Jean-Luc Godard war der radikalste Regisseur der Nouvelle Vague und revolutionierte den französischen Film. Jetzt ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.
Als einer der wichtigsten Vertreter der Nouvelle Vague beeinflusste Godard Generationen von FilmemachernBild: Niklaus Stauss/akg-images/picture-alliance
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"Ich habe Filme gemacht wie Jazzmusiker: Man gibt sich ein Thema vor, man spielt, improvisiert - und irgendwie organisiert sich alles", sagte Jean-Luc Godard einmal über seine Anfänge im Filmgeschäft. Er gehörte in den 1960er-Jahren zu den Mitbegründern der französischen Nouvelle Vague, der "Neuen Welle" im französischen Kino, die bis heute mit Namen wie Eric Rohmer, Jacques Rivette, François Truffaut, Claude Chabrol und eben Jean-Luc Godard verbunden ist.
Sie alle waren zunächst Filmkritiker und arbeiteten damals für die Pariser Zeitschrift "Cahiers du Cinéma". Mit der konventionellen Erzählweise der althergebrachten Kinofilme konnten sie nichts anfangen. Truffaut, Freund und intellektueller Sparringspartner von Godard, machte mit "Sie küssten und sie schlugen ihn" den Aufschlag: Der Kinofilm feierte 1959 Premiere in Cannes. Godards legendäres Werk "Außer Atem", das sich an den schwarz-weißen Gangsterfilmen amerikanischer Hollywood-Regisseure orientierte, folgte im Jahr darauf. Mit Handkamera statt mit aufwendigen Kamera-Aufbauten gedreht und in neuartiger, schneller Schnitttechnik montiert, machte der Film in Cannes Furore.
In den Filmen der Nouvelle Vague spiegelte sich das Lebensgefühl einer neuen Generation von Regisseuren wider. Sie wollten die Realität junger Leute auf der Leinwand sehen: lebensnah, unkonventionell und authentisch. In der Filmwelt war der Begriff schnell verankert - und auf immer eng mit Godard verbunden.
Nicht ohne seine Zigarre...Bild: Jann Jenatsch/DELAY/KEYSTONE/picture alliance
Lieber ins Kino, statt zur Uni
Jean-Luc Godard wurde am 3. Dezember 1930 in Paris geboren. Sein Vater war ein Schweizer Augenarzt. Jean-Luc wuchs mit seinen drei Geschwistern in der Heimat des Vaters auf, aber 1943 ging die Familie nach Frankreich zurück, wo er das Gymnasium besuchte. Drei Anläufe brauchte er fürs Abitur, immer hatte er anderes im Kopf.
Auch das Studium an der Sorbonne interessierte ihn nicht sonderlich. Seine Zeit verbrachte er lieber in den Filmkreisen und Intellektuellenzirkeln von Paris. Statt Vorlesungen zu besuchen, ging er jeden Tag ins Kino, was zur Folge hatte, dass der Vater ihm seine finanzielle Unterstützung entzog.
Seinen Lebensunterhalt musste sich Godard jetzt mit Aushilfsjobs verdienen. Und er schrieb mit leidenschaftlicher Begeisterung Artikel für die Filmzeitschrift "Gazette du Cinéma". Eine Amerikareise 1950/51 stellte die Weichen für seine Zukunft: 1954 drehte er seinen ersten eigenen Film - eine kurze Dokumentation über ein gigantisches Staudammprojekt: "Opération Béton".
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Vertrauen in den kreativen Moment
Mehr als 40 Spielfilme, zahlreiche Kurzfilme, experimentelle Dokumentarfilme, hochintellektuelle Essayfilme und Musikvideos hat Jean-Luc Godard im Laufe seines Filmschaffens produziert. Einige auch als Drehbuchautor oder Co-Regisseur mit seinen Nouvelle Vague-Mitstreitern.
Aber Godard blieb der radikalste Vertreter dieser neuen Art, moderne und auch gewagt freizügige Filme zu drehen. So philosophierte beispielsweise in Godards Film "Die Verachtung" der französische Filmstar Brigitte Bardot - in ihrer Rolle naiv und raffiniert zugleich - vor der Kamera, ob ihr Filmpartner ihren Po attraktiv finde - damals ein Skandal.
Für seine Filme verwendete der ewig Zigarre rauchende Regisseur nie Drehbücher. Vieles überließ er dem Zufall, Diskussionen am Set oder der Improvisationskraft seiner Schauspieler. Mit allen Größen des französischen Films hat er gedreht: Eddie Constantine, Alain Delon, Michel Piccoli, Yves Montand, Gerard Depardieu und Juliette Binoche.
