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PolitikNahost

Krieg im Jemen: Ende ungewiss

26. Dezember 2022

Seit Jahren befindet sich der Jemen im Krieg, auch auswärtige Mächte mischen dabei mit. Ein Waffenstillstand wurde zuletzt nicht mehr verlängert. Die Aussichten, den Krieg zu beenden, sind auch für 2023 düster.

Bewaffnete Huthi-Rebellen auf gepanzerten Fahrzeugen in Sanaa
Machtdemonstration: Huthi-Rebellen in Sanaa (Archivbild von 2016)Bild: imago images/Xinhua

Der Jemen kommt nicht zur Ruhe. Mehrmals war eine im Frühjahr 2022 zwischen den aufständischen Huthis und den Regierungskräften ausgehandelte Waffenruhe verlängert worden, doch im Herbst konnten sich die Kriegsgegner nicht dazu entscheiden, sie fortzusetzen. Die Vereinbarung war zwar brüchig, verschaffte dem Land aber doch eine Atempause. Zumindest kam es Angaben der Vereinten Nationen zufolge zu keinen Luftangriffen, größeren Militäreinsätze oder Angriffen aus dem Jemen auf das Territorium des benachbarten Saudi-Arabien.

Regionalmächte zündeln mit

Dessen Regierung führt eine internationale Allianz gegen die aufständischen Huthis an, die inzwischen weite Teile des südwestlichen Jemen unter ihre Kontrolle gebracht haben, einschließlich der Hauptstadt Sanaa. Die Huthi-Rebellen ihrerseits werden vom Iran unterstützt. Darüber entwickelte sich der ursprünglich nationale Konflikt zu einem größeren umspannenden Konflikt um politischen Einfluss zwischen zwei rivalisierenden Regionalmächten, dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran.

An der verfahrenen Situation hat auch der Umstand nichts ändern können, dass der damalige Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi im Frühjahr die Macht an einen präsidialen Führungsrat übergab. Damit entsprach Mansur Hadi den Ergebnissen von Friedensgesprächen, die zeitgleich in der saudischen Hauptstadt Riad abgehalten worden waren - an denen die Huthi-Rebellen allerdings nicht beteiligt waren. Zwar sollte der neue Rat mit den Huthi-Rebellen auch über eine "endgültige und umfassende" Lösung des jahrelangen Bürgerkriegs verhandeln.

Bild der Zerstörung: Szene aus Sanaa nach einem Luftangriff, Januar 2022Bild: Khaled Abdullah/REUTERS

Maximalforderungen der Huthis

Doch diese Verhandlungen wie auch die Gespräche zur Erneuerung der Waffenruhe scheiterten vor allem an einer Seite der Konfliktparteien, sagt Jemen-Experte Jens Heibach vom German Institute for Global  and Areas Studie (GIGA) in Hamburg, nämlich an den Huthis. "Sie sind durch den bisherigen Kriegsverlauf in einer starken Position. Darum sind sie nicht bereit, auf die andere Seite zuzugehen", so der Politikwissenschaftler aus Deutschland. "Die Huthis stellen Maximalforderungen - etwa die, dass die international anerkannte Regierung zukünftig auch die Gehälter der auf Seiten der Huthis kämpfenden Truppen zahlt. Das kann die Regierung natürlich nicht akzeptieren."

Wie sehr der Krieg von außen angeheizt wird, zeigen offensichtlich Waffenfunde auf einem Fischkutter, den die US-Marine Anfang Dezember auf dem Weg vom Iran in den Jemen abfing. Dabei seien unter anderem eine Millionen Schuss Munition, mehrere Raketenzünder sowie Treibstoff beschlagnahmt worden, teilte die US-Marine mit.

Nicht nur Befehlsempfänger

Experte Heibach spricht von einem Stellvertreterkrieg im Jemen. Zum einen sei die Unterstützung der Huthis durch Iran massiv angestiegen, umgekehrt sei auch die Abhängigkeit der Huthis vom Iran gewachsen. Allerdings seien die Huthis keine bloßen Befehlsempfänger Irans. "Dafür sind sie auch aus eigener Kraft zu stark." Auf der anderen Seite werde die international anerkannte Regierung  vor allem von der von Saudi-Arabien geführten Koalition massiv unterstützt. "In der Summe kann man derzeit mit einigem Recht von einem Stellvertreterkrieg sprechen. Auch das macht eine Einigung schwierig."

