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Japan weist Ghosns Vorwürfe zurück

9. Januar 2020

Japan will die Vorwürfe von Ex-Automanager Carlos Ghosn nicht akzeptieren. Dabei kritisieren auch japanische Experten die Methoden der Ankläger, Geständnisse zu erzwingen, als "Geiseljustiz". Martin Fritz aus Tokio.

Japan Justizministerin Masako Mori
Japans Justizministerin Masako Mori: Anschuldigungen von Ghosn nicht durch echte Beweise belegt Bild: Getty Images/AFP/K. Nogi

Mit angegrautem Haaren und blassem Gesicht trat Carlos Ghosn am Mittwochnachmittag in Beirut vor eine Gruppe von ausgewählten Reportern. Doch seine zweistündige Brand- und Verteidigungsrede und seine schnellen Antworten auf Englisch, Französisch, Arabisch und Portugiesisch bewiesen, dass er wieder ganz der Alte war. Eloquent, souverän, selbstbewusst und überzeugungsstark beteuerte der 65-Jährige seine Unschuld in allen Punkten und stellte die japanische Justiz an den Pranger. "Endlich kann ich frei reden", sagte er erleichtert.

Kurz vor Neujahr hatte sich der Automanager aus Japan in den Libanon abgesetzt, die Heimat seiner Eltern. Offenbar in einer Kiste für Audiogeräte trugen ihn zwei US-amerikanische Helfer auf dem Flughafen Kansai in Osaka in ein Privatflugzeug, das ihn in die Türkei brachte. Von dort gelangte Ghosn in den Libanon, dessen Justiz inzwischen eine Ausreisesperre gegen ihn erließ. Details zu seiner Flucht wollte er nicht mitteilen - die Zeit habe ihn schwer mitgenommen. "Seit meiner Verhaftung war ich wie betäubt", erzählte der Manager. "Erst als ich das Gesicht meiner Frau wiedergesehen habe, kehrte ich ins Leben zurück."

Carlos Ghosn (M.) auf der Pressekonferenz in BeirutBild: AFP/J. Eid

"Ich fühlte mich als Geisel"

Der prominenteste Flüchtling der Welt warf der japanischen Justiz vor, nicht nach der Wahrheit zu suchen, sondern ein Geständnis erpressen zu wollen. "'Wenn Sie nicht einfach gestehen, wird es noch schlimmer', sagte mir der Staatsanwalt immer wieder", berichtete Ghosn und verwies auf lange Einzelhaft, Befragungen von bis zu acht Stunden täglich ohne Anwalt, die Verbreitung von falschen Behauptungen über die Presse sowie das absichtliche Verbergen von entlastenden Informationen. Die Staatsanwaltschaft habe alle seine Bankkonten durchleuchtet und keine illegalen Zahlungen gefunden, behauptete er.

Man habe versucht, ihn durch die harten Kautionsauflagen und das Hinauszögern des Prozessbeginns mürbe zu machen. "Ich fühlte mich als Geisel eines Landes, dem ich 17 Jahre lang gedient hatte", sagte Ghosn. Seine Flucht sei die schwerste Entscheidung seines Lebens gewesen, aber er hätte keinen fairen Prozess bekommen und seine Frau nicht mehr sehen dürfen. Seine Anwälte hätten ihm gesagt, die Verfahren könnten fünf Jahre dauern. "Entweder ich sterbe hier oder ich setze mich ab", erläuterte er sein Denken.

Offizielles Dementi aus Japan

Die japanische Justizministerin wies die Vorwürfe direkt nach der Pressekonferenz zurück. Die Vorgehensweise der Justiz sei angemessen. "Er ist vor einem Strafprozess geflohen, das würde in keinem System gebilligt", teilte Masako Mori noch in der Nacht zum Donnerstag mit. "Er versucht, seine Flucht mit falschen Fakten über Japans Rechtssystem zu rechtfertigen. Das können wir auf keinen Fall akzeptieren."

Am Donnerstag legte Mori nach: Die Anschuldigungen von Ghosn seien abstrakt gewesen und nicht durch echte Beweise belegt worden, sagte sie. Dadurch könnte ein falscher Eindruck vom japanischen Rechtssystem entstehen.

Auch die zuständige Staatsanwaltschaft wehrte sich in einer seltenen englischsprachigen Erklärung gegen die Vorwürfe von Ghosn. Die Kautionsauflagen hätten sich aus dem "hohen Fluchtrisiko" ergeben, teilte die Tokioter Anklagebehörde mit. Seine Frau Carole sei daran beteiligt gewesen, Nissan-Gelder zu verschieben. Ghosn habe sie benutzt, um andere Beteiligte zu kontaktieren und dadurch Beweise zu verfälschen. Das sei der Grund für das Kontaktverbot zwischen den Eheleuten gewesen, erklärte die Anklagebehörde.

Ghosns Ehefrau CaroleBild: Imago Images/Kyodo News

Erzwungene Geständnisse

Doch die offiziellen Dementis ignorierten, dass auch Anwälte, pensionierte Richter und ehemalige Staatsanwälte in Japan seit langem eine Reform der Strafprozesse fordern. Insbesondere die bis zu 23 Tage lange Untersuchungshaft in Einzelzelle ohne Anwalt gilt als problematisch, weil sie zum Erzwingen von Geständnissen missbraucht werden könne. Deswegen erheben die Kritiker den Vorwurf einer "Geiseljustiz". Einer der Ghosn-Anwälte, Takashi Takano, schrieb in einem Blogpost, er verzweifele an diesem "fast mörderischen" System. Er habe seinem Klienten gesagt, er könne in Japan kein faires Verfahren erwarten.

Ex-Automanager Ghosn ist französischer, libanesischer und brasilianischer StaatsbürgerBild: picture-alliance/MAXPPP

Tatsächlich haben die japanischen Strafankläger eine so starke Stellung, dass Verdächtige und ihre Anwälte dagegen kaum ankommen. "Das System ermöglicht es den Staatsanwälten, Verdächtige de facto schwer zu bestrafen, bevor sie überhaupt strafrechtlich verfolgt, geschweige denn verurteilt werden", sagt Colin P.A. Jones, Professor an der Doshisha Law School in Kyoto. Diese De-facto-Strafe sei für diejenigen, die ihre Unschuld beteuern, härter und dauere länger. In diesem Zusammenhang sei auch zu sehen, dass einer der gegen Ghosn eingeleiteten Prozesse erst 2021 beginnen sollte. 

"Keine Kollaboration mit Nissan"

Bei seinem Auftritt in Beirut bekräftigte Ghosn auch seine frühere Behauptung, es habe einen "Palastcoup" von Nissan-Managern gegen ihn gegeben. Sie hätten sich mit den Staatsanwälten verbündet, um eine Fusion von Nissan mit Renault zu verhindern. "Mein unvorstellbarer Leidensweg ist das Werk skrupelloser und rachsüchtiger Einzelpersonen", sagte er und nannte namentlich seinen inzwischen abgesetzten Nachfolger Hiroto Saikawa, die Manager Hari Nada und Hitoshi Kawaguchi, den Nissan-Verwaltungsrat und Ex-Beamten im Wirtschaftsministerium Masakazu Toyoda, den Ex-Buchprüfer Hidetoshi Imazu sowie den Ex-Sekretariatsleiter Toshiaki Onuma.

Anders als zuvor angekündigt verzichtete der Manager jedoch darauf, politisch Verantwortliche in Japan beim Namen zu nennen - "aus Rücksicht auf die Gastfreundschaft der libanesischen Regierung".

Takahiro Saito, stellvertretender Chef der Bezirksstaatsanwaltschaft Tokio, wies die Behauptung, Nissan und die Staatsanwälte hätten sich gegen Ghosn verschworen, als "kategorisch falsch und völlig gegen die Tatsachen" zurück. Auch der beschuldigte Ex-Verwaltungsrat Toyoda dementierte den Vorwurf: "Ich sage nichts zu einem Schauspiel, das er selbst inszeniert hat." Ex-Nissan-CEO Saikawa wunderte sich: "Auf welcher Basis spricht er von einem Putsch?" Ghosn sei geflohen, weil er bei einem Strafverfahren vermutlich schuldig gesprochen worden wäre, meinte Saikawa.

Nun möchte sich Ghosn offenbar durch ein unabhängiges Justizverfahren in seiner Heimat Libanon von den Vorwürfen in Japan reinwaschen. Auf den Einwand eines Reporters in Beirut, ein solches Verfahren sei wegen der korrupten Justiz im Libanon doch wenig glaubwürdig, meinte der Automanager, wenn man ihn nach einem korrupten System frage, dann falle ihm ein anderes Land als der Libanon ein. Jeder wusste, was er damit sagen wollte.

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