Jean-Luc Godard und Schauspielerin, Schriftstellerin und Nouvelle-Vague-Star Anna Karina auf dem Filmfest in Venedig 1965Bild: Mario Torrisi/AP Photo/picture alliance
Innovativ: Handkamera und Montage
Auch formal wagte Godard Neues. Seine filmischen Essays waren "ein Denken in Montageform", schrieb ein Filmkritiker der Tageszeitung "Frankfurter Rundschau" 2010, seine Montage sei assoziativ wie improvisierter Jazz. Godard war einer der ersten französischen Regisseure, der später in den 1970er-Jahren auch mit einer leichten, beweglichen Videokamera drehte.
1968 begleitete er die Rolling Stones bei der Studioproduktion ihres legendären Albums "Sympathy for the Devil". Bis heute ist "Eins plus Eins" von Godard ein Kultfilm, der Mick Jagger und die anderen Rockmusiker der Stones von einer sehr ungeschminkten, fast privaten Seite zeigt. Alle Songs wurden im Studio improvisiert. Dazwischen geschnitten: kurze Sequenzen über die Black Panther und die Demokratie-Bewegung in den USA.
Unter dem Eindruck der Studentenproteste im Mai 1968 in Paris schloss sich Jean-Luc Godard einer radikal marxistisch-leninistischen Filmgruppe an. Er politisierte seine Arbeit zunehmend und zerstritt sich darüber mit seinem Freund Truffaut. Danach "verschwand er im Kollektiv", drehte nur noch mit anderen zusammen, wie ein Filmkritiker damals notierte.
Jean-Luc Godard: Der Kino-Revolutionär
Sein Markenzeichen: große Brillen, dicke Zigarren. Seine Filme: innovative Meisterwerke, die ihrer Zeit voraus waren. Nun ist Jean-Luc Goddard im Alter von 91 Jahren verstorben.
Zigarren waren aus dem Leben des weltberühmten Regisseurs nicht weg zu denken. Selbst bei Interviews, wie mit dem Kerala-Filmfestival in Indien, ist es nicht einfach, die Sätze des berühmten französischen Regisseurs zu verstehen. Aber dieser ging um die Welt: "Ich beende meine Karriere im Filmgeschäft mit zwei letzten Drehbüchern", so Jean-Luc Godard höchstpersönlich ein Jahr vor seinem Tod.
Bild: Christof Schuerpf/dpa/picture alliance
"Sympathy for the Devil" (1968)
Godard war immer Vordenker: innovativ, linksradikal, politisch. Er interessierte sich nicht für Konventionen, ignorierte Filmpreise und Ehrungen. Als Regisseur sprengte er die Grenzen der üblichen Kinoproduktionen, verzichtete sogar auf Drehbücher. Mit seiner damals völlig neuen Bildsprache wagte er sich 1968 in ein neues Genre: mit einem experimentellen Dokumentarfilm über die Rolling Stones.
Bild: picture-alliance/Everett Collection
"Außer Atem" (1960)
Sein wichtigster Film: "Außer Atem" mit Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg in den Hauptrollen. Der Gangsterfilm machte Godard, der am 3. Dezember 1930 in Paris geboren wurde, mit einem Schlag berühmt. "Außer Atem" - schnell und unkonventionell - war bei der Premiere in Cannes eine Sensation. Und begründete Godards Ruhm als Leitfigur der Nouvelle Vague (Neue Welle) des französischen Kinos.
Bild: Kinowelt/Arthaus
Berliner Filmfestspiele (1961)
1961 reiste Godard als Star-Regisseur zu den Internationalen Filmfestspielen nach Berlin - mit seiner Frau Anna Karina. "Außer Atem" hatte in die Filmgeschichte "eingeschlagen, wie eine Faust", schrieb damals eine Filmzeitschrift. Die Ehe mit der aparten dänischen Schauspielerin, die in vielen seiner Filme mitgespielt hat, hielt allerdings nicht lang. 1964 wurden sie geschieden.
Bild: Keystone/Hulton Archive/Getty Images
"Die Verachtung" (1963)
Reflexion und Selbstkritik waren ständige Begleiter des französisch-schweizerischen Regisseurs, der seinen Lebensabend in der Schweiz verbrachte. Godard betrachtet die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Gesellschaft als Teil seiner Arbeit. Mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli drehte er "Die Verachtung", ein Film über das Filmemachen. In einer Nebenrolle: Regie-Altmeister Fritz Lang.