Der Frontverlauf im Jemen

Humanitäre Katastrophe

Derweil leidet die Zivilbevölkerung weiter unter der Gewalt. Mehr als 11.000 Kinder seien seit der Eskalation der Kämpfe im Jahr 2015 verletzt oder getötet worden, teilte Mitte Dezember das UN-Kinderhilfswerk Unicef mit. UN-Angaben zufolge wurden seit 2015 rund 375.000 Menschen - 1,25 Prozent der Bevölkerung - durch Kampfhandlungen, mehr aber noch durch Hunger oder Krankheiten getötet. Knapp mehr als vier Millionen Menschen sind derzeit innerhalb des Landes auf der Flucht. Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) spricht von der "schlimmsten von Menschen erzeugten humanitären Katastrophe seit vielen Jahrzehnten". Diese wird zusätzlich durch den russischen Angriff auf die Ukraine und die damit verbundenen Getreideausfälle verschärft. Bis zu Beginn der Angriffe hatte der Jemen knapp die Hälfte - 45 Prozent - seines Weizens aus diesen beiden Ländern importiert.

Leidtragende der Huthi-Herrschaft in einem beträchtlichen Teil des Landes sind zudem generell die Frauen. In den von den Rebellen kontrollierten Gebieten dürfen sie ohne einen männlichen, ihrer Familie entstammenden Begleiter nicht mehr reisen. Das schränkt ihre Mobilität massiv ein - und macht sie zugleich von den männlichen Familienmitgliedern abhängig.

Huthis konsolidieren Vorherrschaft

An der Vorherrschaft der Huthis dürfte sich absehbar wenig ändern, sagt Jemen-Experte Jens Heibach. "Sie haben ihre Macht im Norden konsolidiert, und die wird so schnell auch nicht zerfallen. Vor allem wird der Krieg daran nichts ändern. Denn alles, was die von Saudi-Arabien geführte Koalition unternommen hat, hat letztlich nur zu einem weiteren Machtausbau der Huthis geführt." Diese verfügten mittlerweile über ein erheblich vergrößertes Territorium, das sie so leicht nicht mehr aus der Hand geben würden, so Heibach.

Das bedeute auch, dass die Huthis ihre derzeitige Politik - auch gegenüber Frauen - weiter fortführen würden. "Menschenrechtlich ist das ein enormes Problem, das sich absehbar aber kaum wird lösen lassen. Denn generell wird dieser Krieg nur dann ein Ende finden können, wenn die externen Akteure ihre Unterstützung einstellen."

Kindheit im Krieg: Szene aus der Stadt TaisBild: Abdulnasser Alseddik/AA/picture alliance

Einbeziehung weiterer Gruppen?

Immer deutlicher zeigt sich, dass die von Saudi-Arabien geführte Koalition erfolglos geblieben ist. Die Angriffe haben die humanitäre Katastrophe noch einmal stark vergrößert, aber keine Änderung im Konfliktverlauf zugunsten der regulären Regierung erreicht. Die Unterstützung von außen, heißt es in einer Analyse des Fachblatts "Foreign Policy" vom Dezember 2022, habe vielmehr die Huthis und Iran nur noch enger aneinander geschweißt. Zudem habe sie die militärischen Fähigkeiten der Huthis noch einmal gesteigert. "Und sie hat dazu geführt, dass der Krieg auf das Territorium Saudi-Arabiens und der Vereinigte Arabischen Emirate übergesprungen ist." Dort hatte es unter anderem Drohnen-Attacken gegeben.

Was also tun? Die beste Möglichkeit, den Krieg zu beenden, so "Foreign Policy", bestünde darin, Vertreter beider Gruppen sowie die weiterer, bislang wenig repräsentierte Gruppen im Land - etwa Frauenorganisationen und Akteure der Zivilgesellschaft - zusammenzubringen. Alles andere wäre eine Wiederholung von Rezepten, die sich bereits als unbrauchbar erwiesen hätten.

Der Jemen als Druckmittel

Allerdings dürften Verhandlungen angesichts bestimmter politischer Entwicklungen außerhalb des Jemens auf absehbare Zeit wohl noch schwieriger sein als bisher. Denn grundsätzlich - so etwa die Feststellung in einer Analyse des "European Council on Foreign Relations" - habe sich Iran durch das Bündnis mit den Huthis zwar eine neue Einflusssphäre auf der arabischen Halbinsel eröffnet. Diese ermögliche es ihm, seine regionalen Gegner und die Vereinigten Staaten unter Druck zu setzen sowie die militärischen Kapazitäten Saudi-Arabiens zu testen.

Nun aber gerät Iran aufgrund seines Umgangs mit der Protestbewegung im eigenen Land wie auch der Lieferung von Drohnen und Raketen zur Unterstützung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine international zunehmend unter Druck. Im Westen - etwa der Europäischen Union - wurden bereits erste Sanktionen gegen Mitglieder des Regimes erlassen, auch ein Abbruch der Atomgespräche wird erörtert. All dies dürfte Iran wenig motivieren, sich auf ein Ende des Krieges im Jemen einzulassen. Denn der ist für Teheran weiterhin eines der probaten Mittel, um international Gegendruck zu erzeugen.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika