeln. Aber die Wortwahl ergibt sich aus dem japanischen Recht, das den Flüchtlingsstatus eng definiert.

Friedensdemonstration in der japanischen Stadt Hiroshima Bild: The Yomiuri Shimbun/AP Images/picture alliance

Hilfsbereite Bevölkerung

Der Premierminister reagiert auch auf die öffentliche Meinung. In den japanischen Metropolen fanden seit Kriegsausbruch mehrere Friedensdemonstrationen statt. Einer Umfrage zufolge unterstützen 86 Prozent der Japaner die Sanktionen gegen Russland. Parallel rollt eine Welle großer Hilfsbereitschaft durch das ganze Land. 150.000 Japaner zahlten bisher umgerechnet 34 Millionen Euro auf ein Spendenkonto der Botschaft der Ukraine in Japan ein. Der größte Online-Textilhändler Zozo verkaufte 143.000 T-Shirts mit einem Friedenszeichen aus Blumen als Motiv und spendete den kompletten Erlös von 284 Millionen Yen (2,2 Millionen Euro) an eine Hilfsgruppe für ukrainische Flüchtlinge. Zuvor hatte der Internet-Milliardär Hiroshi Mikitani fast acht Millionen Euro an die Regierung in Kiew geschickt.

Die Vorbereitungen für die Aufnahme laufen auf Hochtouren. Die Stadt Tokio stellt 100 Sozialwohnungen bereit und hält weitere 700 in Reserve. Der US-Botschafter in Japan, Rahm Emmanuel, will einige Flüchtlinge vorübergehend in seiner offiziellen Residenz unterbringen. Ein Verbund von 15 Sprachschulen nimmt bis zu 150 Flüchtlinge als Schüler auf und unterstützt ein halbes Jahr lang ihren Lebensunterhalt. Das Geld kommt durch Crowdfunding zusammen. Die Warenhauskette Don Quijote versprach Finanzhilfe für 100 Flüchtlingshaushalte.

Der Hersteller des Mini-Computers Pocket Talk übergab der ukrainischen Botschaft 1.000 kostenlose Geräte für Sofortübersetzungen zwischen Japanisch und Ukrainisch.

Japan lieferte am 8. März die ersten Hilfsgüter an die UkraineBild: Masnori Inagaki/AP/picture alliance

Aus für Kurilen-Verhandlungen

Der Krieg verursacht auch eine Kurskorrektur in der Außenpolitik. Vor gar nicht langer Zeit verhandelte Japan mit Russland noch über die Rückgabe von vier Kurilen-Inseln und einen formellen Friedensvertrag für den Zweiten Weltkrieg. Doch am Dienstag (22.03.) kündigte das Außenministerium in Moskau den Ausstieg aus den Gesprächen an - wegen "unfreundlicher Schritte" der japanischen Seite. Die russische Reaktion bezeichnete Premier Kishida als "völlig inakzeptabel". Doch wirklich überrascht wird er wohl kaum gewesen sein, denn Japan hatte sich recht eindeutig gegen Russland positioniert.

Zwar hält man an einem japanisch-russischen Gasförderprojekt in Sibirien fest, weil sich die große Liefermenge nicht schnell ersetzen lässt und man davon ausgeht, dass China die japanischen Anteile sofort übernehmen würde. Auch wurde auf den zunächst geplanten Importstopp für Lachs und Krabben aus Russland verzichtet. Aber die Regierung in Tokio hat sich den härteren Sanktionen des Westens gegen Russland angeschlossen, darunter die Blockade von sieben russischen Banken und das Einfrieren von Vermögenswerten. Vergangene Woche kündigte Kishida an, Russland den Meistbegünstigungs-Status im Handel zu entziehen und keine Luxusgüter mehr nach Russland zu exportieren.

Parallel hatte der japanische Regierungschef nach einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einen Fonds von 100 Millionen Dollar für humanitäre Hilfe aufgelegt, der weiter aufgestockt werden soll. Japan wird auch Ausrüstungsgegenstände aus Beständen seiner sogenannten Selbstverteidigungsstreitkräfte wie schusssichere Westen, Helme, Zelte und Winterkleidung liefern, jedoch keine Waffen. Am Mittwoch um 18 Uhr Ortszeit wird Präsident Selenskyj in einer zehnminütigen Live-Schalte zum japanischen Parlament sprechen und weitere Unterstützungen von Japan erbitten.

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