Japan und Südkorea wollen endlich Freunde sein
25. August 2025
Der südkoreanische Präsident Lee Jae-Myung und der japanische Premierminister Shigeru Ishiba haben bei ihrem Gipfeltreffen am Wochenende eine neue Phase in den Beziehungen ihrer Länder eingeleitet. Beide Politiker erklärten nach einem knapp zweistündigen Gipfelgespräch in Tokio ihre Bereitschaft, Differenzen beiseitezulegen und als Partner enger zusammenzuarbeiten. In der ersten gemeinsamen Erklärung seit 17 Jahren kündigten sie an, die Beziehungen "stabil und zukunftsorientiert" in zahlreichen Bereichen weiterzuentwickeln, etwa Künstliche Intelligenz, Industrie und Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel. Das erste Treffen der Verteidigungsminister beider Länder seit über zehn Jahren ist für den 8. September in Seoul geplant. Zudem wollen Tokio und Seoul eine Taskforce einrichten, die sich mit gemeinsamen Herausforderungen wie der niedrigen Geburtenrate und der Belebung ländlicher Regionen befasst.
Freundlichkeit statt Streitereien
Die freundliche Atmosphäre zwischen den beiden Politikern war bemerkenswert. "Dies ist unser zweites Treffen. Und ich habe das Gefühl, dass wir enge Freunde sind", sagte Lee über Ishiba. Japan sei "der am besten geeignete Partner", um dringende Probleme anzugehen. Vor zwei Jahren hatte Lee als Oppositionspolitiker seinen Vorgänger, Präsident Yoon Suk-Yeol, wegen dessen Teilnahme an einem Gipfeltreffen mit Japan noch als "Marionette Tokios" bezeichnet. Seit seinem Amtsantritt vor zwei Monaten schlägt Lee jedoch japanfreundliche Töne an. Ausgerechnet am 15. August, dem Tag der Befreiung Südkoreas von der japanischen Kolonialherrschaft, bezeichnete er Japan als "unverzichtbaren Partner" für das Wirtschaftswachstum.
Bei seiner ersten Auslandsreise besuchte er als erster Staatspräsident von Südkorea nicht die USA, sondern Japan. "Ich bin heute mit der Überzeugung nach Japan gekommen, mich mutig von früheren Praktiken zu lösen und eine pragmatische Diplomatie zu verfolgen", erklärte Lee nach dem Gespräch mit Ishiba. Der japanische Premier bestätigte diese Sichtweise: "Da wir Nachbarn sind, gibt es schwierige Fragen zwischen uns. Aber wir werden einen konsequenten politischen Kurs verfolgen", sagte Ishiba.
Zusammen gegen US-Präsident Trump
Beide Länder reagieren mit der Aufwertung ihrer Beziehungen auf die unberechenbare Außenpolitik von US-Präsident Donald Trump und die Allianz von China und Nordkorea mit Russland. Lee und Ishiba sprachen von einem "zunehmend schwierigen strategischen Umfeld". Trump verhängte 15 Prozent Importzoll für japanische und südkoreanische Waren, verlangte hohe Investitionen in den USA und fordert höhere Verteidigungsausgaben. Seoul und Tokio sind unsicher, ob die USA ihre Verpflichtungen als Schutzmacht einhalten, falls es zu Auseinandersetzungen mit China oder Nordkorea kommt. Ihre eigene Kooperation soll einen "positiven Kreislauf" für die trilaterale Zusammenarbeit mit Washington auslösen.
"Wir waren uns einig, dass angesichts der sich rasch verändernden internationalen Lage eine unerschütterliche Zusammenarbeit zwischen Südkorea und Japan sowie zwischen Südkorea, den USA und Japan wichtiger denn je ist", sagte Lee. Damit kommt man den USA entgegen, die sich in der Vergangenheit durch die historischen Streitereien ihrer beiden Verbündeten in Ostasien genervt fühlten.
