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Saleh sichert sich ab

27. Januar 2012

Im Jemen rückt der Machtwechsel näher: Am 21. Februar endet die Amtszeit von Präsident Saleh, dann wird ein neuer Präsident gewählt. Doch Saleh könnte auch weiter der mächtige Mann im Hintergrund bleiben.

Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh (Foto:ap)
Jemens Präsident Ali Abdullah SalehBild: AP

Monatelang waren die Regierungsgegner im Jemen auf die Straße gegangen, hatten demonstriert, Parolen geschrien, ihr Leben riskiert, um ihn loszuwerden: Präsident Ali Abdullah Saleh, der das Land 33 Jahre lang autokratisch regiert hat. Ihr vorrangiges Ziel haben sie erreicht: Jemens Staatschef dankt ab, am 21. Februar wird ein neuer Präsident gewählt. Zudem hat Saleh mittlerweile das Land verlassen, um sich in den USA einer medizinischen Behandlung zu unterziehen, und er hat sich vor seiner Abreise in einer Abschiedsrede für "frühere Fehler" entschuldigt. Dennoch sind viele Oppositionelle bitter enttäuscht.

Immunität als Freifahrtschein

Denn kurz vor seiner Abreise hat sich Jemens scheidender Präsident noch vom Parlament umfassende Immunität zusichern lassen. Dies hatte sich zwar schon länger abgezeichnet – die Immunitätsregelung war Bestandteil eines Vermittlungsvorschlags, der bereits 2011 vom Golfkooperationsrat ausgehandelt worden war. Trotzdem haben sich erneut zehntausende Menschen auf den Straßen der jemenitischen Hauptstadt Sanaa zusammengefunden, um lauthals ihren Protest herauszuschreien.

Jemens Parlament gewährt Präsident Saleh die ImmunitätBild: dapd

Die neuen Demonstrationen richteten sich vor allem gegen die Art der jetzt verliehenen Immunität: "Sie gilt für alle eventuell begangenen Straftaten bis zum Ende seiner Amtszeit am 21. Februar", erklärt Tim Petschulat, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sanaa. Das bedeute, dass Saleh noch bis zur Wahl missliebige Gegner ausschalten oder Gewalt gegen Demonstranten ausüben könne, ohne dass man ihn dafür strafrechtlich belangen könne. Diese Immunitätsklausel hält nicht nur Petschulat für "völkerrechtlich bedenklich"; sie wird auch von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch scharf kritisiert.

Zudem erstreckt sich die Immunität in leicht eingeschränkter Form auch auf weite Teile von Salehs Familienclan. "Was geschieht mit Salehs Bruder, seinem Sohn, seinem Neffen, die ganz wichtige Teile des Sicherheitsapparates kontrollieren?" hält Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) für die noch akutere Frage. Es sei noch gar nicht abzusehen, wie sich die Familie des Präsidenten verhalten wird, nachdem der Präsident seinen Stuhl geräumt hat.

Dennoch kann Petschulat der nun getroffenen Vereinbarung auch etwas Positives abgewinnen. "Nur so wird man Saleh los", sagt er. Denn trotz der massiven Proteste seien sowohl die parlamentarische Opposition im Jemen als auch viele internationale Beobachter davon ausgegangen, dass es keinen anderen legalen Weg gegeben habe, Saleh tatsächlich zu einem Amtsverzicht zu bewegen. "Ohne Immunität kein politischer Wandel", so Petschulat.

Salehs Nachfolger: Schwach, aber harmlos?

Ob es überhaupt zu einem tiefgreifenden Wandel kommen wird, bleibt jedoch fraglich. Am 21. Februar wird zwar ein neuer Präsident gewählt. Zur Wahl steht aber nur ein einziger Kandidat: Salehs bisheriger Stellvertreter Abed Rabbo Mansur Hadi. Der 66-Jährige gilt als langjähriger Vertrauter Präsident Salehs und blickt auf eine langjährige Militärkarriere zurück. Im Bürgerkrieg kämpfte er als Armeegeneral auf der Seite der Südjemeniten. Hadi gehört jedoch keinem der bedeutenderen jemenitischen Stämme an und besitzt daher nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung. "Hadi stand immer im Schatten von Präsident Saleh", sagt SWP-Experte Steinberg. "Saleh trifft die Entscheidungen im Land. Insgesamt ist zu erwarten, dass sein Nachfolger versuchen wird, ein loyaler Statthalter Salehs zu sein", ist Steinberg überzeugt: "In jedem Fall ist Hadi kein Mann der Zukunft, sondern ein Repräsentant des alten Regimes."

Nach der Verkündung der Immunität protestierten tausende JemenitenBild: Reuters

Der neue Präsident wird für zwei Jahre gewählt. Er soll einer Übergangsregierung der nationalen Einheit vorstehen, die eine neue Verfassung ausarbeiten und Parlaments- und Präsidentschaftswahlen organisieren soll. Ob ausgerechnet Hadi dieser Prozess gelingt, sei keinesfalls sicher, so Petschulat. Es sei aber auch nicht auszuschließen. Vielen Jemeniten gelte Hadi als "schwach, aber harmlos", und das sei nicht unbedingt schlecht: Denn er müsse zunächst alle wichtigen politischen Kräfte an einen Tisch holen, weil er deren Unterstützung braucht, so Petschulat. Man müsse Hadi erst einmal die üblichen ersten 100 Tage Amtszeit zugestehen, um zu sehen, ob er das Land hinter sich vereinigen kann.

Saudi-Arabien, der scheiternde Protektor?

Dabei sind die Aufgaben, vor denen der neue Präsident steht, gewaltig: Im Süden des Landes haben sich Al-Kaida-Kämpfer eingenistet und bereits die Verbindungen zwischen den westlichen und östlichen Provinzen des Landes unterbrochen. Im Norden des Landes haben derweil schiitische Houthi-Rebellen ihre Kontrolle über einige Provinzen ausgeweitet. Die wirtschaftliche Situation im gesamten Jemen ist katastrophal, außerdem herrscht im ärmsten Land der arabischen Welt eine immense Wasserknappheit. "Es ist nur schwer vorstellbar, wie eine neue Regierung das Land überhaupt in den Griff bekommen will", zeigt sich Steinberg skeptisch.

Lange unterhielt Präsident Saleh gute Beziehungen zu Saudi-Arabiens König AbdullahBild: ap

Vielleicht mit Hilfe von außen. Kein Nachbarstaat hat ein größeres Interesse an Stabilität im Jemen als Saudi-Arabien. "Saudi-Arabien ist fast eine Art Protektor des Jemen", so Nahost-Experte Steinberg. Das Land versorge unterschiedliche Kräfte im Jemen mit Geld und versuche, dies auch in politischen Einfluss umzumünzen. "Riad glaubt auch, es könne bestimmen, wer im Jemen Präsident wird." Saleh wurde lange Zeit von Saudi-Arabien unterstützt. Diesen Rückhalt hat er inzwischen verloren. In Riad traute man ihm offenbar nicht mehr zu, die zunehmenden Proteste und Unruhen im Jemen einzudämmen.

Saleh könnte den großen Nachbarn im Norden allerdings ausgetrickst haben: "Die Vereinbarung war, dass er abtritt", sagt Steinberg. Doch es sei offen, ob er sich auch faktisch aus den Regierungsgeschäften zurückziehe. "Daran wird sich messen lassen, wie weit der saudische Einfluss im Land tatsächlich geht", so Steinberg: "Wenn Saleh auch zukünftig aus dem Hintergrund die Fäden zieht, wenn der Jemen dann darüber hinaus vollkommen zerfällt, dann ist das auch ein Scheitern der saudischen Politik.“

Autor: Thomas Latschan
Redaktion: Daniel Scheschkewitz

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