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PolitikAsien

Japan: Zurück in die politische Instabilität

Julian Ryall aus Tokio
8. September 2025

Nach der Rücktrittserklärung von Premier Ishiba hat Japans Dauerregierungspartei LDP vier Wochen Zeit, einen neuen Vorsitz zu wählen. Die Folge könnte ein weiterer Rechtsruck sein.

Premier Ishiba  vor einer Tafel mit Schriftzeichen
(Archiv) Premier Ishiba am 20.7. nach dem Wahldebakel Bild: Franck Robichon/Pool EPA/AP Photo/dpa/picture alliance

Der japanische Premierminister Shigeru Ishiba wickelte seinen Rücktritt mit größter Eile ab. Am Sonntag hatte er seinen Rückzug aus der Regierungs- und Parteispitze erklärt. Er kam dabei einer wahrscheinlichen Demütigung durch seine Liberaldemokratischen Partei (LDP) zuvor. Sie sollte am Montag über sein politisches Schicksal abstimmen. Mit ziemlicher Sicherheit hätte ihn seine Partei aus dem Amt des Parteivorsitzenden und Premiers gedrängt.

Dabei war Ishibas Amtszeit nicht ohne Erfolge: Den größten konnte er bei dem Zollabkommen mit den USA verbuchen. Allerdings hinterlässt er ein schwieriges politisches Erbe. Die LDP, die seit 1955 fast ununterbrochen regiert, hat die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments verloren.

Nun haben die Parteikader, die sich für die Nachfolge bewerben wollen, vier Wochen Zeit, eine Mehrheit für sich in der LDP aufzubauen. In dieser Interimszeit steht Japan aber weiterhin vor großen Herausforderungen.

Die konservative Politikerin Sanae Takaichi hat nach Umfragewerten gute Chance, nächste LDP-Vorsitzende zu werdenBild: Eugene Hoshiko/AP/picture alliance

"Politischer Stillstand bedeutet, dass nur sehr wenig gegen Probleme unternommen werden kann, die die normalen Menschen betreffen: steigende Preise, erschwinglicher Wohnraum und nationale Sicherheit", sagt Hiromi Murakami, Professorin für Politikwissenschaft am Campus der Temple University in Tokio.

"Die Menschen wollen echte Lösungen für die real existierenden Probleme", sagt sie im Gespräch mit der DW. "Die Öffentlichkeit ist zutiefst enttäuscht von einem weiteren Regierungschef, der weniger als ein Jahr im Amt war. Nun müssen wir wieder von vorne anfangen." 

Neuer LDP-Vorsitz im Oktober

Ishiba wird bis zur Wahl des nächsten LDP-Vorsitzes im Oktober geschäftsführend im Amt bleiben. Traditionell wird diese neue Leitung dann auch zum Premier gewählt. Dazu braucht die LDP, die gegenwärtig eine Minderheitsregierung führt, Unterstützung von anderen Parteien im Parlament.

Eine Umfrage aus der vergangenen Woche gibt schon Hinweise darauf, wer bei einer Kandidatur gute Chancen hat. So erhielt der eher gemäßigte Shinjiro Koizumi 20,9 Prozent an Unterstützung für eine Bewerbung auf das Amt des Premiers. Der 44-Jährige stammt aus einer Politikerfamilie. Sein Vater Junichiro Koizumi war zwischen 2001 und 2006 Japans Premier. Aktuell ist Koizumi Junior Landwirtschaftsminister im Kabinett von Ishiba. Die nationalistische Politikerin Sanae Takaichi schneidet aber noch besser ab. 23 Prozent der Befragten favorisieren die frühere Staatsministerin für Wirtschaftssicherheit.

Sanae Takaichi wäre die erste Premierministerin Japans. Schon im September 2024 kandidierte sie für den LPD-Vorsitz, verlor aber knapp gegen Ishiba in der Stichwahl. Die Mehrheit in der Partei hatte Bedenken hinsichtlich ihrer rechtsgerichteten Positionen, die viele wichtige Themen berühren. So will sie zum Beispiel die Friedensverfassung ändern und die "Selbstverteidigungsstreitkräfte" Japans in "Armee" umbenennen.

