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Jens Voigts letzte Attacke

Joscha Weber25. August 2014

Er konnte nur so gehen: Mit einem allerletzten Angriff verabschiedet sich Radprofi Jens Voigt von seinen Fans bei der USA Pro Challenge und blickt auf eine außergewöhnliche Karriere zurück.

Jens Voigt in Denver in der Attacke (Foto: Getty)
Abschiedstour: Jens Voigt ein letztes Mal als Ausreißer unterwegsBild: Getty Images

Für Radsportfans ein gewohntes Bild: Das Rad wippte unter seinen Tritten heftig hin und her, die langen Beine hämmerten etwas unrhytmisch, aber kraftvoll in die Pedale, die Zähne gefletscht vor Anstrengung - Jens Voigt holte noch ein letztes Mal alles aus seinem inzwischen 42-jährigen Körper heraus. Natürlich ließ es sich der ungekrönte König der Ausreißer nicht nehmen, auf seiner letzten Dienstfahrt noch einmal zu attackieren. Mit voller Kraft stob er auf dem Schlussabschnitt der USA Pro Challenge dem Feld davon, setzte sich im Etappenverlauf von seinen Fluchtgefährten ab und ging auf dem Stadtkurs von Denver als Führender in die letzte Runde - begleitet vom tosenden Beifall der Zuschauer, die begeistert auf die Werbebanden trommelten.

Tosender Applaus zum Abschied

Doch auch der frenetische Beifall des US-Publikums, bei dem Voigt als Rad-Kultfigur gilt, half am Ende nichts: Der Rad-Veteran wurde gut neun Kilometer vor dem Ziel vom rasenden Feld gestellt, das ihm kein Abschiedsgeschenk bereiten wollte. Am Ende feierte Alex Howes (USA) den Tagessieg in Denver, doch Voigt bekam als 28. mindestens genauso viel Applaus.

Gerührt: Jens Voigt verabschiedet sich als kämpferischster Fahrer der USA Pro ChallengeBild: Getty Images

Auch wenn in seinen Aussagen der letzten Tage immer ein wenig Wehmut mitschwang, so überwiegt bei Voigt nun die Erleichterung, es geschafft zu haben, die Leiden eines Radprofis hinter sich zu lassen. "Ich sehe nur die positiven Aspekte", sagte er im Ziel lächelnd und bekräftigte seinen Entschluss nun zurückzutreten: "Mein Körper hätte vielleicht noch ein Jahr durchgehalten, aber ich hätte nicht mehr auf diesem Niveau fahren können." Die Anzeichen dafür waren bereits bei seiner letzten Tour de France im Juli erkennbar, Voigts Attacken fehlte das Durchhaltevermögen vergangener Tage. Dennoch schloss Voigt mit seiner 17. Teilnahme an der Frankreich-Rundfahrt zu den Rekordteilnehmern Stuart O'Grady (Australien) und George Hincapie (USA) auf - beide im Gegensatz zu ihm geständige Dopingsünder.

Unbeschadet durch die Doping-Ära

Voigt kam unbeschadet durch die Doping-Ära der späten 90er Jahre und gilt vielen seiner Fans gerade wegen seiner offensiven Bekenntnisse gegen Doping als glaubwürdiger Sportheld. Da Voigt während seiner Laufbahn aber auch für schlecht beleumundete Teammanager wie Bjarne Riis und Johan Bruyneel fuhr, lässt er auch einige Zweifler zurück. Voigt selbst sagt diesen: "Wie denkt ihr denn, dass ich gedopt haben soll? Ich war nie bei Fuentes, nie bei Ferrari, ich war nicht bei Humanplasma in Österreich. Soll ich das immer allein gemacht haben? Und soll ich dann immer der Cleverste von allen gewesen sein, der, der niemals erwischt wurde?", wird Jens Voigt von "Zeit Online" zitiert. Wie auch immer man zu dieser Glaubensfrage stehen mag: Voigt muss als unschuldig gelten.

Sportlich betrachtet wählte Voigt den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören: "Kopf und Körper sagen: wir halten dieses Jahr noch zusammen. Ich merke, dass ich ans Limit komme. Irgendwann bemitleiden dich die Zuschauer, das möchte ich nicht erleben", so Voigt, der auf insgesamt 875.000 Kilometer auf dem Rad gekommen sein soll. Eine unvorstellbare Distanz, die erst deutlich wird, wenn man bedenkt, dass sie fast 22 Umrundungen der Erde entspricht.

Große Erfolge und ein sehr schwerer Sturz

Während dieser Kilometer hat Voigt viel gesehen und viel erlebt. Positiv in Erinnerung dürften dem Berliner zwei Tour-Etappensiege (2001 und 2006) ein Tageserfolg beim Giro d'Italia (2008), zwei Gesamtsiege bei der Deutschland-Tour (2006 und 2007) sowie fünf Siege beim Critérium International bleiben. Ein weniger schöner Moment war sein schwerer Sturz bei der Tour de France 2009, als er auf der Abfahrt vom Kleinen Sankt Bernhard zu Fall kam und sich mehrere Brüche im Gesicht zuzog.

Auch von der Tour de France verabschiedete sich Jens Voigt mit einer letzten AttackeBild: Getty Images

Doch Jens Voigt wäre nicht Jens Voigt, wenn er nicht schon im Krankenhausbett dick bandagiert in Fernsehinterviews Witze über seinen Sturz gemacht und dabei schon wieder vom baldigen Comeback gesprochen hätte. So bleibt von Jens Voigt das beeindruckende Bild eines Sportlers, der einen außergewöhnlichen Kampfgeist zeigte und sich wie kein Zweiter schinden und quälen konnte - übrigens meist gar nicht für seinen persönlichen Erfolg, sondern für die Interessen seines Teams.

Bald Spinnweben am Rennrad?

Als sechsfachen Familienvater erwartet Voigt nun endlich ein echtes Privatleben, ohne ständige Trainingslager und Rennen fern der Heimat. "Jetzt werde ich erst einmal einen langen, großartigen Urlaub machen", sagt Voigt, der sein Rad in den Keller stellen will, "bis Spinnweben dran sind." Zumindest sein Bahnrad wird er im Winter noch einmal aus dem Keller hervorholen, denn beim Sechstagerennen in Berlin (22. bis 27. Januar) will er sich dann auch von den deutschen Fans verabschieden. Ab der kommenden Saison wird Jens Voigt dann wohl in anderer Funktion im Profi-Peloton auftauchen: Er möchte die Lizenz zum Sportlichen Leiter erwerben und könnte bei der Tour als TV-Experte arbeiten. Die Welt des Radsports, die insgesamt über drei Jahrzehnte seine war, wird Jens Voigt also doch nicht wirklich verlassen.

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