1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Japans verspätete Kapitulation

Rodion Ebbighausen13. August 2015

Japans Elite zögerte die unvermeidliche Niederlage im Zweiten Weltkrieg hinaus, um die Monarchie zu retten. Hundertausende mussten dafür sterben. Am Schluss war alles Taktieren nichtig, doch der Kaiser blieb.

Japan kapituliert
Bild: picture-alliance/dpa/Everett Collection

Die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reichs am 08. Mai 1945 beendete den Zweiten Weltkrieg in Europa. Doch der Pazifikkrieg dauerte noch volle drei Monate an. Japan, insbesondere Kaiser Hirohito und der innere Führungszirkel suchten verzweifelt nach einer ehrenvollen Kapitulation. Dabei ging es nicht darum, Tod und Leid von der japanischen Bevölkerung abzuwenden, sondern einzig darum, die Monarchie und das japanische Regierungssystem zu bewahren, wie der amerikanische Historiker Herbert P. Bix in seiner Biographie des Kaisers Hirohito schreibt.

Die Ausgangslage dafür war Mitte 1945 allerdings hoffnungslos. Seit 1943 hatte die japanische Armee keine Schlacht mehr für sich entschieden. Die Amerikaner beherrschten den Luftraum. Es gab eine effektive Seeblockade, die rund drei Millionen japanische Soldaten vom Kernland abschnitt und den Nachschub kriegswichtiger Rohstoffe wie Öl oder Gummi verhinderte. "Die Führungsschicht Japans wusste bereits Anfang 1945 mit Sicherheit, dass eine militärische Lösung zu ihren Gunsten völlig außer Frage war", sagt Florian Coulmas vom Ostasieninstitut der Universität Duisburg-Essen.

Das inszenierte Bild von der Aufrichtung der Flagge auf der Insel Iwo Jima symbolisierte den Einsatz der USABild: AP

Spaltung des Obersten Kriegsrats

Es ging also nicht mehr um die Frage, ob der Krieg verloren war, sondern nur noch um die Bedingungen der Kapitulation. In der Frage, wie die Verhandlungsposition für Japan verbessert werden könnte, konnte jedoch lange keine Einigkeit erzielt werden. "Auf der Suche nach einer ehrenvollen Kapitulation war die Regierung radikal gespalten", sagt Coulmas. Hinzu kam der Druck von Innen. Mit der stetigen Verschlechterung der Kriegslage und dem immensen Leid der Bevölkerung wuchs die Angst des Kaisers und seiner Berater, dass das japanische Volk gegen die japanische Ordnung aufbegehren könnte. Auch das galt es mit allen Mitteln zu verhindern.

Im inneren Führungskreis gab es zwei Fraktionen. Die "Friedenspartei" hoffte über eine Verhandlungslösung insbesondere mit der Sowjetunion bessere Bedingungen zu erzielen. Die Militaristen setzten dagegen auf eine letzte Abwehrschlacht auf der südlichsten japanischen Hauptinsel Kyushu. Der Preis an Menschenleben sollte mit dem Einsatz von tausenden Kamikaze so in die Höhe getrieben werden, dass die Alliierten zu größeren Zugeständnissen bereit sein würden. Kaiser Hirohito befürwortete lange den Weg der Militaristen. Er änderte seine Ansicht erst Ende Juni 1945 nach der äußerst verlustreichen Niederlage in Okinawa, wie Bix schreibt.

Erst im letzten Augenblick lenkte Kaiser Hirohito ein. Hier auf einem Bild mit US-General Doueglas MacArthurBild: AFP/AFP/Getty Images

Hinhaltetaktik der Sowjetunion

Hirohito setzte erst spät auf eine Verhandlungslösung, die mit Hilfe der Sowjetunion gefunden werden sollte. Der Kaiser und seine Berater pflegten die absurde Hoffnung, dass die Sowjetunion zu Zugeständnissen gegenüber Japan bereit sei. Sie glaubten, dass Stalin eine weitere Front verhindern wollte, da sich bereits eine Konfrontation mit Großbritannien und den USA in Europa abzeichnete, und dass er deshalb mit Japan kooperieren würde. Doch die Sowjetunion war zu keinen Konzessionen bereit. Sie zögerte die Verhandlungen stattdessen hinaus. Stalin verlegte seine Truppen aus Europa nach Asien, da er seinen Einfluss für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Asien sichern wollte. Die vergebliche Hoffnung Japans und die Hinhaltetaktik der Sowjetunion verschleppten das Kriegsende im Pazifik. Der Historiker Bix: "Verblendet vom Wunsch das Kaiserhaus zu retten und überzeugt eine diplomatische Lösung mit der Sowjetunion finden zu können, ließen die Führer Japans eine Reihe von Gelegenheiten verstreichen, den verlorenen Krieg zu beenden."

