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Politik

Japan schließt alle Schulen wegen Coronavirus

28. Februar 2020

Nach Wochen eines teilweise stümperhaften Krisenmanagements schließt Japans Regierung plötzlich alle Schulen, um COVID-19 unter Kontrolle zu bringen. Dahinter steckt Angst, dass die Olympischen Spiele ausfallen könnten.

Japan Klassenzimmer in Tokio
Bild: Reuters/T. Hanai

Am Donnerstagabend haben sich die Japaner verblüfft die Augen gerieben: Vom kommenden Montag an sollen 13 Millionen Schüler für einen Monat zuhause bleiben. Die Grund-, Mittel- und Oberschulen werden erst wieder nach den Frühjahrsferien zum Beginn des neuen Schuljahres Anfang April öffnen. Außer China hat Japan damit als einziges Land diese beispiellose Maßnahme gegen das Coronavirus ergriffen. Die Gesundheit und die Sicherheit der Kinder hätten oberste Priorität, erklärte Premierminister Shinzo Abe.

Der Schritt schockierte die Nation, weil der Regierungschef die Krise bisher mit einer Mischung aus Desinteresse und Selbstgefälligkeit gemanagt hatte. Sitzungen des Krisenstabes verließ er schon nach wenigen Minuten und zeigte kaum Besorgnis. Japans Grenzen für Chinesen, die nicht aus den Epidemie-Provinzen kamen, blieben offen. Zugleich beließ es der Premier bei der Aufforderung, von zuhause aus zu arbeiten und Menschenmassen zu meiden. "Die Abwesenheit von politischer Führung war auffällig", meinte der deutsche Japanexperte Sebastian Maslow von der Universität Tokio.

Die eher nachlässige Einstellung zur Virusgefahr trat dann bei dem Kreuzfahrtschiff "Princess Diamond" im Hafen von Yokohama zutage. Der Infektionsexperte Kentaro Iwata beschrieb die Quarantänemaßnahmen auf dem Schiff als "völlig chaotisch". Japanische Passagiere mit einem negativen Testergebnis durften das Schiff verlassen und mit dem Zug nach Hause fahren, während andere Länder wie Deutschland ihre Rückkehrer 14 Tage isolierten. Die Beamten des Gesundheitsministeriums, die an Bord des Schiffes gegangen waren, ließen sich danach nicht testen.

Die Olympischen Spiele sollen unbedingt stattfinden Bild: picture alliance/AP Images

IOC-Mitglied schürt Absage-Angst

Erst eine Warnung aus dem Ausland weckte Abe und sein Kabinett aus ihrer Lethargie. Dick Pound, kanadischer Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, stellte klar, bis Ende Mai müsse über die Austragung der Olympischen Spiele in Tokio entschieden werden. Eine Verschiebung sei wegen der Fernsehrechte und der gefüllten Sportterminkalender nicht möglich. Die drohende Absage der Spiele ließ die Alarmglocken im Regierungsbezirk Kasumigaseki läuten. Nun verlangte Abe plötzlich, größere Veranstaltungen in den nächsten zwei Wochen zu verschieben oder abzusagen. Dieser Zeitraum sei bei der Eindämmung der Viruskrankheit entscheidend, erklärte der Politiker.

Darauf strichen Unternehmen und Organisationen Konferenzen und Messen, Museen machten dicht, die Fußballklubs der J-League verschoben ihre Spieltage, der Nationalsport Baseball findet vor leeren Rängen statt. Am gleichen Tag wie Abes Ankündigung versicherte Organisationschef Toshiro Muto erneut, dass die Olympischen Spiele stattfinden. Der Fackellauf durch Japan werde wie geplant am 26. März in Fukushima starten. Die Koordinierungskommission setze sich ebenfalls "voll und ganz" für die planmäßige Austragung ein, beteuerte IOC-Präsident Thomas Bach in einer Telefonkonferenz mit japanischen Medien.

Japans Umgang mit den Infektionen auf der "Diamond Princess" steht in der KritikBild: picture-alliance/AP Photo/E. Hoshiko

Niedrige Fallzahlen durch zu wenige Tests?

Damit hätte sich die japanische Regierung zufriedengeben können. Aber die rasante Ausbreitung des Virus in anderen Ländern hat im Ausland Zweifel geweckt, ob Japan wirklich genug gegen COVID-19 unternimmt. Bisher hat das Land nur 210 Erkrankungen und vier Tote gemeldet. Die Zahlen nehmen kaum zu, obwohl sich die Fälle auf alle Regionen verteilen. Das schürt den Verdacht, dass nur die Spitze eines Eisbergs zu sehen ist. "Für jeden positiv Getesteten gibt es wahrscheinlich hunderte nicht Getestete mit milden Symptomen", meinte Masahiro Kami, Chef des Medical Governance Institute in Tokio, gegenüber dem Finanzdienst Bloomberg.

Denn anders als in Südkorea wird in Japan kaum getestet. Ein Grund: Potenziell Erkrankte müssen für einen Test mehrere Bedingungen wie längeres Fieber erfüllen. Das Vorgehen soll wohl Panik vermeiden, das Gesundheitssystem schonen und Kosten sparen. Einige Krankenhäuser lehnen Testanfragen aus Angst vor einer möglichen Quarantäne ab. Zwischen dem 18. und 23. Februar fanden nur 5700 Tests inklusive jener auf dem Kreuzfahrtschiff statt, berichtete Gesundheitsminister Katsunobu Kato im Parlament.

Premier Abe war bislang kein leuchtendes Vorbild als KrisenmanagerBild: AFP/T. Ohsumi

Kritik an Schulschließung

Angesichts wachsender Kritik aus der Opposition an dieser unentschiedenen Krisenpolitik sucht der Regierungschef mit der abrupten Schulschließung seine Autorität wiederherzustellen. Allerdings sind viele berufstätige Eltern nun gezwungen, sich für die Betreuung ihrer Kinder frei zu nehmen. Dafür erntete Abe einige Kritik auf Twitter, dem wichtigsten sozialen Medium in Japan. Auch in den eigenen Reihen erzeugte der Premier Ärger und Verwirrung. Beamte im Bildungsministerium waren nicht informiert und hielten den Schritt für falsch. "Wer wird sich um die jüngeren Grundschüler kümmern? Eine landesweite Schulschließung wirft so viele Probleme auf, dass sie unmöglich eine Option sein kann", empörte sich ein hoher Beamter. Zudem verzichtete Abe darauf, eine überzeugende medizinische Begründung zu liefern. "Kinder sind wenig gefährdet und erkranken nicht schwer", sagte der Infektionsexperte Iwata.

Doch für Abe steht viel auf dem Spiel. "Er will das verlorene Vertrauen in seine Fähigkeit als Krisenmanager zurückgewinnen", kommentierte der Politologe Maslow. Tatsächlich erinnert die Handlungsschwäche von Politik und Verwaltung im Viruskampf manchen Beobachter an den dilettantischen Umgang mit der Atomkatastrophe in Fukushima im März 2011. Damals musste der Premierminister – es war Naoto Kan – am Ende seinen Hut nehmen. Dieses Schicksal will Abe nun vermeiden. Jedoch droht seine unerwartete Kehrtwende in der Viruspolitik erstmals Panik auszulösen: Am Freitag waren in vielen Geschäften Taschentücher und Toilettenpapier ausverkauft.

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