Bild: United Archives/picture alliance
"Die Außenseiterbande" (1964)
In vielen Kinofilmen von Jean-Luc Godard spielte Schauspielerin und Ehefrau Anna Karina die Hauptrolle. Sie war gleichzeitig Muse und Kontrapart für ihn. Und in den 1960er-Jahren seine bevorzugte Besetzung - auch weil sie einem modernen, emanzipierten Frauentyp entsprach. Im französischen Kino zur damaligen Zeit eher ungewohnt. Am Set verstanden sich die beiden allerdings besser als im Privaten.
Bild: United Archives/picture alliance
"Alphaville" (1965)
Mit einem visionären Science-Fiction-Film wagte sich Godard in seiner extrem innovativen Bildsprache weiter vor. "Alphaville" mit Eddie Constantine (r.) als Privatdetektiv Lemmy Caution drehte er in der futuristischen Welt der Beton- und Glasfassaden der Pariser Vororte. 1965 kam der Film ins Kino, in Deutschland mit dem Titel "Lemmy Caution gegen Alpha 60" - der Kampf Mensch gegen Computersystem.
Bild: akg-images/picture-alliance
"Made in USA" (1966)
Auch als sie längst geschieden waren und Jean-Luc Godard die Liaison mit einer anderen Frau öffentlich gemacht hatte, besetzte er Karina weiter in seinen Filmen. "Made in USA" spielt in Frankreich, aber die Stadt, die Paula (Anna Karina) besucht, trägt den Namen einer US-Metropole: Atlantic City. Gewidmet hatre Godard den Film dem von ihm verehrten US-Regisseur Samuel Fuller (1912 - 1997).
Bild: Everett Collection/picture alliance
"Godard trifft Truffaut" (2010)
Zwei Regie-Legenden: Jean-Luc Godard und Francois Truffaut (r.). Anfangs ziemlich beste Freunde, Kollegen und eigensinnige Weggenossen - bis zu den Studentenunruhen im Mai 1968. Über Truffauts Film "Die amerikanische Nacht" (1973) zerstritten sie sich vollständig. Der Bruch war radikal, wie die Film-Dokumentation "Godard trifft Truffaut" (neu auf DVD: Studiocanal/Arthouse) erzählt.
Bild: Studiocanal/Arthaus
"Rette sich wer kann" (1980)
Lange hatte sich Godard nach einem Verkehrsunfall 1971 nach Grenoble und dann in die Abgeschiedenheit eines Schweizer Dorfes zurückgezogen. 1980 kehrte er als Kino-Regisseur zurück. Mit freizügigen Einstellungen und einem Star wie Isabelle Huppert in der Hauptrolle landet er mit "Rette sich wer kann" einen Paukenschlag: "Mein zweiter erster Film", sagte er später darüber.
Bild: United Archives/picture alliance
"Nouvelle Vague" (1989)
Als intellektueller Revolutionär - zergrübelt und auf der Suche nach dem Geheimnis des Kinos - sicherte sich Jean Luc-Godard seinen Platz in der Filmgeschichte. In seinem Kinofilm "Nouvelle Vague" ließ er den Schauspieler Alain Delon die Rolle des Nach-Denkers spielen - in der authentischen Sprache der Wirklichkeit. Godard wollte die Welt lesbar und die Wörter sichtbar machen.
Bild: United Archives/picture alliance
Ehren-Oscar für sein Lebenswerk
Ohne die radikale Bildsprache und die innovative Schnitt-Technik von Godard wären auch Filmemacher wie Rainer Werner Fassbinder nicht denkbar. Viele haben ihn kopiert, als Lehrmeister des Sehens wahrgenommen. Aber Jean-Luc Godard war ein eigensinniger Grantler: Sogar den Ehren-Oscar nahm er 2010 nicht persönlich entgegen. Da erschien er nur auf dem Bildschirm - ohne Zigarre.
1980 tauchte Godard wieder auf der Bildfläche der internationalen Kinofilme auf. "Rette sich, wer kann" mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle war zeitgleich auch ein programmatischer Neuanfang für den Regisseur. Daher bezeichnete er diesen wieder erzählerischen Spielfilm in einem Interview als "seinen zweiten ersten Film".
Die Goldene Palme in Cannes, der Europäische Filmpreis, der Ehren-Oscar - mit solchen öffentlichen Auszeichnungen konnte Godard nie etwas anfangen. Nur bei der Verleihung des hochdotierten Praemium Imperiale, der als "Nobelpreis der Künste" gilt, hat er sich Schlips und Anzug angezogen.
Jetzt ist der preisgekrönte Regisseur im Alter von 91 Jahren gestorben.