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PolitikAsien

Japan weitet Corona-Notstand aus

Martin Fritz aus Tokio
13. Januar 2021

Die drohende Überlastung der Kliniken zwingt die Regierung in Tokio erneut zum Handeln. Doch die Bürger ziehen weniger mit als in der Vergangenheit, woran die Politiker nicht ganz unschuldig sind. Martin Fritz aus Tokio.

Japan Zeremonie und Fest der Volljährigkeit Coronavirus
Japan feierte am Montag das Fest der VolljährigkeitBild: Hiroaki Ono/AP/picture alliance

Wie erwartet hat Japans Premierminister Yoshihide Suga am Mittwochabend Ortszeit den Ausnahmezustand auf sieben weitere Präfekturen einschließlich der Metropolen Osaka, Nagoya und Fukuoka ausgedehnt. Im Raum der Hauptstadt Tokio erfolgte dieser Schritt bereits am vergangenen Freitag. Damit deckt der Ausnahmezustand, der bis zum 7. Februar andauern soll, insgesamt elf Präfekturen ab, die über 60 Prozent der japanischen Wirtschaftsleistung erzeugen. Außerdem kündigte Suga an, die Grenzen für alle Ausländer ohne japanischen Wohnsitz erneut zu schließen. Bislang gab es einen erleichterten Reiseverkehr mit elf Ländern in Asien und Ozeanien.

Allerdings kann von einem wirklichen Lockdown keine Rede sein. Alle Schulen und Kindergärten, Geschäfte, Supermärkte und Dienstleister wie Friseure und Fitnessstudios bleiben geöffnet. Sportveranstaltungen mit bis zu 5.000 Zuschauern sind weiterhin erlaubt. Lediglich Bars und Restaurants sollen um 20 Uhr schließen, die letzte Getränkebestellung muss bis 19 Uhr erfolgen. Danach dürfen die Gastronomiebetriebe Essen zum Mitnehmen und Ausliefern anbieten.

U-Bahn-Station in Tokio bleibt nach wie vor sehr vollBild: Kaoru Tachibana/Yomiuri Shimbun/AP/picture alliance

Der Grund für dieses Vorgehen: 60 Prozent der Infektionen führen Experten auf das gemeinsame Essen und Trinken zurück. Außerdem sollen die Firmen ihre Arbeit so umorganisieren, dass alle Mitarbeiter an drei von fünf Werktagen im Homeoffice bleiben können. Auf diese Weise will die Regierung erreichen, dass die Pendlerzüge und die Innenstädte um bis zu 70 Prozent menschenleerer werden.

Wenig Unterstützung der Bevölkerung

Anders als beim nationalen Notstand im April 2020 unterstützen die Japaner selbst diese laxen Maßnahmen nur halbherzig. "Es ist schwieriger geworden, die Kooperation der Bevölkerung zu bekommen", räumten Regierungschef Suga und sein oberster Corona-Experte Shigeru Omi vor der Presse ein. Die Menschen hätten weniger Angst und würden nun seit einem Jahr mitarbeiten.

Japan feierte am Montag das Fest der VolljährigkeitBild: Takuya Yoshino/AP/picture alliance

Am vergangenen verlängerten Wochenende waren laut Bewegungsdaten genauso viele Menschen in der Hauptstadt Tokio unterwegs wie immer. Am Feiertag der Volljährigkeit am Montag fanden die offiziellen Zeremonien meist online statt, doch vor den Gebäuden versammelten sich die 20-jährigen Japanerinnen und Japaner in Kimono und Anzug in Massen für ihre Selfies. Auch das Sumo-Neujahrsturnier begann trotz einer Infektionswelle unter den Ringern. Einige Bars und Restaurants ignorieren den Notstand - die Schließung ist freiwillig, eine Zuwiderhandlung wird nicht bestraft.