Potsdamer Konferenz

Alle japanischen Manöver wurden schließlich von der Potsdamer Konferenz von Mitte Juni bis Anfang August zunichte gemacht. Die Potsdamer Deklaration stellte Japan ein Ultimatum. Es wurde die Entwaffnung der japanischen Armee, die Besatzung des Landes und die Rückgabe aller Territorien, die Japan seit dem ersten Weltkrieg erobert hatte, festgesetzt. Der Status des Kaisers wurde nicht garantiert.

"Da Deutschland bedingungslos kapituliert hatte, wollten die Amerikaner, dass auch Japan bedingungslos kapituliert", sagt Coulmas. Das Beharren der Alliierten auf der bedingungslosen Kapitulation verhinderte zusätzlich ein baldiges Ende des Pazifikkrieges. Denn genau diese wollten die japanischen Eliten verhindern, da sie eine Entmachtung des Kaisers fürchteten. Japan wies die Forderungen aus Potsdam folgerichtig zurück.

Die Atombombenexplosion über HiroshimaBild: U.S. Army/Hiroshima Peace Memorial Museum via Reuters

Atombomben und Angriff der Sowjetunion

Am 6. August zerstörten die Amerikaner Hiroshima und am 9. August Nagasaki mit Atombomben. Am 8. August brach die Sowjetunion den noch immer geltenden Neutralitätspakt mit Japan und marschierte in die Mandschurei ein, einem von Japan im Nordosten Chinas installierten Marionettenstaat. Sie erfüllte damit eine Geheimabsprache, die sie mit den Alliierten auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 getroffen hatte. Die Sowjetunion sagte damals zu, drei Monate nach dem Sieg über Nazideutschland Japan den Krieg zu erklären.

Trotz der erneuten Eskalation konnte sich der japanische Kriegsrat auf keine Linie einigen. Erst nach langer Diskussion soll sich schließlich Kaiser Hirohito dazu durchgerungen haben, das Potsdamer Abkommen zu akzeptieren. Allerdings sind viele Details der Entscheidungsfindung im Umfeld der letzten Kriegstage unklar, da ein Großteil der Unterlagen von japanischer Seite vernichtet wurde.

Bedingungslose Kapitulation

Am 15. August um 12 Uhr Mittags Ortszeit sendeten die Radiostationen die auf einer Grammophonplatte aufgezeichnete Kapitulationserklärung des Kaisers. Die Rede des Kaisers brach radikal mit der Rhetorik der Vorkriegs- und Kriegszeit, wie der amerikanische Historiker John W. Dower in seinem Buch "Embracing Defeat" schreibt. Kaiser Hirohito leitete die Abkehr vom Militarismus ein und machte sich in einer 180-Grad-Wendung zur Galionsfigur des Pazifismus. Er inszenierte sich, wie Bix schreibt, als "pazifistisch, antimilitaristisch und als passiver Zaungast im Krieg - nichts hätte weniger zutreffend sein können."

Heute sind Japan und die USA enge VerbündeteBild: picture-alliance/AP Photo/J. Martin

Doch die Amerikaner spielten das Spiel mit. "Die Ironie der Geschichte ist, dass die Bedingungen der Militaristen zwar nicht akzeptiert, aber erfüllt wurden", so Coulmas. Die japanischen Militaristen wollten die bedingungslose Kapitulation unter allen Umständen verhindern, um den Kaiser zu retten; die Amerikaner wollten sich mit nicht weniger als einer bedingungslosen Kapitulation zufrieden geben. Am Ende bekamen die Amerikaner die bedingungslose Kapitulation und Japan durfte seinen Kaiser behalten. Das dürfe allerdings nicht als Zugeständnis der USA gedeutet werden, sagt Coulmas. Die USA waren überzeugt, ihre Ziele mit Hilfe des Kaisers leichter erreichen zu können. Es ging den USA darum, Japan für die absehbare Konfrontation mit der Sowjetunion mittelfristig auf seine Seite zu ziehen. Heute ist Japan einer der engsten Verbündeten der der USA.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen