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Politik

Jemen zwischen Krieg und Kollaps

26. Juli 2017

Der Jemen befindet sich in einer humanitären Katastrophe. Der Krieg hat die Infrastruktur zerstört, Cholera und Hunger breiten sich aus. Doch die von Saudi-Arabien geführte militärische Intervention geht weiter.

Jemen Cholera
Bild: Reuters/A.Zeyad

Der Jemen steht am Rand einer doppelten humanitären Katastrophe. Dem Land drohen laut mehreren UN-Organisationen eine Cholera-Epidemie und zugleich eine Hungersnot. Das gaben die Vorsitzenden des Kinderhilfswerks UNICEF, der Weltgesundheitsorganisation und des Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen in einer gemeinsamen Erklärung bekannt.

"Das ist die schlimmste Cholera-Epidemie der Welt inmitten der größten humanitären Krise der Welt", erklären die drei Direktoren. Seit April 2017 gebe es 400.000 Fälle mit Verdacht auf Cholera. Vermutlich 1900 Menschen seien an der Krankheit bereits gestorben. Zudem seien rund zwei Millionen Kinder akut unterernährt. 60 Prozent der Bevölkerung wüssten nicht, wo sie ihre nächste Mahlzeit herbekommen sollten.

Zerstörte Krankenhäuser

Dramatisch sei die Lage auch, weil das Gesundheitssystem am Rande des Zusammenbruchs stehe. Wichtige Teile der Infrastruktur des Landes, darunter medizinische Einrichtungen, Wasserversorgung und Sanitäranlagen, seien beschädigt und zum Teil zerstört, so die UN-Vertreter. Inmitten der chaotischen Zustände seien rund 16.000 Freiwillige im Einsatz.

Mehr als 30.000 medizinische Angestellte hätten seit über zehn Monaten kein Gehalt bekommen. Dennoch erschienen viele weiterhin zur Arbeit. "Wir befürchten, dass ohne ihre Hilfe Menschen sterben müssen, die sonst die Chance hätten, zu überleben. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um diese hoch engagierten Menschen nicht nur finanziell zu unterstützen", so die Direktoren der drei UN-Institutionen in ihrer Erklärung.

Folter und Gewalt

Ein Ende der Kämpfe ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, der Krieg nimmt offenbar immer brutalere Ausmaße an. So hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch den zur saudischen Koalition gehörenden Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) vorgeworfen, jemenitische Einheiten zu unterstützen, die ihre Gefangenen - mutmaßlich Kämpfer der Terrororganisationen Al-Kaida und "Islamischer Staat" (IS) - folterten und misshandelten. Zudem unterhielten die VAE mindestens zwei Gefängnisse, in denen Gefangene gefoltert würden.

"Man bekämpft extremistische Gruppen wie Al-Kaida oder den IS nicht, indem man Dutzende junger Menschen verschwinden lässt und im Jemen ständig die Zahl der Familien erhöht, die Angehörige vermissen", sagte Sarah Leah Whitson, Direktorin für die Region Nahost bei Human Rights Watch.

Ohne die Versorgung mit Hilfsgütern kann die Bevölkerung im Jemen nicht überlebenBild: Reuters/K. Abdullah

Bomben auf Zivilbevölkerung 

Zugleich geht die von Saudi-Arabien geleitete Koalition im Jemen weiter mit unverminderter Härte vor. Auf Zivilisten nehmen die ausschließlich aus der Luft operierenden saudischen Streitkräfte nach Einschätzung der Vereinten Nationen (UN) kaum Rücksicht.

Ende vergangener Woche berichteten die UN über einen Luftangriff in der im Südwesten des Jemen gelegenen Provinz Taiz, bei dem über 20 Zivilisten getötet wurden. Sie waren vor Monaten vor den Kämpfen geflohen. "Es hat nicht den Anschein, als habe es in der unmittelbaren Nachbarschaft des zerstörten Hauses irgendwelche militärischen Ziele gegeben", heißt es in dem UN-Papier.

Riad rechtfertigt sich 

Saudi-Arabien selbst stellt den Entschluss, einen Krieg gegen die aufständischen Huthis zu führen, als alternativlos hin. So zumindest lässt sich das Interview deuten, das der zum Kronprinzen ernannte Mohammed bin Salman kürzlich dem Nachrichtensender Al-Arabija gab.

"Niemand will, dass der Krieg weitergeht", sagte der auch als saudischer Verteidigungsminister amtierende Bin Salman über die Kämpfe im Jemen. Doch als sich das Königreich vor über zwei Jahren entschloss, im Nachbarland militärisch einzugreifen, habe es "keine Wahl" gehabt. Terroristische Gruppen hätten die legitime Regierung angegriffen. Wäre Saudi-Arabien nicht eingeschritten, hätten sie die Sicherheit der gesamten Region gefährdet.

An dieser Gefährdungslage hat sich bislang wenig geändert. Im Gegenteil: Der Krieg, der bislang über 10.000 Menschen das Leben kostete, scheint die Brutalisierung der Gesellschaft weiter voranzutreiben. Im Internet kursiert ein vor wenigem Tagen bekannt gewordenes Video, das jemenitische Truppen zeigt, die gefangene Huthi-Rebellen teils erschießen, teils enthaupten.

Kriegsverbrechen: Die von Saudi Arabien unterstützte Regierung im Jemen setzt Kindersoldaten ein Bild: Getty Images/AFP/S. Al-Obeidi

Religiöser Terror

Zugleich häufen sich Berichte über zunehmenden konfessionellen Terror im Jemen. In Aden wurde etwa ein junger Aktivist, Amjad Abdul Rahman, in einem Internetcafé erschossen. Er gehörte einer Gruppe an, die sich mit Religion und Frauenrechten beschäftigt. Am folgenden Tag stoppten Extremisten den Beerdigungszug und verhinderten die Beisetzung Rahmans auf einem muslimischen Friedhof. Rahman sei ein "Ungläubiger" erklärten sie. Darum dürfe er dort nicht beerdigt werden.  

Der wachsende Einfluss von religiösem Terror trägt dazu bei, den Sinn der von Saudi-Arabien geführten Koalition immer stärker in Frage zu stellen. "Wer auch immer für den Druck auf die Glaubensfreiheit verantwortlich ist, es scheint nicht so, als sei es eine Priorität der von Saudi-Arabien angeführten Koalition, für Sicherheit und Stabilität zu sorgen", erklärt ein jemenitischer Lehrer, der ungenannt bleiben wollte, dem Internetmagazin Al-Monitor.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika