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PolitikNahost

Jemen: Ökologische Zeitbombe auf hoher See

Safia Mahdi kk
10. Juni 2021

Seit Jahren liegt der marode Öltanker "FSO Safer" ohne Wartung vor Jemens Küste. Die machthabenden Huthis verweigern die Instandsetzung. Anwohner und Experten befürchten eine Umweltkatastrophe. Aus dem Jemen Safia Mahdi.

Jemen Ras Isa | Verlassener Öltanker | Mögliche Ölkatastrophe
Verwahrloster Riese: der Öltanker "FSO Safer" vor der Küste des JemenBild: Reuters

Abdullah Hassan ist besorgt. "Ich bin jetzt 43 Jahre alt", sagt der jemenitische Fischer. "Seit  25 Jahren arbeite ich auf dem Meer. Es ist meine einzige Einnahmequelle."

Die Zukunft dieser Quelle ist bedroht, nicht nur für Hassan, sondern auch für alle anderen Jemeniten rund um die Küstenstadt Hudaida am Roten Meer. Denn vor der Küste liegt der seit Jahren nicht mehr instand gehaltene Supertanker "FSO Safer". An Bord hat er mehr als 1 Million Barrel Rohöl. Diese könnten jederzeit auslaufen oder explodieren. Damit wären nicht nur den jemenitischen Fischern die Lebensgrundlage entzogen. Millionen Menschen wären durch eine mögliche Umweltkatastrophe gesundheitlich wie ökonomisch bedroht.

Bereits jetzt hat der Krieg im Jemen Hassan erhebliche Opfer abverlangt. Nachdem die aufständischen Huthis Hudaida 2015 erobert hatten, sahen er und andere Fischer sich gezwungen, weiter in Richtung Süden zu ziehen, wo es sicherer ist. Zu den humanitären Auswirkungen des Krieges droht sich nun auch noch eine mögliche Umweltkatastrophe zu gesellen. Für Hassan, seine Frau und die sieben Kinder würde diese das Ende ihrer bisherigen Existenz bedeuten.

Sehr viele Menschen in der Region lebten auf die eine oder andere Weise vom Meer, sagt Hassan. Die Arbeit auf See sei ohnehin sehr anfällig für äußere Einflüsse. Wetterschwankungen, der Krieg und nun auch noch die Bedrohung durch den maroden Supertanker: All das wirke sich auf das Leben der Fischer aus.

Bangt um seine Zukunft: Fischer Abdullah HassanBild: Safia Mahdi/DW

Öl im Wert von 40 Millionen Dollar

Der Tanker selbst wurde durch den Krieg zur politischen Spielmasse. Gebaut in Japan, fuhr das 1975 vom Stapel gelassene Schiff unter dem Namen "Esso Japan" zunächst unter liberischer Flagge. 1986 wurde es an das jemenitische Unternehmen "Safer Exploration & Production Co" verkauft und auf den Namen "Safer" umbenannt. Seit 1987 liegt es vor der Küste von Hudaida, wo es als Rohöl-Zwischenspeicher dient. Das über eine Pipeline auf das Schiff gepumpte Öl wird von dort auf Tanker umgeladen, die es anschließend zu den Häfen des internationalen Ölmarkts transportieren.

Seitdem die Huthi-Rebellen Hudaida im Jahr 2015 unter ihre Kontrolle brachten, wird die Safer nicht mehr in Schuss gehalten. Die Besatzung sei von ehedem rund 100 auf derzeit weniger als fünf Personen geschrumpft, sagt der zur international anerkannten Regierung gehörende Minister für Wasser und Umwelt, Tawfiq al-Sharjabi, im DW-Interview. Diese Restmannschaft sei für Wartungsarbeiten nicht vorbereitet und verfüge auch nicht über die dafür nötige Ausrüstung. Das baufällige Schiff sei explosionsgefährdet.

Die Vereinten Nationen hatten angesichts der drohenden Umweltkatastrophe zu vermitteln versucht. Über Monate verhandelten sie, um die dringend nötigen Wartungsarbeiten zu ermöglichen. Zu diesem Zweck hatten sie Medienberichten zufolge vorgeschlagen, das in dem Tanker lagernde Öl zu verkaufen. Den Erlös - Schätzwert rund 40 Millionen Dollar - sollten Regierung und Rebellen sich teilen. Das aber lehnen die Huthis ab. Sie fordern den gesamten Erlös für sich.

Akute Gefahr für Mensch und Umwelt

Nun erklärten die UN nach über siebenmonatigen Verhandlungen, diese seien in eine Sackgasse geraten. Aufgrund "politischer und logistischer Hindernisse", könnten die bereits geplanten Inspektionsarbeiten nicht beginnen, teilte Anfang Juni die Generaldirektorin des UN-Umweltprogramms, Inger Andersen, mit. "Darum kennen wir weder den genauen Zustand des Schiffes noch die beste Lösung zum Umgang mit 1,1 Millionen Barrel Öl in einem alternden Tanker in einem ökologisch sensiblen Gebiet des Roten Meeres.".