"Beide Länder haben Sorge, dass sich die USA als große Schutzmacht zurückziehen, aber auch, dass sie kein verlässlicher Handelspartner mehr sind. Von daher macht es Sinn, sich abzusprechen, zu kooperieren und gemeinsam eine Strategie zu entwickeln, wie man den Amerikanern gegenübertritt", sagt Frederic Spohr, Repräsentant der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul. Lee reist nach seinem Besuch in Japan nach Washington weiter, um sich am Montag mit US-Präsident Donald Trump zu treffen.
Ideologischer Wandel
Bisher brach ein liberaler Präsident in Südkorea oft mit der japanfreundlichen Außenpolitik eines konservativen Vorgängers und kippte dessen Vereinbarungen mit Japan. Die "pragmatische" Außenpolitik von Lee bricht mit dieser Tradition. Vor seinem Besuch in Tokio signalisierte er in Interviews mit japanischen Zeitungen, dass die von seinen Vorgängern mit Japan erzielten Vereinbarungen zu strittigen historischen Fragen "nicht rückgängig gemacht werden". Gemeint ist unter anderem ein staatlicher Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs.
Mit seiner Annäherung an Tokio hält sich Lee innenpolitisch den Rücken frei, da auch die oppositionellen Konservativen die Beziehungen zu Japan verbessern wollen. Lee reagiert aber auch auf einen Stimmungswandel in Südkorea. "Die antijapanischen Ressentiments und Parolen aus der Politik ziehen immer weniger", meint Spohr. "In vielen Schichten der Bevölkerung, gerade bei jungen Leuten, wird China als Bedrohung wahrgenommen, während Japan mittlerweile relativ beliebt ist."
Vermutlich deswegen bleibt Lee der großen Militärparade in Peking Anfang September fern. Dabei soll das Ende des Zweiten Weltkriegs in Asien vor 80 Jahren gefeiert. Auf der Gästeliste stehen neben russischem Präsident Putin weitere Staats- und Regierungschefs aus ganz Asien. Doch Lee besucht jetzt lieber die Verbündeten Südkoreas. Und Japans Premier Ishiba plant auch keine Chinareise.
Positiveres Japan-Bild in Südkorea
Laut einer neuen Umfrage von Gallup Korea sehen 38 Prozent der befragten Südkoreaner Japan positiv - ein Anstieg um 17 Prozentpunkte gegenüber vor drei Jahren und der höchste Wert seit der Tsunami-Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima von 2011. Beobachter führen den Wandel auf den regen Reiseverkehr und die verbindende Popkultur zurück. Im Vorjahr stellten die 8,8 Millionen Besucher aus Südkorea die größte Gruppe unter den ausländischen Touristen in Japan.
Lee kann auch auf Japan zugehen, weil Ishiba anders als die Rechtskonservativen in der Regierungspartei LDP die japanische Kriegs- und Kolonialgeschichte nicht beschönigt und den umstrittenen Yasukuni-Gedenkschrein für Japans Kriegsopfer nicht besucht. Bei der nationalen Gedenkfeier für die Kriegsopfer am 80. Jahrestag des Kriegsendes (15. August) hatte Ishiba zum ersten Mal seit 13 Jahren in diesem Zusammenhang wieder das Wort "Reue" benutzt. "Wir werden die Verwüstungen des Krieges nie wiederholen. Wir werden nie wieder vom rechten Weg abkommen", versprach der Regierungschef bei dieser Rede.
Es bleibt jedoch die Frage, ob sich das Klima zwischen Seoul und Tokio wieder verschlechtert, falls der angeschlagene Ishiba seinen Platz an der Spitze von Regierung und LDP für einen weit konservativen Politiker räumen muss. Die LDP wird voraussichtlich Anfang September darüber beraten, welche Konsequenzen aus der Niederlage bei der Oberhauswahl im Juli gezogen werden müssen. Die aktuelle Favoritin für Ishibas Nachfolge ist die Nationalistin Sanae Takaichi, die bereits angekündigt hat, den Yasukuni-Schrein auch als Premierministerin zu besuchen, was in Südkorea als Provokation aufgefasst würde.