Zwar befürworten einer Online-Umfrage zufolge über 80 Prozent der Bevölkerung die Verhängung des Notstandes. Aber auf Twitter lästerten Nutzer über die frühe Sperrstunde: "Anscheinend ist das Virus nur nachts aktiv." Viele Japaner verabredeten sich zum Mittag- statt zum Abendessen. Darauf schaltete sich die Tokioter Gouverneurin Yuriko Koike in die Debatte ein und griff die Twitterkritik auf: "Das Virus besitzt keine Uhr, daher sollten wir alle nicht notwendigen Ausflüge unterlassen", verlangte sie. Gesundheitsminister Norihisa Tamura drückte sich noch deutlicher aus: "Es ist natürlich nicht in Ordnung, wenn die Leute jetzt tagsüber trinken und sich rüpelhaft benehmen, sondern sie sollen ihren gesunden Menschenverstand benutzen."

Japanische Regierung ohne Gefahrenbewusstsein

Aber die Politik sollte sich über die Reaktionen nicht wundern. Denn ihre Wirtschaftshilfen haben vermutlich zur Verbreitung des Virus beigetragen und zugleich das öffentliche Gefahrenbewusstsein verringert. Bis Dezember erhielten die Japaner bei der "Go To Travel"-Kampagne geldwerte Beihilfen für Inlandreisen. Daher waren Flugzeuge, Züge und Touristenorte oft voll. Mit "Go To Eat"-Coupons wurde das Auswärtsessen subventioniert. Als die Infektionszahlen nach oben schnellten, lieferten sich die Gouverneure der großen Präfekturen einen Machtkampf mit der Regierung: Statt eigene Maßnahmen zu ergreifen, setzten sie Premier Suga öffentlich unter Druck, den Notstand auszurufen. Angesichts der hohen Auslastung der Krankenhäuser mit Covid-Patienten musste der 72-jährige Nachfolger von Shinzo Abe diese Forderung schließlich erfüllen.

Mehrere japanische Virologen bezweifeln, ob der Notstand am 7. Februar enden kann. Bisher bleiben die Infektionszahlen auf hohem Niveau. Am Mittwoch zählte das Gesundheitsministerium 5319 Neuinfizierte, insgesamt sind es nun 300.000 Fälle. Die Zahl der Toten stieg um 71 auf knapp 4200. Diese Tageswerte sind im internationalen Vergleich niedrig, aber liegen weit höher als während des Notstandes im Frühjahr 2020. Daher sind die Gesundheitszentren, die die Infizierten verteilen und überwachen, überlastet. Die Regierung zahlt Krankenhäusern inzwischen eine Prämie von bis zu 160.000 Euro für jedes zusätzliche Bett für einen COVID-Patienten. In der 10-Millionen-Metropole Tokio stehen nur 4000 Betten zur Verfügung. Zusätzliche Sorgen erzeugen Mutationen. Am Dienstag wurde bei vier Einreisenden aus Brasilien eine unbekannte Corona-Variante festgestellt, die nun isoliert und analysiert wird.

Impfstoff von ModernaBild: Joe Raedle/Getty Images

Massenimpfungen als wirksamste Gegenmaßnahme liegen noch in weiter Ferne. Japan hat sich insgesamt 540 Millionen Dosen Impfstoffe gesichert. Aber Pfizer hat die Zulassung des Wirkstoffes der deutschen BioNtech erst im Dezember in Japan beantragt. Die erste Impfung versprach Premier Suga für Ende Februar. Der Impfstoff von Moderna steht garantiert nicht vor Mai bereit, da die vorgeschriebene klinische Prüfung in Japan noch nicht begonnen hat. Der britische Hersteller AstraZeneca hat seine Japan-Studien im September angefangen, aber noch keinen Zulassungsantrag gestellt. Der japanische Pharmariese Takeda will den Impfstoff des US-Herstellers Novavax in Japan produzieren.

Die staatlichen Behörden üben jedoch keinen Druck auf Entwickler und Produzenten aus. Offenbar warten sie ab, wie die Impfkampagnen in anderen Ländern verlaufen. Umfragen zufolge denkt die Bevölkerung ähnlich, die Impfbereitschaft liegt niedriger als in Deutschland. Daher dürfte Japan beim Impfstart wohl das Schlusslicht bei den Industrienationen bilden.