Träte dieses Öl aus, hätte dies Auswirkungen auf die Nachbarländer am Roten Meer sowie auf eine der meist befahrenen Handelsrouten der Welt, warnte Anderson. Sollte auf dem Schiff ein Feuer ausbrechen oder es explodieren, wären rund 4,8 Millionen Menschen im Jemen und weitere 350.000 Anwohner im angrenzenden Saudi-Arabien innerhalb von anderthalb Tagen einer gefährlichen Umweltbelastung ausgesetzt. "Etwa eine Million Binnenvertriebene, die im Jemen leben, könnten von dieser Rauchfahne erfasst werden", so Andersen weiter. "Das könnte potenziell schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit der gefährdeten Bevölkerungsgruppen haben."

Verlassene Zeitbombe: an Deck der "FSO Safer", eine Aufnahme von 2019Bild: picture-alliance/AP Photo

Diese Gefahr vor Augen, hatte auch der UN-Sicherheitsrat die Huthi-Rebellen aufgefordert, die Inspektion des Öltankers "unverzüglich" zuzulassen.

Schiff könnte sinken oder explodieren

Von dem Tanker gingen mehrere Risiken aus, sagt Umweltminister Tawfiq al-Sharjabi. Diese seien aber unterschiedlich groß. Zwar sei es grundsätzlich möglich, dass Öl über Lecks in das Meer geraten könne. Doch sei das Öl auf mehrere Tanks aufgeteilt. Es würde, so die Schlussfolgerung, nicht die gesamte Menge austreten.

Wohl aber bestehe die Möglichkeit, dass größere Wassermengen in den Maschinenraum eindringen könnten, so al-Sharjabi weiter. Dies sei bereits vor einigen Monaten einmal passiert, doch konnte damals die Eintrittsstelle geschlossen werden. Sollte sich der Fall wiederholen und größere Wassermengen in das Schiff eindringen, könnte dieses zerbrechen und sinken, warnt der Minister. Dies sei derzeit das größte Risiko. Es könne allerdings auch zu einer Explosion kommen, etwa durch Funkenschlag, verursacht zum Beispiel durch sich lösende und auf die Wand des Tanks fallende Eisenteile. 

In Sorge: der jemenitische Umweltminister Tawfiq al-SharjabiBild: Safia Mahdi/DW

In seinem derzeitigen Zustand stelle das Schiff eine ernsthafte Bedrohung für das Öko-System des Roten Meeres wie auch die Fischerei dar, so al-Sharjabi. Betroffen wäre im Katastrophenfall die Korallenriffe rund um die Insel Kamaran und die dort wachsenden Mangrovenwälder. Zudem drohe eine Luftverschmutzung, in deren Folge Millionen Menschen ihre Ressourcen und ihre Lebensgrundlage in dem ohnehin ökonomisch äußerst schwachen, auf internationale Hilfe angewiesenen Land verlieren würden. "Die gesamte Umwelt wäre für Jahrzehnte zerstört. Darum kommt es darauf an, möglichst schnell ein UN-Team an Bord zu lassen, das die Möglichkeiten zur Entladung des Öls vorbereiten könnte."

Missbrauch als Verhandlungsmasse

Auch Umwelt-Experten wie Muhammad Al-Hakimi, Chefredakteur der Website "Hulm Akhdar" ("Grüner Traum"), sind alarmiert. Rund 115 Inseln könnten von einer Ölpest betroffen sein, fürchtet er. Die Biodiversität der Küste - Meerespflanzen ebenso wie Fische, Schildkröten, Korallenriffe und Vögel - sei bedroht, sagt er im DW-Gespräch.

Beunruhigt ist auch Umweltwissenschaftler Abdelkader al-Kharraz von der Universität Hudaida - durchaus auch im politischen Sinne: Das Schiff werde bewusst zur Einschüchterung der Jemeniten wie der Weltbevölkerung missbraucht und als Verhandlungsmasse eingesetzt, kritisiert er. 

Bräche der Tanker auseinander oder würde er von einer Explosion zerrissen, hätte dies vermutlich katastrophale Folgen. Als 1989 die "Exxon Valdez" vor der Küste Alaskas zerbrach, gelangten rund 40.000 Tonnen Rohöl ins Meer. Die "Safer" hat Medienberichten zufolge deutlich mehr Öl geladen als seinerzeit der Havarist im Nordmeer. Sollte die "FSO Safer" bersten, wäre dies eine Katastrophe mit Ansage.

Adaptiert aus dem Arabischen von Kersten Knipp.