Ein Rechtsruck in der japanischen Politik hat sich aber auch schon bei den Wahlergebnissen bemerkbar gemacht. Im Juli hatte die LDP bei den Oberhauswahlen Sitze vor allem an nationalistische Parteien wie die Japan Conservative Party und Sanseito verloren.

Wahlkampf der rechtspopulistischen Partei Sanseito im JuliBild: Yoshio Tsunoda/AFLO/IMAGO

Beide Parteien aus dem rechten Lager sind entschieden gegen Einwanderung und wollen ausländischen Staatsangehörigen den Erwerb von Immobilien in Japan verbieten. Außerdem fordern sie eine drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben, um den wachsenden Sicherheitsrisiken durch China, Nordkorea und Russland zu begegnen. 

Neuer Vorsitz, alte Herausforderungen

Sowohl Takaichi als auch Koizumi müssen auf ihrem Weg ins Büro des Premierministers aber noch einige Hürden nehmen, sagt Stephen Nagy, Professor für Internationale Beziehungen an der International Christian University in Tokio.

Jungpolitiker Shinjiro Koizumi (44) will in die Fußstapfen seines Vaters, Ex-Premier Junichiro Koizumi, tretenBild: Kim Kyung-Hoon/REUTERS

"Koizumi ist sehr redegewandt, intelligent und vor allem Sohn von Ex-Premier Junichiro Koizumi", führt Nagy als Pluspunkte auf. Er sei aber mit 44 Jahren noch recht jung für das Amt und habe nur begrenzte Erfahrung. "Und ich frage mich, ob einige der über 80-Jährigen in der Partei, die immer noch so viel Einfluss haben, seinen Blick auf die Welt teilen."

Takaichi, mit 64 Jahren näher an den grauen Eminenzen in der Partei, war hingegen schon vom inzwischen verstorbenen Premierministers Shinzo Abe gefördert worden. "Die erfahrene Politikerin engagierte sich in vielen LDP-Gremien und diente in vielen Kabinetten", betont Nagy. "Andererseits finden viele ihre Positionen zu konservativ. Sie ist gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und gegen die Beibehaltung der Mädchennamen nach Eheschließung." In Japan müssen Frauen per Gesetz nach der Heirat den Nachnamen des Mannes annehmen. Allerdings gibt es viele Stimmen, die eine Gesetzesänderung fordern.

Neben denen beiden Favoriten könnten sich auch noch weitere Kandidaten zur Wahl stellen wie Kabinettschef Yoshimasa Hayashi und Ex-Digitalminister Taro Kono.

Nagy befürchtet in der jetzigen Situation, dass die Instabilität an der Parteispitze fortdauert. "Japan wird in den nächsten fünf oder sechs Jahren wieder zu wechselnden Premierministern zurückkehren, die jeweils etwa ein Jahr im Amt bleiben." Das werde so weitergehen "bis sich eine starke Figur herauskristallisiert, die die Partei wirklich zusammenführen kann."

LDP-Parteisitz in TokioBild: JIJI Press/AFP

Droht ein Zusammenbruch?

Es müsse nun gelingen, den Weg in die politische Mitte zu finden - ganz gleich mit wem die neue Parteispitze besetzt wird, fordert Nagy. Die Dauerregierungspartei sei schon immer ein sehr breiter Zusammenschluss von rechtsgerichteten politischen Strömungen gewesen, betont der Experte. Nun steuere die LDP auf eine politische Härteprobe zu, in der sie einen Zusammenbruch verhindern müsse.

Die Politikwissenschaftlerin Murakami aus Tokio sieht den Anfang vom Ende der LDP: "Es gibt eine große Diskrepanz zwischen dem rechtsextremen Flügel und den Gemäßigten innerhalb der Partei. Und die Unterschiede werden immer größer". Das mache es für die Partei selbst schwierig, einen Konsens über eine Politik und deren Prioritäten zu erzielen und dann mit anderen Parteien in einer Koalition zusammenzuarbeiten.

"Aber vielleicht ist dies endlich die Gelegenheit für die LDP und die Bevölkerung, ernsthaft über den besten Weg für Japan zu diskutieren", fügt sie hinzu. "Dies könnte unsere Chance für die Demokratie und einen politischen Neuanfang sein."         

 

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