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Japans neuer Verteidigungskurs

Martin Fritz aus Tokio2. Dezember 2013

Bei der Eindämmung von Chinas Hegemoniestreben setzt Premierminister Shinzo Abe auf eine Vertiefung der Sicherheitspartnerschaft mit den USA. Der neue Kurs vergiftet aber inzwischen das innenpolitische Klima.

Japans Premierminsiter Shinzo Abe (Foto: REUTERS/Toru Hanai)
Bild: Reuters

Alle Augen in Ostasien richten sich in dieser Woche auf den Besuch von Joe Biden. Der US-Vizepräsident berät am Dienstag in der japanischen Hauptstadt mit Regierungschef Abe über den künftigen Umgang mit Chinas neuer Luftraum-Überwachungszone, bevor er nach Peking und Seoul für ähnliche Gespräche weiterreist. Jede Aussage von Biden wird in Tokio auf die Goldwaage gelegt werden. Denn Japan fürchtet eine Abweichung seines einzigen Sicherheitspartners USA von der eigenen harten Linie.

Schon der Hinweis des Washingtoner Außenministeriums an drei US-Fluggesellschaften, ihre Flüge durch die umstrittene Seeregion den chinesischen Behörden besser anzumelden, löste in Tokio Nervosität und Verunsicherung aus. Die japanischen Fluggesellschaften All Nippon Air (ANA) und Japan Airlines fliegen nämlich auf Anweisung der Regierung unangemeldet durch die Zone über den umstrittenen Inseln, die in Japan Senkaku und in China Diaoyu heißen. Allerdings versicherte Washington am Wochenende, dass man die Vorgaben Chinas weiterhin nicht akzeptiere.

Neue Interpretation der Verfassung

Grundsätzlich spielt die Eskalation im Ostchinesischen Meer jedoch Premierminister Shinzo Abe in die Hände: Gegen pazifistische Widerstände will der nationalistische Politiker Japans Verteidigung stärken. Politisch soll dies über die Verfassung geschehen. Mangels Mehrheit will Abe die Verfassung offenbar nicht mehr direkt ändern, sondern Artikel 9 neu interpretieren. Dieser Pazifismus-Artikel verbietet Japan Kriegshandlungen, solange es nicht angegriffen wird. Die neue Auffassung soll es japanischen Truppen erlauben, künftig auch ihren Bündnispartner USA aktiv zu verteidigen. Nach Pekings Vorstoß im Ostchinesischen Meer könnte diese Einschränkung des Pazifismus mehr Zustimmung in der Bevölkerung finden. Zugleich soll Japan auch militärisch auf das wachsende Hegemoniestreben Chinas reagieren.

US-Vizepräsident Biden besucht diese Woche Japan, Südkorea und ChinaBild: Reuters

Die Details werden bis zum Jahresende veröffentlicht, aber die Grundzüge zeichnen sich schon ab. Erstens will Japan ungeachtet seiner hohen Staatsschulden mehr für Verteidigung ausgeben. Nach der Anhebung um 0,7 Prozent in diesem Jahr verlangt das Verteidigungsministerium für 2014 drei Prozent mehr. Die Militäretats sollen dann umgerechnet 37 Milliarden Euro betragen. Zweitens will man verstärkt in die Raketenabwehr, die Luftverteidigung und den Küstenschutz investieren. Im Gegenzug soll die Zahl der Panzer binnen zehn Jahren um 60 Prozent auf 300 schrumpfen. Die Panzer werden auf die äußeren Inseln Kyushu und Hokkaido konzentriert. Die Nordflanke auf Hokkaido will Japan durch eine Sicherheitskooperation mit Russland entlasten, so dass sich die Abwehrkräfte auf die Bedrohung durch China im Süden auf Kyushu konzentrieren können.

Innenpolitische Klimaänderung

Mit dem neuen Verteidigungskurs will sich Japans konservative Regierung gegenüber den USA als verlässlicher Sicherheitspartner auf Augenhöhe profilieren. Aus demselben Motiv heraus hat Premier Abe gerade einen Sicherheitsrat nach US-Vorbild geschaffen. Dort laufen erstmals alle relevanten Informationen gebündelt zusammen. Dadurch könne Japan schneller auf außen- und sicherheitspolitische Entwicklungen reagieren, argumentiert Abe. Auch ein neues Gesetz zum Geheimnisschutz soll dabei helfen, dass die USA ihren bisherigen Juniorpartner Japan ernster nehmen. Bislang gelangen geheime Informationen in Japan so schnell an die Öffentlichkeit, dass US-amerikanische Diplomaten und Militärs nur wenige Unterlagen mit ihrem japanischen Verbündeten teilen. Japan gilt deswegen als "Paradies für Spione".

Die Etats der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte sollen 2014 um drei Prozent auf umgerechnet 37 Milliarden Euro steigenBild: picture-alliance/dpa

Nun sollen Whistleblower wie Edward Snowden mit Androhung hoher Haftstrafen in Japan abgeschreckt werden. Doch die Kehrseite der Medaille ist eine Verschärfung des innenpolitischen Klimas. Im Kern geht es beim "Geheimnisschutz" nämlich um die Einschränkung von Kontakten zwischen Beamten und Journalisten. Der Gesetzentwurf spricht nur von "bestimmten" Geheimnissen mit Sicherheitsrelevanz. Weder wird die Art des Geheimnisses genauer festgelegt, noch gibt es eine klare parlamentarische Kontrolle. Bürgerrechtler und Journalisten warnen daher vor Japans Abdriften in einen Polizeistaat und einem Rückfall in den Nationalismus der dreißiger Jahre.

Atomunfälle als Geheimnis?

Die Kritiker befürchten zum Beispiel, dass die Regierung künftig auch Informationen über einen Atomunfall wie in Fukushima zur Verschlusssache erklären könnte. Ungeachtet der Proteste peitschte die Regierungskoalition das Gesetz vergangene Woche durchs Unterhaus. Premierminister Abe signalisierte aber inzwischen, dass er vor der Abstimmung im Oberhaus in dieser Woche auf die Kritik reagieren will. Bisher hatte er jede Änderung abgelehnt. Da die laufende Parlamentsperiode jedoch am Freitag endet, fürchtet Abe offenbar ein Scheitern seiner Vorlage.

Das japanische Oberhaus wird in dieser Woche über das umstrittene Geheimnisschutzgesetz abstimmenBild: Reuters

Doch das innenpolitische Klima ist schon vergiftet. Am Wochenende bezeichnete der Generalsekretär der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP), Shigeru Ishiba, in seinem Blog die Proteste gegen das Gesetz "im Kern als Akte des Terrorismus". Später milderte Ishiba die Aussage damit ab, er habe die "Lautstärke" der Demonstrationen gemeint. Aber die Opposition fühlt sich in ihrem Verdacht bestärkt, dass Abe demokratische Grundfreiheiten beschneiden will. Die Vize-Chefin der Sozialdemokratischen Partei (SDP), Mizuho Fukushima, erklärte, einer Regierung mit Mitgliedern wie Ishiba könne man nicht trauen.

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